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Die Vinyl-Schallplatte lebt

Godehard Weyerer24. Juni 2013

Und sie dreht sich doch - die Schallplatte. Manche behaupten, sie erlebe geradezu eine Renaissance. Gepresst werden die PVC-Rohlinge nur noch an wenigen Orten. Unter anderem im niedersächsischen Diepholz.

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Eine Schallplatte der 'Deutsche Grammophon Gesellschaft' (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Vor dem zweigeschossigen Fabrikgebäude ragt der silberne Silo acht Meter in den Himmel hoch - gefüllt mit PVC-Granulat, dem Rohstoff für die Vinyl-Fertigung, wie Geschäftsführer Holger Neumann erklärt. "Alle vier Wochen wird der Silo aufgefüllt; dann wird das Granulat von hier über verschiedene Förderanlagen zu den Pressen transportiert und daraus entstehen die Schallplatten." Seit 1960 werden im Werk Schallplatten gepresst. Der Großvater von Holger Neumann gründete den Betrieb 1949 - damals waren es noch Schellackplatten, die die Firma im niedersächsischen Diepholz fertigte.

Ein Technikmuseum

Holger Heumann betritt die Galvanik. Der Maschinenpark stammt noch aus den 1970er Jahren, alte Technik, keine Elektronik, mit Handstromrädern werden die Bäder nachreguliert. Pallas nannte der Großvater die Firma. Das Firmenlogo zeigt die altgriechische Göttin Pallas Athene. Den Griff in die antike Mythologie kann sich der Enkel heute auch nicht mehr erklären. Wohl aber, warum die Fertigung der Schallplatten oder der Vinyl, wie der Firmenchef sie nennt, einem Technikmuseum ähnelt. "Wir haben schon nach dem Einzug der CD überlegt, was machen wir mit Vinyl. Wir haben gesagt, wir motten die Maschinen einfach ein."

Maschine zur Schallplattenproduktion (Foto: DW)
Wie im Technikmuseum: Maschine zur SchallplattenproduktionBild: DW/ G.Weyerer

Mitte der 1980er Jahre, als die CD die Schallplatte aus den Studios und Musikgeschäften verdrängte, ging auch die Diepholzer Firma mit der Zeit und baute eine CD- und DVD-Produktion auf. 140 Mitarbeiter beschäftigt Pallas insgesamt, 60 davon in der Vinyl-Fertigung. Holger Neumann erinnert sich: "Die ersten Anfragen kamen eigentlich mit der ersten Love-Parade in Berlin, wo du auf den LKW die Platten zum Scretchen brauchtest." Und da die anderen Werke keine Platten mehr pressten, wurde die Firma aus Diepholz gefragt. "Ab dem Tag kamen mehr Anfragen fürs Vinyl wieder rein."

Am Anfang steht die Matrize

Die Musik, die das Studio oder der Kunde anliefert, wird auf eine Matrize gelegt und galvanisch bearbeitet. Ein Mitarbeiter arretiert die silberne Scheibe. Holger Neumann, 52 Jahre alt, sind die Maschinen seit Kindertagen vertraut: auf massiven Sockeln stehen sie in der Halle, im Boden verankert mit dicken Bolzen und Muttern, scheinbar unverrückbar und unverwüstlich leisten sie ihren Dienst. Wenn der silberne Rohling millimetergenau arretiert ist, wird das Mittelloch gestanzt, anschließend auf Größe abgeschnitten, die Rückseite angeschliffen. Zu guter Letzt wird die Matrize an der mechanischen Presse noch einmal gestanzt und geformt.

Schallplattenproduktion in der Firma Pallas (Foto: DW)
Präzision ist gefragt: Qualitätskontrolleur auf der Suche nach FehlernBild: DW/ G.Weyerer

20.000 Schallplatten täglich

Schallplatten bestehen aus PVC, aus Polyvinylchlorid. In der Presserei wird die klebrige Masse unter hohem Dampfdruck zu Schallplatten gepresst. Die Maschinen laufen von sechs bis 23 Uhr - in zwei Schichten wird gearbeitet, jeden Tag werden 20.000 Platten hergestellt. In der Presserei - Geschäftsführer Neumann nennt sie das Herzstück der Firma - ist laut, es dampft und zischt. "Wir fertigen hier gerade in rot, weil der Kunde rot haben will." Durchschnittlich zwei Euro kostet eine Scheibe - je nach Größe, Farbe und Dicke. Im Nebenraum steht ein Betonmischer, wie man ihn auf jeder Baustelle sieht. Hierin werden die Farben gemischt. Holger Neumann greift in eine Tonne mit gelbem und schwarzem Granulat, in einer zweiten ist eine rot-weiße Mischung. Alles wird manuell gemacht. Jede Farbmischung ist ein Unikat. Früher, zur Blütezeit der Schallplatte in den 1970er Jahren, als die Musikscheiben noch schwarz waren, verließen doppelt so viele Schallplatten das Werksgelände.

Firmenchef Holger Neumann lässt auf den warmen Klang einer direkten, analogen Abtastung der Musik durch die Nadel eines Plattenspielers nichts kommen. "Wie lange der Boom anhält, kann natürlich niemand sagen, aber es wird sich auf diese fünf Werke in Europa und ich glaube neun Werke weltweit einfach beschränken." So ist Holger Neumann guter Dinge, dass das Geschäft mit der Schallplatte noch eine Weile läuft. 40 Prozent des Umsatzes in zweistelliger Millionenhöhe steuern die längst tot geglaubten Vinyl-Platten bei. Vor Jahren, bedauert Holger Neumann, musste bereits die Produktion der Audio-Kassetten eingestellt werden. Die Schallplatte aber dreht sich und dreht sich unermüdlich. Auf der Homepage der Firma und im Treppenhaus des Verwaltungsgebäudes steht in großen Lettern: Die Erde ist eine Scheibe.