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Die zwei Gesichter des ATT

Alexander Drechsel24. Dezember 2014

Weihnachten tritt der UN-Vertrag über den Waffenhandel (ATT) in Kraft. Die deutsche Rüstungsindustrie begrüßt das Abkommen ausdrücklich. Erhofft sie sich neue Absatzmärkte in Schwellenländern?

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Anti-Kriegs-Skulptur vor dem UN-Hauptquartier (Foto: imago)
Bild: imago stock&people

Eigentlich - so sollte man meinen - müssten sich Hersteller von Kriegswaffen und Rüstungsgütern dagegen sträuben, wenn der weltweite Handel mit diesen todbringenden Waren reglementiert wird. Doch die deutsche Rüstungsindustrie schlägt ganz andere Töne an: "Wir halten den UN-Vertrag über den Waffenhandel, der hinter dem Begriff ATT steht, für ein wichtiges, weltweites anerkanntes Vertragswerk, das hoffentlich dazu führen wird, dass der unkontrollierte Waffenhandel eingegrenzt wird." Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch, war im DW-Interview voll des Lobes für den "Arms Trade Treaty" (ATT). Allerdings, so ist er überzeugt, werde der internationale Vertrag, der am 24.12.2014 in Kraft tritt, für die deutschen Produzenten keine direkten Auswirkungen haben. Die deutschen Gesetze für den Export von Waffen und Rüstungsgütern seien wesentlich strenger als die Regeln des ATT.

Diese Einschätzung teilt auch einer der größten Kritiker der deutschen Rüstungsexportpolitik, der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken: "Die Standards des ATT sind so niedrig, dass es keinen einzigen Waffenexport geben wird, der dadurch eingeschränkt wird." Aber der Vertrag sei auf jeden Fall ein guter Schritt, sagte der Politiker der Linksfraktion der DW: "Wir haben damit zum allerersten Mal überhaupt eine weltweite Regelung, was Waffentransfers angeht." Doch es müsse weiter verhandelt werden, um "die Standards beim ATT anzuziehen".

Jubel nach UN-Abstimmung

Als der Vertrag mit überwältigender Mehrheit von den UN-Mitgliedsstaaten im April 2013 auf den Weg gebracht wurde, waren die Stimmen weitaus euphorischer. Von "historisch" und "einem Meilenstein" war seinerzeit die Rede. Kritiker merkten aber an, der Vertrag sehe keine Strafen bei Verstößen vor. Auch können Waffenexporte verschwiegen werden, wenn ansonsten Geschäftsgeheimnisse offenbart würden oder es im Interesse der nationalen Sicherheit sei.

Plenarsitzung der UN-Vollversammlung (Foto: AFP)
154 Staaten stimmten 2013 für den ATTBild: Timothy a. Clary/AFP/Getty Images

Andererseits gibt es einige festgeschriebene Regeln: So dürfen die ATT-Vertragsstaaten keine Kriegswaffen, Munition oder bestimmte Rüstungskomponenten exportieren, wenn die UN ein Waffenembargo gegen den Empfängerstaat verhängt haben oder die gelieferten Waffen für Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet werden. Doch nach diesen klaren Verbotsregeln wird der Vertrag unschärfer: Könnten mit den gelieferten Waffen der Frieden, internationales humanitäres Recht oder grundlegende Menschenrechte untergraben werden, soll der geplante Export streng geprüft werden. Gleiches gilt bei der Gefahr, dass die Waffen Terroristen oder international operierenden Kriminellen in die Hände fallen.

Schwieriger Blick in die Zukunft

Es gibt zahlreiche Beispiele, dass eine solche Überprüfung eigentlich unmöglich ist. Ein großes Problem ist beispielsweise die Langlebigkeit von Waffen und Munition. Als in den 1970er Jahren deutsch-französische Panzerabwehrraketen nach Syrien verkauft wurden, war nicht absehbar, dass sie fast 40 Jahre später von dschihadistischen Kämpfern erbeutet und im Bürgerkrieg gegen westliche Verbündete eingesetzt werden.

Jan van Aken (Foto: DW/A. Drechsel)
Jan van Aken will deutsche Rüstungsexporte beschränkenBild: Jan van Aken

Wichtige Exportnationen fehlen

Insofern verwundert es nicht, dass Rüstungslobbyist Adamowitsch und Exportkritiker van Aken derselben Auffassung sind: Direkte Auswirkungen auf deutsche Waffenausfuhren wird der ATT nicht haben – aber während Adamowitsch für seine Branche keine Einschränkungen sieht, will van Aken weiter gehen, um schärfere Regeln zu etablieren und Exporte zu beschränken. Beide wünschen sich auch, dass noch mehr Staaten dem Vertrag beitreten – völkerrechtlich verbindlich ist er bislang lediglich für 57 Länder, auch Deutschland zählt dazu. Andere große Waffenexportnationen wie etwa Russland oder China haben den Vertrag dagegen nicht unterzeichnet.

Profitiert Deutschlands Waffenbranche indirekt?

An diesem Punkt sieht Wissenschaftler Michael Ashkenazi vom Bonn International Conversion Center (BICC) dann doch Wirtschaftsinteressen der deutschen beziehungsweise westlichen Rüstungsindustrie berührt: "Einige westliche Staaten wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen mit Ländern wie China, Russland, der Ukraine und so weiter. Die verkaufen in alle Welt, ohne Rechenschaft abzulegen oder humanitäre Anliegen zu berücksichtigen."

Aus der Luft gegriffen ist dieses wirtschaftliche Interesse nicht. Für Deutschland saß bei den ATT-Verhandlungen das Auswärtige Amt mit am Tisch – es war sogar eine der treibenden Kräfte bei den langwierigen Gesprächen. Jedoch waren es nicht die Diplomaten der Abteilung Rüstungskontrolle, die den Vertrag verhandelten; es waren Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung. "Der ATT ist ein Vertrag zur Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern durch die Schaffung von rechtlich bindenden, weltweit einheitlichen Mindeststandards", teilte das deutsche Außenministerium der DW mit. "Die Ansiedlung innerhalb des Auswärtigen Amtes bei der für Rüstungsexportfragen federführenden Wirtschaftsabteilung ist deshalb sachnah." Die Bundesregierung selber sieht demnach Wirtschaftsinteressen im Vordergrund.

Schwellenländer im Fokus

Industriesprecher Adamowitsch verneint ein direktes Wirtschaftsinteresse Deutschlands am ATT. Indirekt könnte die deutsche Rüstungsindustrie aber dennoch vom Vertrag profitieren. Fragwürdige Empfängerländer kaufen ihre Waffen bislang bei Lieferanten, denen die Verwendung fast egal ist. Wenn aber immer mehr Empfängerländer die ATT-Standards anwenden, können sie auch von anderen Staaten kaufen – vielleicht auch von Deutschland. Adamowitsch formuliert es so: "Es ist gut, dass auf Grundlage dieses Vertrages gerade im Bereich der Schwellenländer ein rechtlicher Maßstab da ist, nachdem diese Länder ihre eigenen Export- und Importüberlegung politisch zu entscheiden haben. Das gibt allen Seiten eine stärkere rechtliche Sicherheit und wird hoffentlich dazu führen, dass insbesondere Missbrauch von Waffenexporten vermieden wird."