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Verrückt aus Liebe

24. Januar 2015

Jesus beruft die ersten Jünger, die alles stehen und liegen lassen. Johannes blickt im hohen Alter auf diese Zeit zurück, eine Zeit des Verrücktseins aus Liebe. Ein Beitrag von Christian Feldmann, katholische Kirche.

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Berufung der ersten Apostel von Domenico Ghirlandaio
Jesus beruft seine ersten Jünger (von Domenico Ghirlandaio)Bild: gemeinfrei

Ja, ich habe ihn lieb gehabt.

Ich denke, Sie kennen mich: Johannes, der Fischer aus Galiläa. Ich war von Anfang an mit ihm zusammen, als man ihm applaudierte und huldigte, und auch, als man ihn umbrachte. Und ich bereue keine Sekunde. Jetzt bin ich über neunzig, ein Greis, der nicht sterben kann, und ich lebe immer noch von diesen paar Jahren mit Jesus.

Ich weiß noch genau, wie es anfing: Damals gehörte ich zu den Jüngern des Täufers, der Johannes hieß wie ich. Er hatte uns auf Jesus aufmerksam gemacht. Ich sah ihn, hörte ihn und spürte: Das ist der, auf den wir gewartet haben.

Wir ließen unsere Fischernetze liegen und gingen mit ihm. Wir, das waren Simon und Andreas, Fischer wie ich, und mein Bruder Jakobus. Sollten Sie morgen am Sonntag in die Kirche gehen, in eine katholische, dann hören Sie im Evangelium unsere Geschichte (Mk 1,14-20).

Wir warfen auf dem See Genezareth unsere Netze aus. Plötzlich sprach uns ein Mann an, der am See entlangging. „Kommt her“, rief er. „Folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Das klang witzig – und es klang unwiderstehlich, ich weiß auch nicht warum. Man konnte sich dieser Einladung kaum entziehen. Simon und Andreas gingen sofort los, ohne ihre Netze einzuholen. Mein Bruder Jakobus und ich, wir ließen unseren Vater Zebedäus im Boot zurück – er war mit uns auf den See hinausgefahren –, und wir vier schlossen uns Jesus an.

Ein radikaler Schritt

Ich muss verrückt gewesen sein – damals. Von einer Stunde zur andern gab ich meinen Beruf und mein Zuhause auf, um mit einem Wanderprediger, den ich noch kaum kannte, durch die Lande zu ziehen. Aber wie gesagt, bereut habe ich es nicht. Er war der Weg und das Leben für uns alle. In ihm ist Gott den Menschen zum Greifen nahe gekommen. Ein Gott, der unser Glück will und dessen Liebe grenzenlos ist.

Ihr mögt mich für sentimental halten, aber wer Jesus begegnete, wusste, dass es so war. Ich war dabei, als er die Verzweifelten tröstete und die Kranken gesund machte. Ich habe wohl wenig begriffen. Wer weiß, ob ich seine Liebe überhaupt verdient habe. Als man ihn verhaftete, lief ich voller Angst davon.

Jetzt sind wir schon eine stattliche Gemeinde, man nennt uns die „Christen“ – nach ihm. Ja, ich habe ihn immer noch lieb. Und ich weiß, dass er nie richtig weggegangen ist von uns.

Öffnen Sie Ihr Herz

Und Sie? Haben Sie nicht auch Lust, ein wenig verrückt zu sein? Oder haben Sie Angst? Es ist schon richtig: Diesem Jesus zu folgen, das verlangt einen radikalen Schnitt. Nein, Sie müssen keine lieb gewonnenen Menschen im Stich lassen wie manche von uns damals, im Gegenteil: Sie sollen ihnen Ihr Herz öffnen. Aber Sie werden nicht mehr weiterleben können wie bisher – Sie werden es auch gar nicht mehr wollen.

Ihre Werteskala, Ihre Ziele, Ihr Selbstbild, das alles wird gehörig durcheinander geraten. Götzenbilder stürzen vom Thron. Leistung, Konsum, Fitness, Schönheit, Selbstverwirklichung – alles nicht mehr so wichtig. Plötzlich gibt es einen inneren Reichtum, eine persönliche Würde, eine Tiefendimension des Lebens, die unabhängig davon gilt, ob jemand funktionstüchtig, finanziell abgesichert, attraktiv und auf der Höhe der Zeit ist.

Es könnte eine Katastrophe für Ihr Leben sein – eine wunderschöne, befreiende Katastrophe.

Lassen Sie ihre Netze liegen!

Deutschland Christian Feldmann
Christian Feldmann, RegensburgBild: privat

Zum Autor: Christian Feldmann, Theologe, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Er produzierte zahlreiche Features für Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen in der Sparte „radioWissen“ beim Bayerischen Rundfunk. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.

Redaktionelle Verantwortung: Alfred Herrmann, Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkarbeit