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Wachsender Extremismus in Bulgarien

Tatiana Vaksberg/ Alexander Andreev22. Mai 2014

Die bulgarischen Nationalisten rechnen sich gute Chancen bei der Europawahl am 25. Mai aus. Ihre Feindbilder: Roma, die türkische Minderheit, Homosexuelle, Migranten und Flüchtlinge. Neu sind russlandfreundliche Töne.

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Volen Siderov, Vorsitzender der bulgarischen Nationalistenpartei Ataka (Foto: dpa)
Volen Siderov, Vorsitzender der bulgarischen Nationalistenpartei AtakaBild: picture-alliance/dpa

Unter den EU-Ländern hat Bulgarien mit etwa neun Prozent die verhältnismäßig größte muslimische Minderheit. Es handelt sich dabei um türkischsprachige Bürger, die im Volksmund "bulgarische Türken" genannt werden, um die bulgarischsprachigen "Pomaken" und um einen Teil der Roma-Minderheit. Da Bulgarien bis 1878 rund 500 Jahre lang Teil des Osmanischen Reiches war, hat sich die nationale Identität vor allem durch Abgrenzung von "den Türken", über eine antitürkische Rhetorik und Geschichtsschreibung entwickelt. Dadurch erklärt sich auch die heutige antitürkische Einstellung der bulgarischen Nationalisten.

Weitere Prügelknaben der bulgarischen Nationalisten sind die etwa 400.000 Angehörigen der Roma-Gemeinschaft. Auch damit punkten sie bei der Wählerschaft, denn viele Bulgaren haben starke Vorurteile gegen die Minderheit. Es gebe einen deutlichen Trend, dass Stadtviertel nach Bevölkerungsgruppen eingeteilt werden, schreibt Petya Kabakchiewa, Dekanin der Soziologischen Fakultät der Universität Sofia. Die Hälfte der bulgarischen Bürger habe den Wunsch, dass in ihrer Nachbarschaft weder Roma, noch Menschen mit afrikanischen, arabischen oder chinesischen Wurzeln lebten, so Kabakchiewa. Weniger als 30 Prozent der Befragten würden in einer Firma arbeiten wollen, in der Roma zum Führungspersonal gehören. Aber mehr als 70 Prozent hätten kein Problem damit, wenn Roma als Reinigungskräfte in ihrem Unternehmen arbeiten.

Wahlplakat der bulgarischen Nationalistenpartei (Foto: Mariya Ilcheva)
Ataka-WahlplakatBild: DW/M. Ilcheva

Fremdenfeindlich, russlandfreundlich

Zur latenten Fremdenfeindlichkeit der bulgarischen Nationalisten, die bei mehr als 20 Prozent der bulgarischen Wähler gut ankommt, kommt die immer stärkere Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge. Hintergrund ist der Zustrom Tausender syrischer Flüchtlinge über die Grenze zur Türkei, dem die bulgarischen Behörden ohnmächtig gegenüber zu stehen scheinen. Viele Bulgaren sehen diese Entwicklung mit Besorgnis, Ängste werden wach. Es ist die Reaktion einer Gesellschaft, die bislang kaum Erfahrungen mit Flüchtlingen hatte.

Neu für die Nationalisten sind aber auch die russlandfreundlichen Botschaften, die vor allem aus den Reihen der Partei Ataka kommen. "Die russlandfreundlichen Einstellungen sind ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der bulgarischen Nationalisten", erklärt Antoaneta Tsoneva, Leiterin des "Instituts für Öffentlichkeitsentwicklung" (IPED), einer Nichtregierungsorganisation in Sofia. "Diese Einstellungen sind in der Partei Ataka von Volen Siderov besonders sichtbar. Denn diese Partei sitzt auch im bulgarischen Parlament und wird von den Medien genau beobachtet."

Die Russlandfreundlichkeit der Rechtspopulisten von Ataka scheint vielleicht für eine nationalistische Partei erstaunlich. Noch erstaunlicher aber ist die Tatsache, dass Ataka zurzeit eine aus Sozialisten und Vertretern der türkischsprachigen muslimischen Minderheit bestehende Regierung in Sofia unterstützt. "Diese Regierung zu unterstützen war für Ataka ein schwerwiegender Fehler", so die Einschätzung von Emil Cohen, Leiter der Stiftung Toleranz. Er erinnert daran, dass die bisherigen Wahlerfolge von Ataka vor allem der antitürkischen Propaganda zu verdanken sind. Denn die Ultranationalisten hätten immer die Nationalgefühle der Bulgaren instrumentalisiert, in dem sie auf das sogenannte "500-jährige türkische Joch" als eine Periode der Unterdrückung der Bulgaren durch die Türken anspielten.

