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Die Schuldenlawine rollt

Bernd Riegert24. Juli 2012

Der Kapitalmarkt-Stratege Phillip Vorndran sagt, die einzige Lösung für die Schuldenkrise in Europa heißt Inflation. Über eine Geldentwertung werden die Schulden kleiner, allerdings auch die Spargroschen der Bürger.

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Ein Finger hält eine Ein-Euro-Münze über Europa (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Vorndran, Sie haben kürzlich ein Buch mit dem Titel "Die Schuldenlawine" auf den Markt gebracht. Gemeint ist natürlich die Schuldenkrise in Europa. Wo stehen wir denn bei dieser Lawine? Unten am Berg, also kommt die Lawine noch auf uns zu oder sind wir schon mitten drin, geht die Lawine schon über uns hinweg?

Phillipp Vorndran: Wir sind davon überzeugt, dass wir gerade am Beginn sind, die Sogwelle, den Luftzug der Lawine spüren. Aber wir haben das Gefährlichste an der Schuldenlawine noch nicht hinter uns.

Sie sagen, dass die Schuldenkrise - diese Lawine - nur durch Inflation aufgehalten werden könne - also durch Geldentwertung und steigende Preise. Wie soll das funktionieren?

Theoretisch können Sie Schulden auf vier verschiedene Arten reduzieren. Das Einfachste haben uns die Griechen mit dem Schuldenschnitt vorgeführt. Das ist aber unrealistisch. In den großen Volkswirtschaften werden wir das so nicht sehen, weil die Notenbanken gegenhalten.

Die zweite Möglichkeit ist das Modell "Schwäbische Hausfrau" - das Sparen. Aber da sind wir leider alle schon 15 Jahre zu spät. Wenn wir heute alle anfangen, zu sparen und die Bremse zu ziehen, dann sind wir ökonomisch relativ schnell im Armageddon, einer Situation vergleichbar der Situation der 1930er Jahre. Das ist politisch sicherlich nicht gewünscht und das würde unseren sozialen Frieden massiv herausfordern. Die dritte theoretische Möglichkeit wäre das Wachstum - nominales Wachstum, das größer ist als das Wachstum der Schulden. Innerhalb der westlichen Welt ist das kein realistisches Szenario. Da haben wir zu große demografische Herausforderungen.

Philipp Vorndran - Kapitalmarkt Stratege bei Flossbach von Storch (Foto: Vorndran)
Philipp Vorndran - Kapitalmarkt Stratege bei Flossbach von StorchBild: Flossbach von Storch

Dann bleibt natürlich nur noch die höhere Inflation. Wenn wir uns anschauen, wie intensiv die Notenbanken schon die Geldschleusen aufgemacht haben, dann ist das, wie auch der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagt, nur eine Frage der Zeit.

Ist Inflation, die schleichende Geldentwertung, nicht ungerecht gegenüber den Menschen, die gespart haben? Deren Vermögen würde über kurz oder lang ja sehr stark reduziert.

Da haben Sie Recht, aber wir dürfen nicht vergessen: Die Lösung der Schuldenkrise wird nicht ohne Schmerzen vonstatten gehen. Ich glaube, es gibt inzwischen einen politischen Konsens, dass man hier die Habenden mit ins Boot nimmt, als diejenigen, die ohnehin am Ende der sozialen Skala stehen, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden. Derjenige, der Jahrzehnte lang gespart hat, ist in einem solchen Szenario der große Verlierer. So wie das in der deutschen Hyperinflation war, als alle, die ihr Geld in nominalen Werten, also Sparguthaben und Versicherungen, geparkt hatten, gnadenlos enteignet wurden.

Wenn es nach Ihrer Lesart nur den Ausweg der Inflation gibt, was sollte ich dann jetzt tun? Soll ich mein Geld ausgeben oder was mache ich jetzt?

Ja, das ist sicherlich ein Weg. Man sieht das auch, wenn man sich die Statistiken für die Luxus-Label anschaut, in Deutschland und in anderen Volkswirtschaften. Viele Menschen sagen, ich weiß ja gar nicht, was ich mir morgen mit meinem Geld noch leisten kann, also kauf ich mir lieber heute das Auto, das ich erst in drei Jahren geplant hatte. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist darüber nachzudenken, wie kann ich auch in einem solchen Umfeld, mein Vermögen halbwegs real absichern. Viele Deutsche kommen da zu allererst auf eine Immobilie. Das ist etwas, was ich anfassen kann. Da steht ein Gebäude. Da kann mit der Inflation passieren was will. Das nimmt mir keiner weg.  Das ist auch ein Grund dafür, warum die Preise für Wohn-Immobilien in Deutschland so nachhaltig anziehen.

