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175. Geburtstag der Fotografie

Sarah Judith Hofmann 19. August 2014

Die Welt im Taschenformat: Zum 175. Geburtstag der Fotografie eröffnet in Köln "The Photobook Museum". Die Initiatoren feiern das Fotobuch als wortlose Kunstform, das mit seinen Geschichten die Welt verbindet.

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Installation des japanischen Fotografen Daido Moriyama "The Daido Books" im Photobook Museum Köln.
Installation des japanischen Fotografen Daido Moriyama "The Daido Books" im Photobook Museum Köln.Bild: DW/S. Hofmann

Die Halle im Kölner Carlswerk ist gigantisch. 5000 Quadratmeter Industriecharme, an der verglasten Decke Neonleuchten, der Boden roher Beton. Hier wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts das erste transatlantische Telefonkabel gefertigt, das Nordeuropa mit Amerika verband. Nicht weniger als die Welt verbinden will auch das Photobook Museum.

"Bei einem Fotobuchmuseum denken die Leute natürlich erst mal: Aha, jetzt sind da 4000 Vitrinen mit ganz furchtbar kostbaren Büchern drin, die ich dann distanziert betrachten darf", sagt Markus Schaden. "Nein, so machen wir es nicht. Wir wollen zeigen, was ein Fotobuchmuseum alles kann. Dass es eine Sprache spricht, die jeder lesen kann, ob ich in Japan, in Brasilien oder sonst wo bin. Wir wollen zeigen. dass es begeistern und sogar Kriege beenden kann." Bei dieser etwas schrägen Aufzählung muss der Initiator des Mammutprojekts selbst schmunzeln, doch eins ist klar: Schaden hat eine Mission. In der Kölner Fotoszene ist er kein Unbekannter. Seine nach ihm benannte Fotobuchhandlung war jahrelang eine Institution – inzwischen existiert sie online. Mit seinem Verlag publizierte er mehr als 100 Fotobücher. Und jetzt: "The Photobook Museum".

Markus Schaden Photobookmuseum
Der Initiator des Projekts: Markus SchadenBild: Damian Zimmermann

Insgesamt 30 einzelne Austellungen zeigt das Photobook Museum im Carlswerk, voneinander durch Stellwände abgetrennt. Der Parcours beginnt dann aber doch mit einem Buch in einer Vitrine: Ein simples Fotoalbum, wie jeder es kennt. Ein "Appetithappen", nennt Schaden das. Um dann die Welt des Fotobuchs zu entdecken.

Meister Jiang und die Waisenkinder

Da ist zum Beispiel der chinesische Fotokünstler Jiang Jian, oder "Meister Jiang" wie er in China heißt. In seiner Heimat ist er in der Fotoszene eine Berühmtheit. Im Photobook Museum hängen die Blätter seiner in Boxen sortierten Studien an der Wand. Die erste Studie zeigt Waisenkinder: Ganzkörperfotos, fotografiert vor schwarzem Hintergrund, daneben die Karteikarte aus dem Waisenhaus mit den Daten des Kindes, wann es geboren ist, woher es stammt, wann es ins Waisenhaus kam, wer die Eltern sind. Die Kinder lächeln nicht in die Kamera, sie posieren nicht, sie blicken einfach nur stumm den Betrachter an. Und doch werden sie in den Fotos zu Kindern, zu Menschen – jenseits einer Karteikarte. Es ist der nüchterne Blick des Soziologen, der Jiang tatsächlich zum Meister macht. "Er ist der August Sander von China", sagt Schaden und zeigt damit zugleich auf, dass das Fotobuchmuseum eben nicht jene fotografischen Großmeister wie den Kölner August Sander zeigt, dessen Werk "Menschen des 20. Jahrhunderts" als bekannt vorausgesetzt wird.

Ausstellung des Photobook Museum
Aus der Serie "The Orphans" (Waisenkinder) von Jiang JianBild: DW/S. Hofmann

Meister Jiang aber kannten wir bisher nicht. Eigentlich ist er gelernter Musiker, Geiger, der während der chinesischen Kulturrevolution wie so viele aus intellektuellen Haushalten zu einer Umschulung aufs Dorf geschickt wurde. Dort bekam er erstmals eine Mittelformatkamera in die Hand – und begann seine Mitmenschen zu fotografieren. Neben den Waisenkindern zeigt das Photobook Museum auch seine Porträts von Bauernfamilien aus Henan, einer der ärmsten Provinzen Chinas, und die Studie einer Mädchenschulklasse. Jiang bat die Frauen, die 1966 gemeinsam auf einem Abschlussfoto ihrer Schule posiert hatten, sich vierzig Jahre später noch einmal genau so aufzustellen. Jede der Frauen zeigt er im Passfoto von 1966 und 2006.

