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Gleiche Chancen für alle?

Gaby Reucher4. Mai 2012

Jeder Mensch sollte die gleichen Lebenschancen haben und nicht aufgrund von sozialer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Alter benachteiligt werden. Die Realität sieht allerdings anders aus.

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Die Hand eines Studenten im Hörsaal (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Gleichheit war eins der großen Themen der englischen Liberalisten im 18. Jahrhundert. Das Bürgertum wollte seine Rechte gegenüber dem privilegierten Adel stärken. Jeder sollte die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, welche Chancen er auf seinem Lebensweg ergreift. Soziale Gerechtigkeit war dabei allerdings nicht das vorherrschende Thema. Frauen etwa mussten sich in Europa noch Ende des 19. Jahrhunderts ein demokratisches Mitspracherecht in der Politik erkämpfen. Wenn es in Deutschland um gleiche Chancen auf dem Arbeitmarkt und gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit geht, sind Frauen auch heute noch benachteiligt.

Chancengleichheit in der Bildung

Auch in Schule und Ausbildung werden Jungen und Mädchen nicht in allen Weltregionen gleich behandelt. Das will die UNESCO mit ihrem Aktionsplan "Bildung für alle" ändern. 164 Staaten haben sich unter anderem darauf verständigt, Kindern eine kostenlose Grundbildung zu ermöglichen, die Analphabetisierungsquote unter Erwachsenen zu halbieren und eine Gleichberechtigung der Geschlechter zu gewährleisten. "Jeder hat das Recht auf Bildung. Je mehr wir darauf bestehen, je mehr Regierungen das wahrnehmen und in ihre Gesetze einbinden, desto mehr wird es zur Erwartung", hofft Mark Richmond, Leiter für den Interdisziplinären Bereich Bildung und Nachhaltige Entwicklung der UNESCO.

Ein Kind in Indien hält ein Schild in der Hand, auf dem es Chancengleichheit in der Bildung fordert (Foto: AP)
Jeder hat das Recht auf BildungBild: AP

Chancengleichheit, eine Illusion?

Aus humanitärer Sicht müssten Forderungen nach Chancengleichheit in der Bildung eigentlich bei allen ein offenes Ohr finden, doch das Thema ist umstritten.

Wirtschaft und Politik haben ein Interesse daran, Menschen mit besonderer Begabung auch besonders zu fördern, damit sie später Spitzenpositionen besetzen. Bei einer solchen Eliteförderung haben Kinder, die bereits aus einem akademischen Elternhaus kommen, klare Vorteile. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Lehrer Kindern aus der Mittelschicht intuitiv eher zutrauen, einen höheren Bildungsweg zu gehen, als Arbeiterkindern. Allein die Sprache verrate bereits, aus welchem sozialen Milieu jemand komme und beeinflusse die Entscheidung bei Vorstellungsgesprächen, egal ob es um einen Studienplatz oder um eine leitende Position auf dem Arbeitsmarkt gehe. Für viele bleibe das Thema Chancengleichheit in der Bildung deshalb ein Ideal, eine Illusion, die nie erreicht werde.

Das Recht auf Grundbildung ist nicht alles

Die meisten industrialisierten Länder haben eine Schulpflicht und lösen so zumindest das Recht auf eine Grundbildung ein. Pauline Rose, bei der UNESCO zuständig für den jährlichen Weltbildungsbericht, kennt die Zahlen: "Obwohl in vielen Ländern immer mehr Kinder die Möglichkeit haben, eine Schule zu besuchen, gibt es noch 67 Millionen Kinder, die dies nicht tun." In Deutschland ist der Schulbesuch an einer öffentlichen Schule bis zur Hochschulzugangsberechtigung, dem Abitur, kostenlos. Jeder hat also rein formal die Chance, einen Abschluss zu machen, der zum Studium berechtigt. Trotzdem belegt Deutschland unter den führenden Industrienationen einen der hintersten Plätze, wenn es um Chancengleichheit in der Bildung geht.

Ein Schüler hat das Abiturzeugnis in der Tasche (Foto: Fotolia/Eva Kahlmann
In Deutschland ist der Schulbesuch bis zum Abitur kostenfreiBild: Fotolia/Eva Kahlmann

Den Zugang zu Bildung gewährleisten

In den ärmeren Ländern verhindern oft Korruption und Armut gleiche Bildungschancen. Armen Familien fehlen schlicht die finanziellen Mittel, um Schulgeld zu bezahlen, Bücher zu kaufen und sich die Schuluniform für die Kinder zu leisten. In Deutschland, so sagen Kritiker, sei bereits das Schulsystem ungerecht. So wird in den meisten Bundesländern nach vier Grundschuljahren entschieden, ob Kinder eine Schullaufbahn einschlagen können, die zum Studium führt. Zu früh, sagen die Kritiker. Kinder aus unteren sozialen Schichten, insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund, würden dabei ins Hintertreffen geraten. Nachhilfestunden oder Privatschulen können sich auch hierzulande ärmere Familien nicht leisten. Die formale Chance, der Zugang zu Bildung ist zwar gewährleistet, aber es fehlt eine gezielte Förderung, um eine solche Chance zu ergreifen.

Das hat auch der Verein "Arbeiterkind.de" erkannt. Die Mitarbeiter ermutigen Kinder aus sogenannten "bildungsfernen Haushalten", ein Studium zu ergreifen. "Viele denken, wenn man Abitur hat, dann geht man doch auch studieren, aber da zeigen die Statistiken, dass das nicht so ist", sagt Katja Urbatsch, die Gründerin von Arbeiterkind.de. Nur 50 Prozent der Kinder mit Abitur aus Nicht-Akademikerfamilien ergreifen in Deutschland ein Studium. "Wir unterstützen diese Kinder dann auch als Studierende bis zum Abschluss".

Der Markt bestimmt die Förderung von Bildung

Wenn Staaten in Bildung investieren, dann tun sie das nicht immer aus einer humanitären Einsicht heraus. Oft steckt ein wirtschaftliches Interesse dahinter. Dort wo Rohstoffe knapp werden könnten, wie etwa in den Arabischen Emiraten, wird verstärkt in Bildung investiert. Dort wo Naturwissenschaftler und Ingenieure fehlen, werden Gelder für Stipendien bereitgestellt. Dort wo Universitäten im Wettbewerb um Studierende stehen, werden die Serviceleistungen verbessert und Studiengebühren abgeschafft. Der Staat unterstützt solche Bildungsmaßnahmen, um Nachwuchs für bestimmte Arbeitsbereiche zu generieren. Auch Unternehmen investieren oft dann in die Ausbildung, wenn Fachkräfte fehlen, wie etwa in Deutschland oder den USA.

Ein Doktorand der Technischen Universität Chemnitz arbeitet im Labor der Fakultät Maschinenbau (Foto: dpa)
Im Wettbewerb um kluge Köpfe wird verstärkt in Bildung investiertBild: picture-alliance/dpa

Echte Chancengleichheit in der Bildung wird für die UNESCO deshalb auch in den Industrienationen noch lange ein Thema sein, meint Marc Richmond: "Selbst in hochentwickelten Ländern gibt es immer noch Bevölkerungsgruppen, die nicht das gleiche Bildungsniveau erreichen wie der Rest. Es wird also ein ewiger Kampf bleiben."