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Wählen unter Feuer

Nils Naumann26. Juni 2014

Mehr als vierzig Jahre knechtete Muammar al-Gaddafi das libysche Volk. Jetzt durften die Libyer zum zweiten Mal nach dem Sturz des Diktators ein Parlament wählen. Doch die Begeisterung hielt sich in Grenzen.

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Parlamentswahlen in Libyen Sabha Armee Wahllokal 25.6.2014 (Foto: REUTERS/Saddam Alrashdy)
Bild: Reuters

Es war ein heißer Tag in der libyschen Hauptstadt Tripolis: 44 Grad im Schatten. Mohammed Akila ist trotzdem wählen gegangen. "Die Libyer wollen Sicherheit, Stabilität und einen gut konstruierten Staat wie im Rest der entwickelten Welt." Akila hofft, dass die Wahl eines neuen Parlaments dazu beiträgt. Auch die Lehrerin Munira Ashour hat ihre Stimme abgegeben: "Ich wähle, damit wir Libyen wieder aufbauen können".

Doch Akila und Ashour sind in der Minderheit. Dass die Erwartungen der Menschen an die Politik deutlich gesunken sind, hatte sich schon im Vorfeld der Wahl gezeigt. Nur 1,5 der 3,4 Millionen wahlberechtigten Libyer ließen sich in die Wahllisten eintragen. Bei der ersten Wahl des sogenannten Nationalkongresses vor zwei Jahren hatten sich noch mehr als 2,7 Millionen Wähler registrieren lassen.

Diesmal gaben nach Angaben der Wahlkommission am Mittwoch 630.000 Libyer ihre Stimme ab. Das war noch nicht einmal die Hälfte der registrierten Wahlberechtigten. Die Kommission schob die niedrige Wahlbeteiligung auf das heiße Wetter. Doch das kann die Zurückhaltung der Libyer nur zum Teil erklären. Viele Menschen sind frustriert. Das Land ist seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi vor knapp drei Jahren in einen Strudel von Gewalt und politischen Machtkämpfen geraten.

Lahmende Demokratisierung

Die Sicherheitslage ist so angespannt, dass Wahllokale in einigen Landesteilen erst gar nicht geöffnet werden konnten. Betroffen waren nach offiziellen Angaben unter anderem die östliche Stadt Derna, ein Zentrum der Islamisten, Kufra im Südosten, immer wieder Schauplatz von Kämpfen zwischen Stammesmilizen, und die im Süden gelegene Stadt Sabha.

Libyen Bengasi Explosion 2.6.2014 (Foto: EPA/MAHER ALAWAMI)
Bengasi: Hochburg des MachtkampfesBild: picture-alliance/dpa

Die zerstrittenen Revolutionäre haben es nicht geschafft, aus dem jahrzehntelang autoritär regierten Land eine funktionierende Demokratie zu machen. Eigentlich sollte schon im Frühjahr 2013 eine neue, demokratisch legitimierte Machtstruktur stehen. Doch selbst auf einen Verfassungsentwurf, über den bei einem Referendum abgestimmt werden könnte, warten die Libyer bislang vergeblich.

Die Vereinten Nationen hatten darauf gedrängt, dass die Parlamentswahlen möglichst schnell stattfinden. Sie glauben, dass so eine weitere Eskalation der Gewalt in Libyen verhindert werden kann. "Diese Wahlen sind ein wichtiger Schritt in Libyens Wandel zu einer stabilen Demokratie", erklärte der UN-Sicherheitsrat in dieser Woche.

Das Mandat des bisherigen Übergangsparlaments war bereits im Februar ausgelaufen. Als die Abgeordneten versuchten, ihre Amtszeit bis Dezember zu verlängern, kam es zu Straßenprotesten. Die Parlamentarier standen auch wegen interner Grabenkämpfe und der Duldung islamistischer Milizen in der Kritik.

Machtfaktor Milizen

Mattia Toaldo ist Libyen-Experte des European Council on Foreign Relations (ECFR). Die Parlamentswahlen könnten seiner Meinung nach allenfalls ein Teilschritt zur Lösung der Krise in Libyen sein. Viel wichtiger sei eine Einigung zwischen den unterschiedlichen Machtfaktoren in dem nordafrikanischen Land. Denn die Macht liege nicht beim Parlament, sondern bei den unterschiedlichen Milizenführern. Und die verfolgen vor allem ihre eigenen Interessen.

Porträt - Mattia Toaldo
Toaldo: Wahlen nur erster SchrittBild: privat

Nach dem Sturz Gaddafis hat kaum eine der beteiligten Milizen ihre Waffen abgegeben. Nach Einschätzung der International Crisis Group sind 125.000 der rund sechs Millionen Libyer bewaffnet. Die Zentralmacht und die offizielle Armee sind zu schwach, um gegen die Milizen vorzugehen.

Der libysche Politikwissenschaftler Salem Soltan befürchtet, dass auch die neuen Parlamentsabgeordneten nicht über das notwendige politische Gewicht verfügen werden, um die Lage im Land zu verändern. Das Risiko sei groß, dass auch in Zukunft "Kriegsfürsten und Milizenchefs" aus dem Schatten die Strippen ziehen.

Feinde des Ausgleichs

Viele der Kriegsfürsten, sagt Toaldo, hätten aber gar kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Machtkampfs in Libyen. Prominentes Beispiel: Der pensionierte Generalmajor Chalifa Haftar. Der geht im Moment vor allem rund um die Hafenstadt Bengasi im Osten Libyens mit einer Militäraktion gegen islamistische Kräfte vor. "Diese Kräfte glauben nicht an Gespräche und eine Machtteilung. Sie glauben, dass sie militärisch die Oberhand gewinnen können", sagt Toaldo. Auf der anderen Seite seien aber auch extremistische Gruppen wie Ansar al-Scharia nicht unbedingt als Freunde der Demokratie bekannt. Im Osten des Landes sei die Gefahr eines Bürgerkriegs groß.

Libyen Pressekonferenz Khalifa Haftar 17.05.2014 (Foto: /AFP/Getty Images)
Haftar: Mit Waffen gegen IslamistenBild: AFP/Getty Images

Trotzdem sei es zu früh, von einem Scheitern des Arabischen Frühlings in Libyen zu sprechen, so Toaldo. "Das ist ein Übergangsprozess und noch wissen wir nicht, wo er enden wird. Wir dürfen nicht vergessen, wie zerstörerisch die 42 Jahre von Gaddafis Herrschaft für Libyen waren." Das Land habe keine Institutionen, keine Parteien, keine unabhängigen Medien, keine Zivilgesellschaft. All das benötige Zeit. "Aber Libyen hat große Ressourcen. Und damit meine ich nicht nur das Öl, sondern auch die große, sehr gut ausgebildete und dynamische Diaspora. Wir sollten also optimistisch bleiben."