Ausstellung des Photobook Museum
Bauernjunge aus Henan, fotografiert vom chinesischen "Meister" JiangBild: DW/S. Hofmann

990 Gesichter

Porträts sind auch das große Thema von Hans Jürgen Raabe. Innerhalb von zehn Jahren will der deutsche Fotograf 990 Menschen an 33 Orten fotografieren. Pro Ort macht er je 30 Porträtfotos und 10 Stills – Detailaufnahmen, die den Ort erspüren und doch nicht auf den ersten Blick erkennen lassen, wo sich der Betrachter befindet. Die Orte: Papua Neu Guinea, der Wallfahrtsort Lourdes, der Eiffelturm, das Brandenburger Tor und viele weitere Orte. "Ich will ein Bild meiner Zeit einfangen", sagt Hans Jürgen Raabe, "und das ist natürlich ein globales Bild. Dazu muss man nicht weit reisen, es reicht ans Brandenburger Tor zu gehen." Auch wenn man das auf den ersten Blick nicht denke, auch Papua Neu Guinea sei so ein "Melting Pot" aus vielen Stämmen und Sprachen. Er wolle damit zeigen, dass die Globalisierung längst passiert sei und an diesen Kreuzwegen, die er besucht, das Zusammenleben all dieser Menschen sehr gut funktioniere.

Hans Jürgen Raabe 990 Faces
"Face 271" - Papua Neu Guinea - aus dem Mammutprojekt "990 Faces" von Hans Jürgen RaabeBild: Hans Jürgen Raabe

2010 hat er mit dem Projekt begonnen, bisher hat er mehr als 300 Porträts und Stills gemacht – diese sind jetzt im Photobook Museum zu sehen. Auf einer großen LED-Installation überragen die riesige Porträtfotos die Halle im Carlswerk. Und auch das Fotobuch fehlt hier nicht: Für jeden Ort veröffentlicht Raabe ein Buch. Die Besucher des Museums können in diesen blättern.

Das Museum soll zum Anfassen sein, deshalb gibt es neben den Containern und Stellwänden, die einzelnen Fotografen gewidmet sind, auch eine Dunkelkammer und Camera Obscura, einen Leseraum und Kinderspielplatz, einen Buchladen und eine Bar. Es ist der Nachbau des "Café Lehmitz". Eine Reverenz den schwedischen Fotografen Anders Petersen, der 1978 die gleichnamige Hamburger Kiez-Kneipe porträtierte.

Damals und heute: Köln 5 Uhr 30

Und schließlich ist da noch im Kellergeschoss des Carlswerks die Hommage an den großen Kölner Fotografen Chargesheimer. In seinem letzten und berühmtesten Fotobuch "Köln 5 Uhr 30" dokumentierte er 1970 seine Heimatstadt. Scheinbar nüchtern und zugleich mit melancholischem Blick fotografierte Chargesheimer (eigentlich Karl-Heinz Hargesheimer) eine menschenleere Stadt, die in seinen Augen nach den Bomben der Zweiten Weltkriegs durch den schnellen Wiederaufbau architektonisch ein zweites Mal zerstört worden war. Eine traurige Liebeserklärung an Köln. Für die Ausstellung "Chargesheimer Reloaded – Köln 5 Uhr 30" sollten die Kölner Fotos ihrer Stadt schicken – erneut noch schlafend und menschenleer.

Carlswerk, Köln Photobookmuseum
Die mobile Ausstellung - nach dem 3. Oktober wird die Ausstellung wieder in Container gepackt - und auf Reisen geschicktBild: Daniel Zakharov

Aber ist das Fotobuch nicht ein Relikt aus diesen alten Zeiten? Wer kauft heute noch schwere, teure Bücher, wenn man doch viel leichter online Fotoalben zusammenstellen kann? "Falsch", meint Markus Schaden. In den vergangenen zehn Jahren, seien vermutlich mehr Fotobücher publiziert worden als in den 170 Jahren zuvor. Kein Fotofestival sei inzwischen mehr ohne Sektion für Fotobücher denkbar.

Bedeutende Häuser wie die Londoner Tate Modern und das Museum of Fine Art in Houston hätten in den vergangenen Jahren große Fotobuchsammlungen erworben. Nur ein ganzes Museum gebe es eben noch nicht. Bisher ist "The Photobook Museum" eine temporäre Ausstellung. Bis zum 3. Oktober ist sie im Carlswerk in Köln zu sehen, dann wird sie wieder in einige der vielen blauen Container gepackt, die in der riesigen Halle des Kölner Carlswerks stehen. So soll die Ausstellung an verschiedenen Orten zu sehen sein. In einem weiteren Schritt will Schaden sie im Netz zeigen und dann hoffentlich einen Ort in Köln finden, an dem er dauerhaft ein Fotobuchmuseum etablieren kann.