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Vorurteile aus dem Lehrbuch

Christoph Richter3. Januar 2013

Deutsche Schulbücher stellen Israel selten ausgewogen dar, meinen Forscher. Nur in einzelnen Bundesländern nimmt das Land mehr als ein paar Seiten ein. Eine Kommission will das verbessern.

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Eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin (Foto: Frank Leonhardt/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bald ist es 68 Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg und damit die Herrschaft des NS-Regimes in Deutschland endete. Bis heute ist der Umgang mit diesem dunklen Kapitel der eigenen Geschichte ein schwieriges Thema, insbesondere, wenn es um den Holocaust und das Verhältnis zum Staat Israel geht. Bis heute gibt es zudem immer wieder Diskussionen, welches Bild Jugendlichen von Israel vermittelt wird.

Daher wurde auf Initiative des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung 2010 eine deutsch-israelische Schulbuchkommission ins Leben gerufen. "Ängste wecken, Vertrauen bilden: Schulbücher sind ein Politikum", betont Israel-Spezialist Dirk Sadowski, einer der Initiatoren.

Nach einer ersten Sichtung stellt das Gremium deutschen Verlagen wie Klett, Westermann, Buchner oder Cornelsen, die fast den gesamten deutschen Schulbuchmarkt unter sich ausmachen, kein positives Zeugnis aus. Rund 500 Geschichts-, Geographie- und Sozialkundeschulbücher wurden geprüft, die in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, Berlin und Sachsen im Einsatz sind.

Der erste Befund von Sadowski: "Viele Facetten der israelischen Wirklichkeit werden ausgeblendet, gerade die zivilgesellschaftlichen Aspekte." Er bemängelt, dass Schulbuchautoren Israelis prinzipiell zu Tätern, Palästinenser dagegen zu Opfern machen würden.

Deutsch-israelische Schulbuchkommission (Foto: Christoph Richter/DW)
Die Deutsch-israelische Schulbuchkommission kritisiert die "tendenziöse Geschichtsdarstellung"Bild: Christoph Richter

Schlechte Noten für deutsche Schulbücher

Deutlich werde das beispielsweise in dem beim Cornelsen-Verlag erschienenen Schulbuch "Geschichte Real 3", das in den Realschulen Nordrhein-Westfalens im Einsatz ist. Bereits im allerersten Bild richten israelische Soldaten Waffen auf unbewaffnete Menschen. Die Sperranlagen, die meistens von unten fotografiert wurden, wirkten martialisch. Es sei vom "jüdischen Terror" die Rede, während kaum ein Wort über die arabischen Selbstmordattentate verloren werde - und wenn, dann nur als Ausdruck von "Hilflosigkeit".

"Tendenziöse Geschichtsdarstellung" urteilt Dirk Sadowski. Er spricht von "Effekthascherei". Die unausgewogene Bildauswahl sei ein Trend, der in vielen deutschen Schulbüchern zu beobachten sei: "Die Bilder fallen meistens zu Ungunsten Israels aus." Gerade das mobilisiere Feindbilder und Vorurteile, betonen Kritiker wie Julius Schoeps, der Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien.

Zweifelhafte Didaktik

Eine Befürchtung, die auch Kirsten Tenhafen teilt. Die Grundschullehrerin an der Berliner John-F.-Kennedy-Schule hat das Lesebuch "LolliPop" aus dem Cornelsen-Verlag analysiert, das 2008 erschienen und für den Berliner Grundschul-Unterricht in der dritten und vierten Klasse gedacht ist.

In ihren Augen ist aber auch dieses Buch ein Negativ-Beispiel: Über die Hintergründe der Errichtung von Sicherheitsanlagen werde nicht berichtet, und so "wird gleich am Beginn des Textes unterstellt, der Sicherheitszaun diene eigentlich anderen Zielen als dem Schutz der israelischen Zivilbevölkerung vor Terroranschlägen." Das ginge so weit, dass Grundschüler in einer Aufgabe eine Pappmauer in einen Grundriss Israels einkleben müssten. "Das muss bei den Kindern Unverständnis, wenn nicht gar Wut gegenüber Israel hervorrufen", glaubt sie. Und würde sie ihre Schüler fragen, was sie über Israel wissen wollten, kämen ohnehin ganz andere Wünsche zur Sprache, etwa "welche Tiere, welche Pflanzen gibt es da, welche Spiele spielen israelische Kinder." Warum man schon Neunjährige mit der komplexen politischen Israel-Problematik konfrontieren müsse, bleibt ihr ein Rätsel.

Schulhefte eines Grundschülers (Foto: Frederick Florin/AFP/Gettyimages)
"Welche Tiere, welche Spiele gibt es in Israel?" fragen GrundschülerBild: Frederick Florin/AFP/GettyImages

Gegenbeispiel Bayern

Es besteht dringender Verbesserungsbedarf, so lautet ihr Appell. Und Schulbuchforscher Dirk Sadowski fordert, dass man ein größeres Augenmerk auf Israel als demokratischen und westlich verfassten Staat legen müsse, "mit einer pluralistischen Demokratie, einer Gerichtsbarkeit, einer Rechtsstaatlichkeit, die sich tagtäglich mit der Realität des Konflikts auseinandersetzen und dann auch bewähren muss".

Lobende Worte findet die deutsch-israelische Schulbuch-Kommission allein für bayerische Schulbücher: Während der bundesweite Standard beim Thema Israel etwa acht Schulbuch-Seiten ausmacht, ist es hier ein Vielfaches.

Auf bis zu 70 Seiten werde Israel ausgewogen dargestellt, lobt Sadowski - sodass die bayerischen Geschichtsbücher "tatsächlich fast Handbuch-Charakter" haben.