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Vietnams Premier auf Europatour

Rodion Ebbighausen14. Oktober 2014

Der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung besucht Deutschland und Europa. Er will ein Freihandelsabkommen mit der EU voranbringen. Auch, um Vietnam unabhängiger von China zu machen.

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Nguyen Tan Dung
Bild: AP

Jeden Morgen gurgeln und zischen in Europa Millionen Kaffeemaschinen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass der Kaffee in den Filtern und Pads aus Vietnam kommt. Statistisch gesehen stammt nämlich das Pulver für jede fünfte Tasse Kaffee in Europa aus dem südostasiatischen Land, nur noch übertroffen vom Weltmarktführer Brasilien.

Doch nicht nur im Kaffeegeschäft wächst die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der EU und Vietnam. Nach Angaben der Europäischen Kommission ist die EU der zweitgrößte Handelspartner Vietnams. Dabei erzielt Vietnam seit Jahren einen komfortablen Handelsbilanzüberschuss. Das bilaterale Handelsvolumen ist in den letzten zehn Jahren von fünf auf über 26 Milliarden Euro angestiegen.

Auf dieser Grundlage will Vietnams Premierminister Nguyen Tan Dung die Wirtschaftsbeziehungen ausbauen und wirbt in Deutschland und der EU für ein Freihandelsabkommen, über das seit 2010 verhandelt wird. Auf seiner mehrtägigen Europareise besucht der Premier Berlin (14./15.10.2014) und reist dann weiter zum Asien-Europa-Gipfel in Mailand (14. bis 17.10.2014). "Deutschland", so Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "fällt eine Schlüsselrolle zu. Die vietnamesische Seite weiß, dass Deutschland in Brüssel ein großes Gewicht hat."

Auswirkungen auf Vietnam

Das europäisch-vietnamesische Freihandelsabkommen (EVFTA) soll Zölle und andere Handelshürden abbauen, Rechtssicherheit schaffen, Investitionen und geistiges Eigentum schützen. Befürworter versprechen sich von dem Abkommen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze für beide Seiten.

Landwirtschaft in der Mekong Delta Vietnam
Das Freihandelsabkommen mit der EU könnte die Bauern Vietnams hart treffenBild: Christopher M. Johnson/BURN: An Energy Journal

Kritiker differenzieren aus vietnamesischer Sicht. Sie gehen zwar auch davon aus, dass die Schuh- und Textilindustrie Vietnams wachsen würde, sehen aber neben dem Agrarsektor insbesondere den Maschinenbau und die Elektrotechnik unter starkem europäischem Konkurrenzdruck. "Für Vietnams Wirtschaftsentwicklung wäre das ein großes Hindernis, da sich die Produktion weiterhin auf Güter mit geringerer Wertschöpfung beschränken würde" so eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) aus Hanoi.

Die Autoren der Studie befürchten außerdem kurzfristig eine Armutszunahme bei der Landbevölkerung, erwarten langfristig allerdings eine Armutsreduktion, da die Arbeiter in anderen Sektoren aufgenommen werden könnten. "Den größten Nutzen jedoch, den Vietnam aus dem Freihandelsabkommen ziehen kann, ist eine stärkere Integration in den Welthandel", so die KAS-Studie.

Rechtsreform als Hindernis

Rechtliche Aspekte sind die größte Hürde für einen Abschluss der Verhandlungen. Die EU hat hohe Standards beim Verbraucherschutz. Die Herkunft der Produkte muss nachgewiesen, Nachhaltigkeit und Umweltbedingungen müssen erfüllt werden. Außerdem fordert die EU strenge Regeln für das Wettbewerbs- und Patenrecht. Das bedeutet, so die Studie der KAS: "Bevor das Freihandelsabkommen volle Wirkung entfalten kann, muss das vietnamesische Rechtssystem reformiert werden. Anders kann Vietnam den Anforderungen der EU nicht genügen."

Ein konkretes Beispiel: In der vietnamesischen Wirtschaft spielen staatseigene Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie werden etwa bei der Kreditvergabe gegenüber privaten Unternehmen bevorzugt. Diese Praxis würde das Abkommen beenden. Das wiederum könnte die Macht der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) einschränken, die das Land autoritär regiert. "Wenn das Abkommen zustande kommt, muss man sich auch damit abfinden, dass das wirtschaftliche Fundament der KP beschnitten wird", sagt Will.

Nicht zuletzt will die EU-Kommission den Schutz der Menschenrechte in dem Abkommen festschreiben. Insgesamt stellt die Studie der KAS fest: "In entscheidenden Punkten herrscht zwischen Brüssel und Hanoi Uneinigkeit." Unter anderem deshalb sah es im Frühjahr 2014 noch so aus, dass die Verhandlungen scheitern würden.

Emanzipation von China

Im Sommer 2014 dann die überraschende Wende. Der Territorialkonflikt zwischen China und Vietnam im Südchinesischen Meer eskalierte. "Aus einem schwierigen Freund - nämlich China - wurde über Nacht ein unkontrollierbarer Gegner", so die KAS. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zum großen Nachbarn, der nach wie vor Vietnams Handelspartner Nummer eins ist, wurden damit zum Problem für Hanoi. Martin Großheim, Südostasienwissenschaftler von der Universität Passau, erklärt: "Während des Konfliktes mit China hat die vietnamesische Führung gesehen, dass sie relativ isoliert ist."

China Vietnam Konflikt im Südchinesischem Meer
China und Vietnam streiten seit Jahrzehnten um zwei Inselgruppen im Südchinesischen MeerBild: picture alliance/AP Photo

Um das zu ändern, hat die vietnamesische Regierung die Verhandlungen mit der EU wieder aufgenommen. Vietnam verspricht sich über die wirtschaftlichen Vorteile hinaus jetzt auch eine außenpolitische Dividende: weniger Abhängigkeit von China und mehr Engagement der EU in der Region. "Die EU hat sich mit Äußerungen zu dem Konflikt 2014 zurückgehalten. Bei Abschluss des Abkommens mag die Hoffnung mitschwingen, dass sich die EU zukünftig in der Region politisch stärker positioniert", so Großheim. Ähnlich sieht das Will: "Es geht um ein Gegengewicht, um die einseitige Abhängigkeit von der VR China zu reduzieren."

Ob dieses politische Kalkül Vietnams ausreicht, damit es die von der EU geforderten Zugeständnisse macht, ist aber fraglich. Will sagt: "Dass alle strittigen Punkte bis Ende des Jahres geklärt werden können, wage ich zu bezweifeln."