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Tunesien: Wahhbiten auf dem Vormarsch

Katharina Pfannkuch17. Dezember 2013

Tunesien gilt nicht nur als Wiege des Arabischen Frühlings. Es gilt auch als Land eines liberalen Islams. Aber Salafisten, die sich auf wahhabitische Lehren berufen, wollen das ändern - auch mit Gewalt.

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Arabischer Frühling Sidi Bouzid
Bild: DW/K.Pfannkuch

Man sieht sie überall: Vor Moscheen, hinter kleinen Straßenständen, an Universitäten. Sie fahren Taxi, betreiben Teehäuser und Internetcafés und bekennen sich offen zu ihrer ultra-orthodoxen Auslegung des Islams: "Natürlich bin ich ein Salafist, das sieht man doch!", lacht der 24-jährige Ahmed, der Duftöle vor der Al Fath-Moschee in Tunis verkauft. Er trägt einen Bart nach Art des Propheten, sein langes Hemd reicht ihm über die Knie, die Hose endet auf Knöchelhöhe.

So wie Ahmed machen viele Tunesier nach der Revolution keinen Hehl daraus, Anhänger des Salafismus zu sein. Sie begeistern sich für Prediger wie Muhammad al-Arifi aus Saudi-Arabien und den Ägypter Muhammad Hassan. Sie verbreiten die strenge wahhabitische Lehre, die ihrerseits den Salafismus maßgeblich beeinflusst.

Missionierung via Prediger, TV und Internet

Al-Arifi, der auch im Fernsehen und Internet eine große Fangemeinde hat, besuchte Tunesien im vergangenen November; Muhammad Hassan predigte dort im April. Unter Ben Ali wären solche Auftritte undenkbar gewesen. Mit medialen Vorreitern wie al-Arifi und saudischen Fernsehsendern wie "Iqraa" gewinnen Salafismus und Wahhabismus in Tunesien immer mehr Anhänger. An Universitäten und Schulen umwerben Salafisten Tunesiens Jugend, verteilen Broschüren mit wahhabitischen Texten aus Saudi-Arabien.

Auch der Blogger Bader Lanouar aus dem Küstenort Sousse nennt sich Salafist. Er versteht den Erfolg der wahhabitischen Prediger in seiner Heimat: "Prediger wie al-Arifi sind für viele Tunesier wie eine Erlösung. Sie erreichen mehr Menschen als jede politische Partei oder Organisation". Für Lanouar liegt die Erklärung auf der Hand. "Fast ein halbes Jahrhundert lang wurde in Tunesien Krieg gegen den Islam geführt. Die Tunesier versanken in Unwissen über ihre Religion und entfernten sich von ihr." Die Ideen des Wahhabismus-Begründers, Muhammad Ibn Abd al-Wahhab, könnten viel korrigieren, sagt der 34-Jährige.

Die wahhabitische Lehre ist einfach gehalten

Unter dem Regime Ben Alis wurde religiöse Bildung in Tunesien bewusst vernachlässigt - für Lanouar einer der Gründe dafür, dass die strenge Ausrichtung des Islam, die nun aus der Golfregion nach Tunesien strömt, so gut ankommt: "Die Bücher von Muhammad Abd al-Wahhab sind einfach gehalten, sie richten sich an die muslimische Basis". Lanouar nutzt heute das Internet: Mit seinem "SLF Magazine" betreibt er den ersten "Lifestyle-Blog für moderne Salafisten" - mit zunehmendem Erfolg. Die Leserschaft wächst, die internationale Presse berichtet über Lanouars Artikel, die sich mit Mode, Technik sowie religiösen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen.

Lanouar provoziert: Seine zynisch anmutenden Schlagzeilen wie "Djhadisten, die Superhelden der Moderne?" spielen mit Klischees. Er will Wahhabismus und Salafismus das ernste, bedrohliche Image nehmen: "Wir wollen die Botschaft des wahren Islam mit einer Prise Humor und Jugendlichkeit verbreiten. Vielleicht können wir sogar Barrieren abbauen".

Mausoleen von Salafisten zerstört

Die Mehrheit der tunesischen Muslime folgt der Rechtschule der Malikiten. Diese gilt im Vergleich zur hanbalitischen Schule, die den Wahhabismus in Saudi-Arabien dominiert, als liberal. Zudem ist der sogenannte Volksislam mit seiner Verehrung von Heiligenfiguren und Mausoleen in Tunesien weit verbreitet. Wahhibiten und Salafisten aber lehnen Heiligenverehrung und Mausoleen als Götzendienst ab und demonstrieren das auch: Bis zu 80 Mausoleen wurden seit Ende 2012 in Tunesien von Salafisten zerstört.