Maus knabbert an einem Euro (Foto: BilderBox)
Sparen umsonst? Inflation zehrt Vermögen aufBild: BilderBox

Noch ein Wort zu Griechenland. Da geht das Tauziehen, um die Staatspleite, um den Austritt aus dem Euro und weitere Finanzhilfen gerade wieder los. Ist Griechenland Ihrer Ansicht nach ein hoffnungsloser Fall oder kann das Land sich aus der Krise noch heraussparen oder herauswachsen?

Wir haben uns ja bereits im Jahr 2009 hingestellt und gesagt, Griechenland ist pleite. Damals wurden wir auch von der deutschen Politik sehr dafür kritisiert, dass wir hier verantwortungslos die deutschen Sparer verunsichern. Für uns war einfach mathematisch klar: Griechenland hat kein Geschäftsmodell, um innerhalb des Euro zu überleben. Daran hat sich überhaupt nichts geändert. Für uns ist klar, dass Griechenland früher oder später, den Ausweg aus der Euro-Zone suchen muss. Oder, und das ist die Alternative, wir stellen uns hin als starke Volkswirtschaften wie Finnland, Deutschland, Holland und Österreich und sagen, wir subventionieren diesen hoffnungslosen Fall dauerhaft durch.

Braucht denn Deutschland den Euro überhaupt. Wenn die Griechen aufgeben, dann könnte es ja auch sein, das Portugal, Spanien und andere Länder aus der Euro-Zone austreten und sich die Zone dann irgendwann auflöst?

Für uns ist zunächst einmal ganz wichtig: Der Euro in der heutigen Form kann nicht überleben. Entweder treten die Schwachen aus - Länder wie Portugal, Griechenland, möglicherweise auch Spanien und Italien - oder final müssen wir das tun. Für uns ist die erste Variante immer noch die wahrscheinlichere. Nein, wir sind nicht davon überzeugt, dass Deutschland der große Profiteur des Euro ist. Wir gehen auch nicht davon aus, dass unsere Volkswirtschaft untergeht, wenn der Euro nicht mehr vorhanden ist. Es wird natürlich zu einer Aufwertung einer neuen deutschen Währung kommen. Aber wir werden auch die deutsche Exportindustrie temporär belasten müssen. Deutschland ist aber nicht nur die Exportwirtschaft. Deutschland hat auch Sparer und deren Kaufkraft sollte sicherlich ähnliche Bedeutung in der Diskussion haben, wie immer nur das ewige Lied von der Exportwirtschaft.

Wer exportieren will, der muss ja auch jemanden haben, der ihm seine Sachen abkauft. Die Schuldenlawine rollt ja nicht nur auf Europa zu, sondern die USA, Japan und andere Teile der Welt sind ja ebenfalls betroffen?

Das ist richtig. Daraus muss man den Schluss ziehen, das Geschäftsmodell Deutschlands einmal aktiv zu hinterfragen. Ist es wirklich richtig, von einer Exportindustrie zu leben, deren Güter in die restliche Welt laufen, deren Zahlungen oft nur auf dem Papier erfolgen. Deutschland muss auch darüber nachdenken, ob nicht die Stimulierung der Binnenwirtschaft langfristig etwas ist, was man ganz klar in das politische Spektrum mit aufnehmen muss. Die alten Volkswirtschaften - dazu zählen neben vielen Euro-Zonen-Mitgliedern auch Großbritannien, die USA und Japan - sind ja in puncto Schulden mindestens so große Problemkinder wie wir das sind. Diese alten Volkswirtschaften werden langfristig unsere Güter nicht im gleichen Umfang abnehmen können. Das dürften dann andere Volkswirtschaften sein. Wenn Sie sich die Exporte Deutschlands in die Euro-Zone seit Einführung des Euro ansehen, dann sehen Sie hier einen deutlichen Rückgang. Offensichtlich ist Deutschland in der Lage, aufgrund seiner Qualität, trotz hoher Preise, in den Wachstumsländern und Schwellenländern Abnehmer für seine Produkte zu finden.

Philipp Vorndran arbeitet als Kapitalmarkt-Stratege und Finanzexperte für die renommierte Vermögensverwaltung "Flossbach von Storch" in Köln. Der studierte Betriebswert war globaler Chefstratege im Vermögensmanagement bei der Bank "Credit Suisse". Außerdem war im Bankhaus "Julius Bär" und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg tätig.