Antoaneta Tsoneva, Leiterin des bulgarischen Instituts für Öffentlichkeitsentwicklung (Foto: BGNES)
Antoaneta Tsoneva: "Ataka ist besonders russlandfreundlich"Bild: BGNES

"Die nationalistisch ausgerichteten Wähler konnten überhaupt nicht verstehen, wie das zusammenpasst: eine stramm nationalistische Partei, die sich mit der 'türkischen' Partei der Bewegung für Rechte und Freiheit verbindet", bilanziert Cohen. Er glaubt nicht, dass vor diesem Hintergrund Ataka sehr große Chancen bei der EU-Wahl hat. Daraus könnten aber andere nationalistische Parteien wie die "Nationale Front für die Rettung Bulgariens" (NFRB) profitieren, so Cohen. "Ideologisch gibt es da kaum Unterschiede zu Ataka, allerdings hat die NFRB mehr Chancen auf Erfolg, weil die Partei weder im bulgarischen, noch im Europäischen Parlament vertreten und noch keinen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt ist", meint der Experte.

Neue Nationalisten mit Chancen

Seit seinem EU-Beitritt 2007 wird Bulgarien von der EU-Kommission immer wieder wegen der grassierenden Korruption und schlecht funktionierenden Justiz scharf kritisiert. Die Vetternwirtschaft und Selbstbedienungspolitik der im Parlament vertretenen Parteien sind auch für die bulgarische Bevölkerung ein rotes Tuch. Auch deswegen verlieren die Nationalisten von Ataka langsam an Wählerunterstützung. Die NFRB wurde 2011 von enttäuschten ehemaligen Ataka-Politikern gegründet. Die Rhetorik der Partei richtet sich vor allem gegen die angeblich hohen Geburts- und Kriminalitätsraten unter "Zigeunern". Im Parteiprogramm ist die Forderung festgeschrieben, Roma-Kindern den Zugang zum öffentlichen Bildungssystem zu verweigern, falls sie kein Bulgarisch sprechen. Die NFRB will auch Moschee-Neubauten, islamische Gottesdienste und Kopftuchträgerinnen bekämpfen. Unter den Angriffszielen der Nationalisten findet sich auch die in Bulgarien populäre "Tschalga"-Musik, die angeblich "pornographische, primitive und vulgäre Ideen" verbreitet. Hinter der Formulierung versteckt sich laut Kritikern unter anderem die homophobe Einstellung der Partei. Emil Cohen zitiert die März-Umfrage der Meinungsforscher von Alpha Research, die von ein bis zwei Mandaten für die NFRB im Europaparlament ausgehen.

Nikolai Barekov, Chef der Partei "Bulgarien ohne Zensur" (Foto: BGNES)
Nikolai Barekov, Chef der Partei "Bulgarien ohne Zensur"Bild: BGNES

Die unterschiedlichen nationalistischen Formationen in Bulgarien sind sich ähnlich: Sie versuchen bei ihren Wählern mit Fremdenfeindlichkeit, dem Ruf nach einem starken Nationalstaat, geführt mit "starker Hand", Anti-EU- und Antiglobalisierungstendenzen zu punkten. Für solche Positionen würde wahrscheinlich ein Fünftel der Bulgaren ihre Stimme abgeben. Die Nationalisten sind aber zersplittert und können dieses Wählerpotential nicht voll ausschöpfen. Eine neugegründete Partei versucht deswegen, möglichst viele nationalistische Stimmen zu bündeln. Und tatsächlich ist die populistisch-nationalistische Partei "Bulgarien ohne Zensur" zurzeit am erfolgreichsten unter den bulgarischen Nationalisten.

Proteste in Bulgarien im Juli 2013 (Foto: BGNES)
Bild: BGNES

Wahlbündnis mit Verfechtern eines Großbulgariens

Einer Gallup-Umfrage zufolge wird sie nun den vierten Platz unter allen bulgarischen Parteien belegen und damit Ataka verdrängen. An einem Wahlbündnis mit "Bulgarien ohne Zensur" beteiligt sich auch die älteste nationalistische Partei in Bulgarien VMRO. VMRO steht für "Innere Revolutionäre Organisation Mazedoniens". Traditionell kämpft die VMRO schon seit einem Jahrhundert für die Idee eines Großbulgariens. Am zahlreichsten sind ihre Wähler in den Grenzgebieten zu Mazedonien. Paradoxerweise heißt die in Mazedonien regierende Partei auch VMRO -allerdings mit dem Zusatz DPMNE. Beide Parteien haben gemeinsame Wurzeln, aber heutzutage ganz unterschiedliche Ziele. Die bulgarische VMRO bekämpft die mazedonische Identität und beansprucht Mazedonien für Bulgarien, während die in Mazedonien regierende VMRO-DPMNE sich für ein selbständiges und souveränes Mazedonien einsetzt.

Vor der EU-Wahl versucht auch die bulgarische VMRO die "Zigeunerfrage" zu instrumentalisieren. Dieses Thema ist auf der VMRO-Webseite sehr prominent platziert. So ist unter anderem in einem Text der Partei zu lesen, dass die VMRO "mit den Zigeunern sehr hart ins Gericht geht" und dass die Partei "die unkontrollierbaren Geburtsraten der Zigeuner", auf die angeblich 90 Prozent der Sozialleistungen in Bulgarien entfielen, bekämpfen werde.

Drei nationalistische Parteien mit ähnlichen Schwerpunkten buhlen damit um die Gunst der Wähler in Bulgarien. Es ist davon auszugehen, dass zwei davon auch den Sprung ins EU-Parlament schaffen können.