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Friedhof Mittelmeer

Karl Hoffmann, Rom8. Oktober 2013

Wenn die vielen toten Flüchtlinge von Lampedusa beerdigt sind, stellt sich die Frage: Was geschieht mit den Überlebenden? Italien und Europa kriegen das Migrationsproblem bis heute nicht in den Griff.

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Ein Holzkreuz auf einem Friedhof von Lampedusa (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Sharif sitzt im Schatten der Betonmauer des Immigrantenlagers von Marina Granda, am äußersten Westzipfel der Insel Sizilien. Hier lebt er seit über einem Jahr. Am Ende seiner Flucht nach Europa landete er mit dem Boot in Lampedusa und wurde schließlich ins Lager nach Sizilien gebracht. Er stammt aus Somalia. "Dort haben wir Probleme, es herrscht Krieg, wer weiß, wann der ein Ende nimmt. In Italien ist es auch sehr schwer für uns, aber immer noch besser als in unserem Land.“

Sharif lebt mit über 100 anderen Männern in einem großen Schlafsaal, das Lager darf er zwar verlassen, aber es liegt kilometerweit weg von der nächsten größeren Stadt Trapani. Wann Sharif ein neues Leben in Europa beginnen kann, steht in den Sternen. Die jüngste Welle der Bootsflüchtlinge hat die Wartezeiten für die Bearbeitung von Asylanträgen verdoppelt. Es kann noch ein weiteres Jahr dauern, hat Sharif jüngst erfahren. Die italienische Bürokratie ist schlichtweg überfordert.

Ein Mann und ein Junge in einem Flüchtlingslager in Sizilien (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Warten auf ein neues Leben in EuropaBild: DW/K. Hoffmann

Gefangene ohne Rechte

Sharif muss nur Geduld haben. Viel härter betroffen von den verstopften Amtswegen sind jene Immigranten, die in einem der Identifierungs- und Abschiebelager eingeschlossen sind, den sogenannten "CIE". Bis zu 18 Monate können dort illegale Einwanderer auch ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden, zur Identifizierung, wie es heißt. Wer kann, der flieht über die bis zu vier Meter hohen Gitterzäune, wie ein Anwohner des Lagers von Trapani-Milo auf Sizilien schildert. "Gerade eben sind wieder ein paar ausgerissen und haben das Weite gesucht. Das passiert hier inzwischen täglich. Nachts kann man kaum mehr schlafen, wegen dem Lärm im Lager. Schreie? Ja, die Leute im Lager schreien und revoltieren."

Das italienische Aufnahmesystem für Einwanderer ist vollkommen überfordert. Während der Staat versucht, mit exemplarischen Haftmethoden für illegale Immigranten für Abschreckung zu sorgen, fliehen viele der Boat-People sowohl gleich nach ihrer Ankunft aus den Erstaufnahmelagern, wie auch aus den geschlossenen Flüchtlingscamps. Die Wachmannschaften geben offen zu, dass sie gegen die Massenflucht von oft Hunderten von Migranten machtlos sind, weil sie zahlenmäßig weit unterlegen sind und sich weigern, Gewalt anzuwenden. Außerdem schaffen die Flüchtigen den dringend benötigten Platz für Neuankömmlinge. Italiens Innenminister Angelino Alfano von der Mitte-Rechts-Partei PdL hat jetzt den Bau weiterer Flüchtlingslager angekündigt. Man werde die Kommissionen verstärken, die die Asylanträge zu prüfen haben und die Einrichtungen zur Aufnahme der Asylbewerber ausweiten, "bis zu einer Kapazität von 16.000 Plätzen im ganzen Lande", sagte Alfano.

Angelino Alfano (Archivfoto: AP)
Kritisiert das europäische Asylrecht: Innenminister AlfanoBild: AP

Italiens Kritik am europäischen Asylrecht

Ob das an der Tatsache etwas ändert, dass ein Großteil der Immigranten sich auch ohne Papiere von Italien aus auf den Weg in andere europäische Länder macht, ist fraglich. Deshalb hat Alfano auch gleich eine massive Initiative Italiens gegen das geltende Europäische Recht angekündigt, wonach jeder Immigrant in dem europäischen Land zu bleiben hat, das er zuerst betritt. "Sizilien ist nicht nur Italiens Grenze, sondern auch die europäische Außengrenze. Die Menschen auf den Booten kommen doch nicht hierher, um sich an unsere Strände zu legen. Sondern sie wollen weiter in andere europäische Länder, zu ihren Verwandten. Wir werden uns mit aller Macht dafür einsetzen, dass das europäische Asylrecht in diesem Punkt geändert wird. Europa kann nicht verlangen, dass wir uns um die Immigranten kümmern ohne selbst einen Finger zu rühren“, sagte Alfano. Auch Italiens Parlamentspräsidentin Laura Boldrini, die frühere Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissars in Rom, rügte die bisherige europäische Flüchtlingspolitik nach der Katastrophe in Lamepdusa. In den 28 Mitgliedsstaaten der EU gebe es 28 verschiedene Regelungen für Asylbewerber und Immigranten. Wenn in diesen Punkten die Mitgliedsstaaten nicht auf einen Teil ihrer Gesetzeshoheit verzichten, dann könne auch nicht von einer Europäischen Union die Rede sein.

Eine harsche Kritik auch am eigenen Land: So verbieten die italienischen Gesetze den Fischern, Bootsflüchtlinge an Bord zu nehmen, solange deren Boote noch schwimmfähig sind. Die Fischer müssen vielmehr per Funk die Einsatzzentrale in Rom informieren, die dann die Küstenwacht alarmiert. Diese Zeitverzögerung hat möglicherweise zahlreichen Menschen bei der jüngsten Katastrophe von Lampedusa das Leben gekostet. Innenminister Alfano verteidigte diese Gesetzesregeln noch wenige Tage vor dem Unglück in Lampedusa: "Wir werden nicht zulassen, dass die Anlandung von Flüchtlingsbooten zu einem Sicherheitsrisiko für uns wird. Italien ist ein gastfreundliches Land, aber unsere Bürger haben das Recht, in Sicherheit und Freiheit zu leben."

Flüchtlingslager in Sizilien (Foto: DW/Karl Hoffmann)
Wer kann, flieht über meterhohe GitterzäuneBild: DW/K. Hoffmann

Nach dem Unglück von Lampedusa ist es nun an der Zeit, auch über Sicherheit und Freiheit von Migranten zu diskutieren. Das wollen die EU-Innenminister jetzt tun.