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Was die Ukraine von der NATO erwartet

Roman Goncharenko2. September 2014

Der Krieg in der Ostukraine steht im Mittelpunkt des NATO-Gipfels in Wales. Die Allianz möchte Kiew helfen, ohne direkt in den Konflikt einbezogen zu werden. In der Ukraine sind die Erwartungen deshalb gedämpft.

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Poroschenko und Rasmussen
Bild: Reuters

Die alphabetische Sitzordnung wird dafür sorgen, dass Petro Poroschenko starke Nachbarn an seiner Seite hat. Beim Treffen der Ukraine-NATO-Kommission am ersten Tag des NATO-Gipfels am Donnerstag im walisischen Newport dürfte der Präsident der Ukraine von seinem US-Kollegen Barack Obama und dem britischen Premier David Cameron flankiert sein.

Ausgerechnet die USA und Großbritannien gaben vor 20 Jahren der Regierung in Kiew schriftliche Sicherheitsgarantien. Die Ukraine besaß das von der Sowjetunion geerbte drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt und gab es auf. Auch Russland unterzeichnete 1994 in Budapest das Memorandum über Sicherheitsgarantien für die Ukraine, sieht sich aber heute nicht mehr daran gebunden. Ob die russische Annexion der Krim oder der Krieg gegen Separatisten im Osten des Landes, die Ukraine sieht sich immer mehr in einem unerklärten Krieg mit Russland verwickelt. Deshalb sucht die ukrainische Regierung Schutz bei westlichen Mächten.

Hilferufe aus Kiew werden lauter

Seit März bittet Kiew auch die NATO um Hilfe. Viel bekommen hat man bisher nicht. Die Allianz schickte eine kleine Gruppe ziviler Berater, um die Sicherheit der ukrainischen Atomkraftwerke bei möglichen Kampfhandlungen zu verbessern. "Um militärische Hilfe haben wir nicht gebeten", sagte damals der Interimsaußenminister Andrij Deschizja.

Doch je länger die Kämpfe in der Ostukraine dauerten, umso lauter wurden Hilferufe aus Kiew. Die NATO reagierte im Juni mit der Einrichtung von Fonds, um der ukrainischen Armee bei der Modernisierung zu helfen. Nach NATO-Angaben handelt es sich um Projekte in einem Umfang von bis zu 14 Millionen Euro. Das Geld stehe in den kommenden zwei bis drei Jahren zur Verfügung und sei für den Ausbau von Kommandostrukturen, Logistik und Cyberschutz vorgesehen.

Ukrainische Panzer bei Kämpfen in Ostukraine
Die ukrainische Armee muss im Osten schwere Verluste hinnehmenBild: Reuters

Deschizjas Nachfolger im Amt, Pawlo Klimkin, bat die NATO Mitte August zum ersten Mal in einem Deutschlandfunk-Interview um Militärhilfe. Die Allianz reagierte bisher zurückhaltend. Man könne als Organisation keine militärische Hilfe leisten und zum Beispiel Waffen liefern, dies sei Sache einzelner Staaten, sagte der scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Hoffnung auf USA und Osteuropa

Was genau die NATO für die Ukraine tun kann, wird nun auf dem Gipfel in Wales entschieden. Der ukrainische Präsident Poroschenko sagte im Vorfeld, sein Land brauche keine ausländischen Soldaten. Es gebe Bedarf an Informationen westlicher Geheimdienste, sowie an nichttödlichen Waffen, so Poroschenko.

Valentin Badrak, Direktor des Kiewer Zentrums für Armeestudien, meint hingegen, die Ukraine benötige durchaus schwere Waffen aus dem Ausland. "Die ukrainische Armee wurde seit 23 Jahren nicht modernisiert", sagte der Experte in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. "Erstens brauchen wir Panzerabwehrlenkwaffen und Drohnen, zweitens Hubschrauber und stärkere Luftabwehrsysteme". Badrak schätzt die aktuelle Lage in der Ostukraine als kritisch ein. Die Ukraine sei im Krieg mit Russland und der russischen Armee deutlich unterlegen: "Ohne westliche Hilfe könnte es so weit kommen, dass es die Ukraine als unabhängigen Staat auf der Karte nicht mehr geben wird".

Der Westen reagiere zu langsam, kritisiert Badrak. Vom NATO-Gipfel in Wales erwartet er nicht viel. "Ich sehe keine Möglichkeit für weitreichende Entscheidungen", sagte der Experte. Bessere Chancen auf konkrete Hilfe sieht Bardak beim Besuch des ukrainischen Präsidenten in den USA Mitte September. Da die Ukraine schnell Hilfe brauche, könnten auch osteuropäische Länder, wie Polen oder Rumänien, Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern, um dann selbst von den USA neue und moderne Waffen zu bekommen, schlägt Badrak vor.

Valentin Badrak
Militär-Experte Badrak: Ukraine braucht sofort westliche HilfeBild: cc-by-News UTR

Immer mehr Ukrainer wollen in die NATO

Bei der Hilfe für die Ukraine werde die NATO von zwei Faktoren gebremst, sagen Beobachter in Kiew. Zum einem bemühe sich das westliche Militärbündnis, Russland nicht zusätzlich zu provozieren. Zum anderen sei die Ukraine kein NATO-Mitglied und habe deshalb keinen Anspruch auf militärischen Beistand der 28 Mitgliedstaaten.

In der Tat bemüht sich die Ukraine seit über zehn Jahren um eine NATO-Mitgliedschaft. Beim Gipfel in Bukarest 2008 wurde der damalige prowestliche ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko jedoch ausgebremst. Die NATO beschloss, dass die Ukraine zwar Mitglied werden könnte, ein konkretes Datum wurde aber nicht genannt. Juschtschenkos Nachfolger Viktor Janukowitsch beendete den Kurs auf eine NATO-Mitgliedschaft.

Seit dem jüngsten Machtwechsel in Kiew bemüht sich der neue Präsident Poroschenko erneut um eine euroatlantische Integration. Die Regierung will per Gesetz den neutralen Status der Ukraine aufgeben.

Die Annäherung an die NATO hat inzwischen mehr Unterstützung im Volk als früher. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Ukrainer befürworteten in einer Umfrage vom Mai eine NATO-Mitgliedschaft ihres Landes. 36 Prozent waren dagegen. Noch im April war es genau umgekehrt.