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Wachsender Extremismus

Alexander Andreev11. Mai 2013

Die Angst vor den Folgen der Finanzkrise spielt im Wahlkampf in Bulgarien vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am 12. Mai eine große Rolle. Profiteure sind sowohl rechtsextreme als auch linkspopulistische Parteien.

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Anhänger der bulgarischen rechtsextremen Partei Ataka ((Foto:Oleg Popov/AP/dapd)
Anhänger der bulgarischen rechtsextremen Partei AtakaBild: AP

Wochenlang waren Anfang des Jahres Tausende Bulgaren auf die Straße gegangen. Die Demonstranten, die keiner bestimmten Partei angehörten, protestierten gegen die Auswirkungen der Finanzkrise, gegen steigende Strompreise und die wachsende Arbeitslosigkeit. In mehreren Großstädten schwenkten die Aktivisten die Nationalflagge und sangen Kampflieder aus dem 19. Jahrhundert, aus der Zeit der so genannten "Befreiung vom türkischen Joch" – einer fast 500 Jahre andauernden osmanischen Herrschaft. Zwei Menschen verbrannten sich selbst.

Am 20. Februar zog die Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissow die Konsequenzen, trat zurück und kündigte Neuwahlen für den 12. Mai 2013 an. Doch die nationalistische Stimmung ist weiterhin spürbar und beeinflusst den Wahlkampf.

Roma als Sündenböcke

Heute denkt man aber dabei nicht so sehr an die alten Osmanen. Den Demonstranten ging es um eine andere "Fremdherrschaft“ - die der der internationalen Stromanbieter und Lebensmittelketten, die von vielen Bulgaren für die hohen Lebenshaltungskosten verantwortlich gemacht werden.

Volen Siderov, Chef der bulgarischen rechtsextremen Partei Ataka (Foto:Oleg Popov/AP/dapd)
Heizt die Massen gege "die Fremden" auf - Volen Siderov, Chef der bulgarischen rechtsextremen Partei AtakaBild: AP

Für den Kulturwissenschaftler Alexander Kiossev haben die Proteste eindeutig zu einer Eskalation der Fremdenfeindlichkeit geführt: "Solche Aufstände der Verzweifelung versuchen immer, die Schuldigen unter den so genannten Fremden zu finden. Nicht nur die Auslandsinvestoren, sondern auch die Türken und die Roma werden sehr oft Zielscheibe der Aggressionen, die durch die Präsenz von Fußballhooligans und Kriminellen noch gefährlicher werden."

Neue Feindbilder

"Die Türken", damit ist die türkischsprachige, muslimische Minderheit in Bulgarien gemeint, die etwa acht Prozent der Landesbevölkerung ausmacht. Genau so groß ist Schätzungen zufolge auch die Roma-Gemeinschaft. Für populistische Parteien wie das Bündnis 'Ataka', das sowohl im bulgarischen, als auch im Europäischen Parlament vertreten ist, sind diese zwei Gruppen in der Tat das Feindbild schlechthin. Jahrelang punktete Ataka mit Protesten gegen neue Moscheen, gegen Türkisch-Unterricht an Schulen oder mit der Behauptung, die Roma-Bevölkerung lebe auf Kosten der "echten Bulgaren", indem sie das ohnehin schwache Sozialsystem ausbeute.

Der Soziologe Andrey Raytchev sieht allerdings gegenwärtig in Bulgarien auch einen neuen Trend entstehen: "Die Proteste haben zwar keine neue Welle der Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ausgelöst, die Akzeptanz solcher gefährlicher Ideen ist jedoch gewachsen." Ataka befände sich zurzeit im Aufschwung, die Radikalisierung aber gehe weniger in Richtung Fremdenhass. "Viel eher sind es die Aufrufe zu einer 'Enteignung der fremden Kapitalisten', die für einen Teil der Bulgaren so attraktiv klingen."

Andacht in Varna, Bulgarien nach dem Tod von Plamen Goranov, der sich selbst verbrannt hat als Zeichen seines Unmut gegen die bulgarische Regierung (Foto: AP/DW)
Andacht in Varna, Bulgarien nach dem Tod von Plamen Goranov, der sich selbst verbrannt hat als Zeichen seines Unmut gegen die bulgarische RegierungBild: BGNES

Aufschwung der Radikalen

Raytchev und andere Beobachter stellen somit eine allgemeine Radikalisierung sowohl am rechten, als auch am linken Rand der Gesellschaft fest. Die gewaltbereiten Fußballhooligans, die offen homophob sind und häufig regelrecht Jagd auf Homosexuelle machen, die radikalen Nationalisten, die immer noch von Großbulgarien träumen und die allgemeinen Roma- und Türkenhasser am rechten Rand gingen plötzlich gemeinsam mit den Ultralinken und den Kommunismusnostalgikern auf die Straße. Und vor der Wahl am 12. Mai 2013 gehen mehrere Kleinparteien gerade in diesen Milieus auf Stimmenfang.

Mal fordern sie, "das Nationalvermögen an dem Volk zurückzugeben", mal versprechen sie, die Roma-Ghettos aufzuräumen und alle Langzeitarbeitslosen - gemeint sind auch hier die Roma - zur Zwangsarbeit zu verpflichten. Es seien an sich populistische Slogans, die sich aber für eine nicht unbedeutende Wählerschicht in Bulgarien sehr plausibel und politisch konsequent anhören wurden, meint der Politologe Parvan Simeonov.

Missbrauchte Strassenproteste

Sein Kollege Ognian Mintchev fasst zusammen: "Eine einstellige Prozentzahl der Bulgaren ist seit längerer Zeit für Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und rassistische Ressentiments anfällig." Die Straßenproteste hätten zwar nicht dazu beigetragen, dass diese Gruppe weiter wachse, dadurch sei es aber zu einer Radikalisierung gekommen. "Zu diesen Protesten haben auch einige populistisch argumentierende Politiker aufgerufen, die aber nicht in der Lage sind, bei der Wahl eine ernsthafte politische Unterstützung zu bekommen", meint Mintchev.

Und genau darum geht es bei der Wahl im Mai: Welche Parteien werden diese 15-20 Prozent der Wähler, die Straßenproteste aktiv unterstützt haben, für sich gewinnen können? Die beiden großen Parteien, die rechtskonservative GERB des ehemaligen Ministerpräsidenten Boiko Borissow und die sozialistische BSP, halten sich bislang mit Kommentaren zu den populistischen Slogans und den Versprechen der Protestanführer zurück. Es ist also davon auszugehen, dass eine oder zwei der radikalen Parteien den Sprung ins Parlament schaffen und die Regierungsbildung erschweren könnten.

Demonstranten in Sofia (EPA/VASSIL DONEV (c) dpa - Bildfunk)
Wochenlang gingen Bulgaren auf die Strasse um gegen die Armut zu protestierenBild: picture-alliance/dpa