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Von Drogenbanden vertrieben

José Ospina Valencia24. August 2012

Mehr als fünf Millionen Binnenflüchtlinge leben in Kolumbien. Ihr größter Feind: Die Drogenbanden. Der Aktivist Diego Espitia hat sich für die Vertriebenen eingesetzt und damit sein Leben riskiert.

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In this photo taken before last year's presidential elections, soldiers keep watch over Medellin. (ddp images/AP Photo/Luis Benavides)
Medellin Stadtpanorama SicherheitBild: AP

Ich sitze in einem gepanzerten Geländewagen des kolumbianischen Innenministeriums. Der Fahrer steuert zügig durch Medellin; unter seinem Hemd zeichnet sich deutlich die kugelsichere Weste ab. Der Leibwächter auf der Rückbank neben mir hat mehrmals meine Identität geprüft; mir immer wieder Fragen gestellt. Jetzt redet in dem Wagen keiner mehr. Wir sind auf dem Weg zu einem der meist verfolgten Männer Kolumbiens.

Seit Jahren kämpft Diego Espitia gegen die Landvertreibung in seiner Heimat Urabá. Hunderttausende Menschen mussten hier ihre Häuser und Dörfer verlassen; die Region ist bei der Drogenmafia beliebt. Der Urwald auf der Landenge bietet einen idealen Schutz für den Transport des Kokains zwischen Atlantik und Pazifik. Das Gebiet zwischen den Ozeanen ist deshalb heiß umkämpft. Auch Diego musste die Region verlassen; er wusste zuviel über die Machenschaften der Drogenbosse.

Unser Wagen hält vor einem Café – hier treffe ich Diego Espitia. Der junge Mann wirkt überraschend sanft. Ein Leibwächter sitzt direkt neben Diego Espitia. Ein anderer geht vor dem Café auf und ab. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs entschuldigt sich Espitia für seine undeutliche Aussprache: "Ein Schuss hat mir die Zunge gespalten. Deswegen spreche ich so undeutlich. Jetzt habe ich eine zu kurze Zunge, wie ein Papagei. Da sie wussten, dass ich eine kugelsichere Weste trug, haben sie auf meinen Kopf gezielt." Sie, das sind die Drogenbosse in Espitias Heimat.

Diego Espitia Menschenrechtsaktivist 3 Kolumbien.© José Ospina-Valenci
Immer auf der Hut - Diego Espitia führt kein normales Leben mehrBild: DW/J.Ospina-Valencia

Im vergangenen Jahr haben ihn die Killer der Mafia angeschossen. Diego Espitia hatte Glück und überlebte. Aber die Drogenbosse verfolgen ihn noch immer. Sie haben sein Foto auf ihre Handys gespeichert. Diego muss ständig damit rechnen, von einem Killer erkannt zu werden. Der 25-Jährige riskiert mit dem Kampf für die Vertriebenen sein Leben. Heute muss er rund um die Uhr von den Leibwächtern des Innenministeriums bewacht werden. Seit er angeschossen wurde lebt Espitia in einem Zeugenschutzprogramm.

Brutale Vertreibung

Die Vertreibung der Menschen aus Urabá begann mit subtilen Drohungen. Als die Einwohner sich trotzdem weigerten, ihr Land an die Drogenmafia zu verkaufen, wurden die Methoden immer brutaler, erzählt Diego: "Einer Frau wurde der Ehemann getötet. Sie kamen immer wieder in das Haus und sagten dem Familienvater: 'Entweder Sie verkaufen an uns, oder wir kaufen das Land für weniger Geld ihrer Witwe ab. Was ist Ihnen lieber?'" Diego versuchte zu helfen.

Brücke zum Westen, Puente de Occidente sobre Rio Cauca, bei Sta Fe de Antioquia, Kolumbien (Umkämpftes Gebiet für Drogengeschäfte: Urabá - auf der anderen Seite des Flusses). Copyright: DW/José Ospina
Drogengebiet: Urabá beginnt auf der anderen Seite des FlussesBild: DW/J.Ospina-Valencia

Der Menschenrechtsaktivist zog bei Familien in der Region ein. Monatelang lebte er in den von Zwangsräumung bedrohten Häusern, er klärte die Bewohner über ihre Rechte auf und informierte die Behörden über die Verbrechen der Drogenbanden. Diego Espitia hoffte, die Vertreibung stoppen zu können. Vergeblich: "Als sie uns das Land wegnahmen, kamen sie mit Waffen", erzählt Espitia. "Sie haben uns gewaltsam aus den Häusern geworfen. Sie nahmen uns das Land weg, das sie für den Transport ihrer Drogen brauchten."

Staatliche Unterstützung für die Drogenbanden

Viele der Familien lebten und arbeiteten seit Generationen auf ihrem Land in Urabá. Ein Neuanfang in der nächstgelegenen Stadt Medellin? Undenkbar. Die meisten der Flüchtlinge hatten nie eine Schule besucht, nur mit der Landwirtschaft konnten sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Also nahmen sie das Risiko auf sich und kehrten zurück zu ihrem umkämpften Land. Diego Espitia half ihnen dabei. "Wir versuchten alle zusammen, das Land der Bauern zurückzugewinnen", sagt Espitia.

Sie seien wieder in die Häuser eingezogen und hätten sofort angefangen wieder Mais, Maniok und Reis anzubauen. "Wenn wir Präsenz zeigen, dann kommen die Paramilitärs nicht wieder - dachten wir." Aber Espitia und die Bauern irrten sich. Die Drogenbanden kamen wieder. Und dieses Mal kamen sie sogar mit staatlicher Unterstützung. Sie hatten die rechtmäßigen Bewohner der Region kurzerhand bei der Polizei angezeigt. Der Vorwurf: Angeblich hätten die Rückkehrer das Land jetzt illegal besetzt. "Einmal kam sogar die Bürgermeisterin gemeinsam mit den Polizisten. Wir waren 280 Leute, die Polizisten 200. Sie kamen in voller Ausrüstung und haben uns mit Tränengas verjagt", erzählt Espitia.

Neue Heimat für viele Vetriebene: Medellin. (Foto: DW/José Ospina-Valencia)
Neue Heimat für viele Vetriebene: MedellinBild: DW/J.Ospina-Valencia

Leben mit Leibwächtern

Irgendwann gaben die Bauern schließlich auf. Doch Espitia kämpfte weiter und gründete eine Organisation für die Opfer. Er machte auch international auf die Landvertreibung aufmerksam und er ging gerichtlich gegen die Drogenbosse vor. Die meisten der Bauern aus Urabá leben heute in den Slums von Medellin. Diego Espitia aber kann sich nicht einmal dort eine neue Bleibe suchen - der Menschenrechtsaktivist gilt unter den Drogenbossen als Anführer des Widerstandes. Sie werden ihn niemals in Ruhe lassen. Wo Diego Espitia schlafen, essen oder einfach nur Leute treffen kann, das entscheiden jetzt seine Leibwächter.

DW-Reporter José Ospina Valencia (Foto: DW)
DW-Reporter José Ospina ValenciaBild: DW