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Verwirrende Statistik zur Weltbevölkerung

Christian Ignatzi14. August 2014

Die Geburtenraten sind drastisch gesunken - in vier Jahrzehnten haben sie sich fast halbiert. Allerdings überleben viel mehr Kinder als früher. Die Weltbevölkerung wächst also weiter - fürs erste.

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Neugeborenenstation im Krankenhaus (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Mehr als sieben Milliarden Menschen leben auf der Erde. Und ihre Zahl steigt. Wissenschaftler warnen seit Jahren vor vermeintlicher Überbevölkerung - sie sei nur eine Frage der Zeit. Der Datenreport 2014 der deutschen Stiftung Weltbevölkerung legt nun Fakten vor, die vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick erstaunlich wirken. Im weltweiten Durchschnitt halbierte sich die Zahl der Kinder pro Mutter von 1970 bis heute. Statistisch gesehen bekam eine Frau vor rund 40 Jahren noch 4,7 Kinder. Heute sind es nur noch 2,5. Trotzdem: Die Weltbevölkerung wächst rasant weiter. "Das liegt daran, dass gleichzeitig immer mehr Säuglinge überleben, weil die medizinische Versorgung viel besser ist als früher", erklärt Ute Stallmeister von der Stiftung Weltbevölkerung.

Unabhängig von den derzeitigen Geburtenraten macht sich Ruth Müller vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung allerdings keine Sorgen darüber, ob die Menschheit in Zukunft genug Platz und Ressourcen auf dem Planeten findet. "Im Moment scheint es tatsächlich so, als seien wir machtlos gegen die immer weiter wachsende Bevölkerung", sagt sie. "Aber das wird sich mit der Zeit verbessern. Nehmen sie das Reproduktionsniveau." Das Reproduktionsniveau ist das statistische Mittel, das die Bevölkerungszahl konstant halten würde, ohne Zu- oder Abnahme. Dazu müsste die durchschnittliche Geburtenquote bei exakt 2,1 Kindern pro Frau liegen. Wo Frauen weniger Nachwuchs gebären, schrumpft die Bevölkerung. Wo Mütter gebärfreudiger sind, wächst sie.

Verhütung stärker nutzen

"Aber auch, wenn die Geburtenrate heute darunter fallen würde, würde die Bevölkerung weiter wachsen, weil es derzeit noch viele Frauen in einem Alter gibt, in dem sie Kinder bekommen können." Das kann sich erst in einigen Jahren ändern. "Wir sind aber auf einem guten Weg", glaubt Müller. Auch in Afrika, wo die Zahl der Geburten pro Frau in den vergangenen 40 Jahren von 6,7 auf 4,7 Kinder gesunken ist. "Das ist schon mal ein gutes Zeichen", sagt Ute Stallmeister. "Diese Entwicklung zeigt, dass heute mehr Frauen selbst bestimmen können, wann und wie viele Kinder sie bekommen."

Arbeitslose afrikanische Männer sitzen auf einer Mauer, Germa, Libyen (Foto: picture alliance/dpa)
Arbeitslose in Afrika: Viele afrikanische Gesellschaften sind sehr jungBild: picture-alliance/dpa

Südlich der Sahara gebe es aber immer noch Probleme. Jede vierte Frau, die gerne Schwangerschaften verhüten würde, ist nicht in der Lage dazu. Konkret bedeutet das jedes Jahr etwa 80 Millionen ungewollte Schwangerschaften. Um das zu ändern, müsse vor allem in Bildung investiert werden, sind sich die Experten einig. "Je gebildeter ein Mensch ist, desto stärker ist sein Wunsch, seine Familienplanung zu kontrollieren", sagt Ruth Müller. In Ghana, wo in den vergangenen Jahren besonders viele Frauen Verhütungsmittel nutzten, haben sie auch weniger Kinder bekommen - eine Folge massiver Aufklärung. Denn lange waren selbst Frauen, die zur Schule gingen, der Meinung, dass Verhütung ungesund sei. "Und davon müssen wir weg", sagt Müller. "Wir müssen die Menschen aufklären."

Frauen besser ausbilden

Das sieht auch Ute Stallmeister so. "Außerdem müssen wir die Gesundheitssysteme stärken, Verhütungsmittel besser verfügbar machen, aber natürlich auch die Frauen in der Gesellschaft unterstützen." Eine Jobperspektive sorge etwa dafür, dass Frauen weniger oder zumindest später Kinder bekämen. Aus Stallmeisters Sicht ist es aber nicht wichtig, dass Afrika in naher Zukunft die Quote von 2,1 Kindern pro Frau unterschreitet. "Solch ein Ziel vorzugeben, würde bedeuten, dass wir Menschen in ihrer Familienplanung einschränken, und das lehnen wir ab." Ebenso wenig führe eine Ein-Kind-Politik wie in China zum Ziel. "Die Chinesen haben zwar zunächst das Bevölkerungswachstum eingedämmt, stehen nun aber vor dem Problem einer alternden Gesellschaft und müssen sich um die Rentner kümmern", sagt Ruth Müller. In Afrika ist das Gegenteil der Fall - dort wird Jugendarbeitslosigkeit zu einem immer größeren Problem.

Alte Frau am Torii vom Fushimi-Inari Taisha Shrine in Kioto (Foto: imago/IPON)
Rentnerin in Japan: In Asien nimmt die Zahl alter Menschen zuBild: imago stock&people

Wichtig sei erst einmal, dafür zu sorgen, dass etwa in Afrika möglichst wenige Frauen ungewollt schwanger werden. "Wenn es uns gelingt, das einzudämmen, würden wir das Bevölkerungswachstum schon um ein Drittel reduzieren." Ruth Müller ist sicher, dass viele afrikanische Länder auf dem Weg dahin sind: "Auf jeden Fall. Wenn es dort wirtschaftlich erst einmal besser läuft, wird das Hand in Hand gehen. Je besser die Entwicklung ist, desto kleiner werden die Geburtenraten sein." Allerdings sei es auch in diesem Fall das, was Bevölkerungsentwicklung immer ist: eine Frage der Zeit.