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Vietnams neue Verfassung

Rodion Ebbighausen2. Januar 2014

Seit Neujahr 2014 hat Vietnam eine neue Verfassung – fast einstimmig verabschiedet von der Nationalversammlung im November. Aber Hoffnungen auf eine politische und wirtschaftliche Öffnung werden enttäuscht.

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Vietnam Flagge
Bild: picture alliance/chromorange

Die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) regiert das südostasiatische Land seit 68 Jahren. Sie gehört damit zu den am längsten regierenden Parteien der Welt. Doch die Macht der Partei ist gefährdet. Und um dem etwas entgegenzusetzen, hat sie nun eine neue Verfassung eingesetzt.

Mit dem Einbruch des wirtschaftlichen Wachstums infolge der weltweiten Finanzkrise von 2007 hatte die KPV ein wichtiges Standbein ihrer Legitimität eingebüßt. Le Hong Hiep von der Universität in Ho Chi Minh Stadt urteilt: "Zurzeit ist die KPV mit einer Wirtschafts-, Führungs-, und Vertrauens-Krise konfrontiert." Als Reaktion, so der Fachmann für Außenpolitik, verfolge sie jetzt eine Doppelstrategie: "Während die Repressionen gegenüber prominenten Befürwortern der Demokratie zunehmen, scheint die Partei toleranter gegenüber moderater Kritik geworden zu sein. Sie hat außerdem begrenzte politische Reformen angestoßen."

Die KPV hatte für die Überarbeitung der Verfassung eigens ein Komitee gebildet, das den Entwurf koordinieren sollte. 2013 rief das Komitee dann die Bevölkerung auf, den ersten Entwurf zu kommentieren. Es sammelte eigenen Angaben zufolge Millionen Kommentare von Bürgern und hielt eine Vielzahl öffentlicher Versammlungen und Diskussionen ab. Diese Praxis ist in Vietnam nichts Neues: Öffentliche Diskussionen gibt es seit der letzten Verfassungsrevision von 1992, wie der emeritierte australische Vietnamexperte Carlyle Thayer von der Universität New South Wales schreibt. "Die Aufforderung zum Feedback ist ein Weg, die Autorität des Einparteiensystems zu legitimieren." Es entstehe der Eindruck, dass die Bürger mitentscheiden könnten.

Aufforderung zur Öffnung

Aufmerksamkeit erregte im Frühjar 2013 insbesondere eine Petition von 72 Intellektuellen und Politikern unter der Führung des ehemaligen Justizministers Nguyen Dinh Loc. Eine zentrale Forderung der so genannten "Petition 72" war die Revision von Artikel 4, der die Führungsrolle der KPV festschreibt. Stattdessen sollte ein Mehrparteiensystem eingeführt werden. Des Weiteren sollten die Menschenrechte in Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen in die Verfassung aufgenommen werden.

Staatsbesuch US- Aussenminister Kerry in Vietnam im Dezember 2013
US-Außenminister Kerry forderte beim Vietnambesuch im Dezember Fortschritte bei den MenschenrechtenBild: HOANG DINH NAM/AFP/Getty Images

Neben der Forderung nach politischen Freiheiten ist seit längerem klar, dass Vietnam wirtschaftlicher Reformen bedarf, um die großen Wachstumsraten von vor 2007 wieder zu erreichen. Das wäre übrigens auch im Sinne der KPV, deren Machtanspruch auf einer prosperierenden Wirtschaft beruht. Nur mit tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen, betont Le Hong Hiep, könne die institutionelle Schwäche überwunden werden. Er bemängelt insbesondere das "ineffiziente und intransparente Management der staatseigenen Unternehmen, die Benachteiligung des privatwirtschaftlichen Sektors, Bürokratismus, Korruption und die zögerliche Entwicklung marktwirtschaftlicher Institutionen."

Die Unterzeichner der Petition 72 konnten Reformen und eine Öffnung fordern, da sich die Regierung bei einer Repression selbst geschadet hätte, so Thayer. Es sei gefährlich, zuerst zu Kritik aufzurufen und diese dann mit Unterdrückung zu vergelten. Die Umarbeitung der Verfassung, so der Vietnamexperte aus Australien, "ist eine der seltenen Gelegenheiten, größere politische Reformen zu fordern."

Reformisten enttäuscht

Die Hoffnungen der Unterzeichner der "Petition 72" und vieler Bürger wurden allerdings weitgehend enttäuscht. Artikel 4 der Verfassung wurde zwar umgearbeitet, aber im entgegengesetzten Sinne der Reformer: Die Führungsrolle der KPV wurde weiter zementiert. Die KPV ist jetzt nicht mehr nur Führer der Arbeiterklasse, sondern aller Vietnamesen und der ganzen Nation.

Der vietnamesische Blogger Quoc Quan
Kritische Blogger wie Quoc Quan werden immer wieder unter Druck gesetztBild: picture alliance/AP Photo

Einige Zusätze "scheinen die Redefreiheit und andere Grundrechte zu garantieren sowie willkürlichen Verhaftungen und politische Prozesse einzuschränken. Aber es gibt viele Schlupflöcher", schreibt die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) auf ihrer Website. Artikel 14 schränke die an anderen Stellen der Verfassung eingeräumten Menschenrechte ein, wenn die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die Gesellschaft oder die Moral gefährdet seien. Brad Adams, der Direktor des Asienbüros von HRW, urteilt abschließend: "Die neue Verfassung hält sich alle Möglichkeiten offen, um mit harten Gesetzen und politischen Prozessen gegen Aktivisten und Kritiker vorzugehen."

Auch Reformen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insbesondere bei den staatseigenen Unternehmen blieben weitgehend aus. Der Vorsitzende des Büros der Nationalversammlung, Nguyen Hanh Phuc, betonte im schon Oktober 2013, dass die staatseigenen Unternehmen auch in Zukunft eine führende Rolle im Staat übernehmen müssten.

Das abschließende Urteil von Le Hong Hiep: "Die Revision der Verfassung hat erneut gezeigt, wie enge Grenzen den politischen Reformen durch die KPV gesetzt sind."