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"Friedliche Lösung" in Afghanistan?

Gabriel Dominguez/ cb11. Juli 2014

US-Außenminister John Kerry ist auf Besuch in Afghanistan. Eine Wahlkrise droht, das Land weiter zu spalten. Analyst Scott Smith sagt im DW-Interview, dass die USA keine Parallelregierung dulden werden.

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Kerry in Afghanistan 11.07.2014 mit Ghani
Kerry traf sich in Kabul mit Präsidentschaftskandidat Aschraf GhaniBild: Reuters

Die Mission ist klar: US-Außenminister John Kerry will die Lage in Afghanistan entschärfen. Nach den umstrittenen Präsidentenwahlen verschlimmert sich dort die Situation und führt zu massiven Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen.

Laut den vorläufigen Ergebnissen der Stichwahl ist der frühere Wirtschaftswissenschaftler Aschraf Ghani der Gewinner. Er erreicht 56,4 Prozent der Stimmen. Doch der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, der die erste Runde der Abstimmung gewonnen hatte, erkennt das Ergebnis nicht an. Seine Berater haben gedroht, eine Parallelregierung aufzubauen.

Ghani kündigte laut der Nachrichtenagentur AFP eine "umfassende und gründliche Überprüfung" der Wahlergebnisse an. Abdullah, der Wahlfälschung in großem Ausmaß vermutet, begrüßt nach Medienberichten den Besuch von Kerry. Die USA sind der größte ausländische Finanzier Afghanistans und bereiten gerade den Abzug ihrer Truppen aus dem Land vor, nachdem sie dort seit 13 Jahre gegen die Taliban kämpfen.

Scott Smith, Leiter des Afghanistan- und Zentralasien Programmes des United States Institute of Peace, sprach mit der DW über die Rolle der USA bei der Lösung der afghanischen Wahlkrise.

DW: Was ist der Zweck von John Kerrys Besuch in Afghanistan?

Scott Smith: Zunächst einmal ist der Besuch eines so hohen Regierungsmitglieds von symbolischer Bedeutung. Es ist ein Zeichen dafür, wie wichtig den USA eine friedliche Lösung der Wahlkrise ist. Außerdem hat Kerry eine Schlüsselrolle gespielt, als es nach den Präsidentschaftswahlen 2009 ähnliche Unstimmigkeiten gab zwischen Präsident Karsai, der zur Wiederwahl stand, und seinem Herausforderer Abdullah. Die US-Regierung hofft sicherlich, dass Kerrys Erfahrung und sein diplomatisches Talent helfen werden, eine Lösung zu finden, die für alle Beteiligten akzeptabel ist.

Scott Smith. (Foto: USIP)
Smith: "Die USA nehmen die Situation sehr ernst"Bild: USIP

Weder Ghani noch Abdullah ist bereit, einen Kompromiss einzugehen. Wo steht die US-Regierung?

Die Position der Regierung hat zwei Bestandteile: Der Konflikt soll nicht mit Gewalt gelöst werden und niemand darf gegen die Verfassung verstoßen. Mit anderen Worten, die USA wollen, dass die Wahl durch Zählung der Stimmen entschieden wird. Sie haben aber auch betont, dass die vorläufigen Zahlen der Unabhängigen Wahlkommission genau das sind: vorläufig und nicht abschließend.

Was kann die USA tun, um die Präsidentschaftskandidaten dazu zu bringen, einen Kompromiss einzugehen?

Das größte Druckmittel der USA ist die Drohung, finanzielle Unterstützung und Sicherheitskräfte abzuziehen, sollten die Kandidaten bei dem Versuch an die Macht zu kommen gegen die Verfassung verstoßen. Aber dieses Druckmittel ist schwierig festzusetzen und auch nicht allzu stark, weil Präsident Obama im Mai angekündigt hat, dass das amerikanische Militär nach 2014 sowieso nur noch zwei Jahre im Land sein wird.

Die aktuelle Situation hat die Hoffnung auf eine problemlose Machtübergabe zunichte gemacht. Was wären die USA bereit zu tun, wenn die Situation eskaliert?

Niemand will, dass das passiert. Bei der Aufstellung einer Parallelregierung würden die USA ihre Unterstützung einstellen. Praktisch und logistisch gesehen wäre so eine Einstellung aber schwierig, da die USA immer noch rund 30.000 Soldaten in Afghanistan haben. Es müsste eine zeitweise Zusammenarbeit mit der Regierung geben. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird.

Wahrscheinlicher ist ein Szenario, in dem Gewaltausbrüche zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu Chaos führen. Das könnte zu einer Spaltung der afghanischen Sicherheitskräfte entlang ethnischer Grenzen führen. Dann wäre die Rückkehr zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation möglich. US- und internationale Truppen würden Wege finden, sich dem zu entziehen, aber das Afghanistan, das sie zurücklassen würden, wäre eine Tragödie.

Afghanistan Stichwahl für das Präsidentenamt 14.6.2014
Afghanen bei der Stichwahl für das Präsidentenamt am 14.06.2014Bild: DW/Aser

Wie stärkt der aktuelle politische Aufruhr die Taliban und ihre Ambitionen?

In letzter Zeit ist die Gewalt im Land sprunghaft angestiegen. Die derzeitige politische Unsicherheit hat den Taliban die Gelegenheit gegeben, wieder zu erstarken. Die Regierung versinkt im Chaos. Der Polizeichef von Kabul wurde entlassen und wenige Tage später ersetzt. Durch die politische Unsicherheit auf höchster Ebene ist eine Verletzbarkeit entstanden, die die Taliban ausnutzen.

Zur Beschuldigung der Wahlfälschung und den Vorwürfe gegen die Wahlkommission: Kann man sagen, dass es der internationalen Gemeinschaft nicht wirklich gelungen ist, Demokratie in dieses vom Krieg gebeutelte Land zu bringen?

Das ist eine komplizierte Frage. Ich habe nie geglaubt, dass es die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft war, Demokratie nach Afghanistan zu bringen. Demokratie, die nicht in der Bevölkerung verankert ist, ist doch schon per Definition nicht demokratisch. Deswegen ist der Gedanke, dass die internationale Gemeinschaft Demokratie in einem Drittland etablieren kann, ob nun vom Krieg zerrüttet oder nicht, ein kategorischer Fehler.

Abdullah Abdullah mit jubelnden Unterstützern. (Foto: REUTERS/Omar Sobhani)
Abdullah und seine Unterstützer feiern sich nach der ersten Wahlrunde als SiegerBild: Reuters/Omar Sobhani

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft lag darin, beim Aufbau von Institutionen zu helfen, die es den Afghanen ermöglichen, wichtige Entscheidungen über ihre politische Zukunft selbst zu treffen. Ich selbst bin seit 2002 an diesen Bemühungen von internationaler Seite beteiligt. Aber die Ereignisse seit der Stichwahl zwingen mich in Betracht zu ziehen, dass die afghanischen Wähler möglicherweise offener für Demokratie sind als die afghanischen Eliten.

Scott Smith ist Leiter des Afghanistan- und Zentralasien Programmes des United States Institute of Peace in Washington.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.