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Werben mit Wiki

Marc von Lüpke4. Februar 2014

Unternehmen entdecken zunehmend den Reiz von Wikipedia - und wollen dort in möglichst positivem Licht erscheinen. Der Journalist Marvin Oppong hat der verdeckten PR auf den Wikipedia-Seiten nachgespürt.

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Symbolbild Wikipedia (Quelle: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die meist prächtig eingebundenen Bücherreihen verschwinden nach und nach aus den Bücherregalen. Das traditionsreiche gedruckte "Brockhaus"-Lexikon: eingestellt. Die noch ehrwürdigere "Encyclopaedia Britannica" gibt es nur noch in digitaler Form. Die multimediale Enzyklopädie "Encarta" von Microsoft ist bereits Geschichte.

Und wo ist der Niedergang dieser einst vielfach gekauften Nachschlagewerke genau beschrieben? Auf einer Wikipedia-Seite. Wer heute etwas wissen will, sucht im weltweit größten freien Online-Lexikon. Weit über anderthalb Millionen Artikel finden allein die Besucher der deutschen Wikipedia-Seite vor, in Buchform wären dies laut der Wikipedia-Statistik 852 Bände. Kein Wunder, dass sich auch Unternehmen zunehmend für Wikipedia interessieren.

Screenshot Wikipedia und PR (Grafik: Wikipedia)
So sähe allein die deutschsprachige Wikipedia im Bücherregal ausBild: Wikipedia

Anfällig für Manipulation

"Wikipedia ist einfach eine enorm wichtige Wissensquelle im Internet und wurde so zu einer nicht mehr vernachlässigbaren Komponente der PR-Strategie von Unternehmen", sagt Marvin Oppong. Der Journalist ist Autor der gerade erschienenen Studie "Verdeckte PR in Wikipedia - Das Weltwissen im Visier von Unternehmen".

"Für jedes Unternehmen ist es attraktiv, mit einem Eintrag bei Wikipedia vertreten zu sein", zitiert Oppong Raphael Rahn von der Agentur "Lewis PR". Während gedruckte Lexika weitgehend unbestechlich waren, ist die Wikipedia aufgrund ihrer offenen Struktur anfällig für manipulative Veränderungen.

Unangenehmes wird gerne gestrichen

"Das Ziel der Wikipedia ist der Aufbau einer Enzyklopädie durch freiwillige und ehrenamtliche Autoren." So heißt es auf der Seite der deutschen Wikipedia. Jeder ist eingeladen mitzuarbeiten. Man muss sich nicht einmal registrieren, und falls man sich doch anmeldet, reicht ein Benutzername. Diese Freiheit nutzen auch einige Autoren mit Hintergedanken. Kritische oder unliebsame Inhalte auf den Seiten mancher Unternehmen werden bisweilen gelöscht, Konkurrenten schlecht gemacht oder die eigenen Produkte besser als die anderer Hersteller dargestellt. Beispiele finden sich auf der Seite des WikiScanners, der Änderungen identifizieren kann, die von unternehmenseigenen IP-Adressen vorgenommen wurden.

Journalist Marvin Oppong (Foto: Kai-Uwe Heinrich)
Autor der Studie ist der Journalist Marvin OppongBild: Kai-Uwe Heinrich

So wurde laut WikiScanner 2005 von einer IP-Adresse aus, die dem Pharmaunternehmen Boehringer-Ingelheim zuzuordnen war, die "Agent Orange"-Produktion aus der Firmengeschichte entfernt. Die amerikanischen Streitkräfte setzten das Entlaubungsmittel "Agent Orange" in riesigen Mengen im Vietnamkrieg ein. Es verursachte gravierende Gesundheitsschäden bei der Zivilbevölkerung.

PR und Wikipedia

Bei seinen Recherchen ist Marvin Oppong auch selbst auf Veränderungen von Wikipedia-Artikeln gestoßen: "Ich habe herausgefunden, dass über IP-Adressen, die Daimler gehören, Sachverhalte aus dem Wikipedia-Artikel gelöscht wurden, die die Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkrieges durch Daimler sowie die Lobbying-Aktivitäten des Konzerns betrafen." Das Unternehmen selbst behauptete, es habe die Streichungen beim Thema NS-Zwangsarbeiter nicht in Auftrag gegeben, erfuhr Oppong bei seinen Nachforschungen. Die Löschung beim Thema "Lobbying" (2012) seien laut einem Unternehmenssprecher, den die Studie zitiert, "eigenständige private Änderungen von Mitarbeitern" gewesen.

Und das war nicht alles: "Ich habe herausgefunden, dass die Steyler Missionare an ihrem Wikipedia-Artikel aktiv waren und Sachverhalte zu ihrer Rolle in der Flick-Affäre herausgelöscht haben." Die Flick-Affäre erschütterte in den 1980er Jahren die politische Landschaft der Bundesrepublik. Im Mittelpunkt standen verdeckte Spenden des Flick-Konzerns an Parteien. Gegen die gesetzlichen Vorschriften hatten CDU, CSU, SPD und FDP große Spendensummen aus der Industrie erhalten.

Marvin Oppong meint: "Dies ist nur eins von vielen Beispielen für PR-Aktivitäten in der Wikipedia. Die Fälle, die bekannt geworden sind, dürften bei über einer Million Wikipedia-Artikeln nur die Spitze des Eisbergs sein. Da weiß man nicht, was alles drinsteckt."

"Inhalte heraushalten"

Deutlich wird aber schon jetzt, wie wichtig Wikipedia - nicht nur in der digitalen Welt - geworden ist. "Mittlerweile wird in Gerichtsentscheidungen auf Wikipedia-Artikel verwiesen, sogar durch den Bundesgerichtshof", führt Marvin Oppong aus. "Das hat mich sehr gewundert."

Screenshot des Wikipedia Artikels über den WikiScanner
Gegenwehr der Wikipedia: der WikiScannerBild: Wikipedia

Wenn manipulativ gelöscht oder verändert wird, kann der eigentliche Reiz von Wikipedia schnell ins Gegenteil umschlagen, auch wenn die sogenannte Schwarmintelligenz der vielen Wiki-Autoren Änderungen wieder rückgängig machen kann.

Transparenz bei Wikipedia

Stellt sich die Frage, was zu tun ist, um verdeckte PR bei Wikipedia einzudämmen. "Mehr Transparenz ist der Kern der Sache", meint der Studienautor Marvin Oppong. "Die Unternehmen sollten ihre Accounts offenlegen." Und noch ein weiterer Punkt erscheint Oppong wichtig: "Wikipedia-Funktionäre, ich nenne sie einmal so, sollten ihre Interessen offenlegen." Bislang herrscht hier wenig Pflicht zur Transparenz. Als "Enzyklopädie der Menschheit" sollte Wikipedia alle Anstrengungen unternehmen,das Online-Lexikon offen, frei, zugleich aber auch objektiv und faktengetreu zu gestalten.