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Vernachlässigt Deutschland China?

Mathias Bölinger14. März 2013

Wirtschaftlich ist China längst einer der wichtigsten Partner Deutschlands. Doch politisch tut sich Berlin schwer mit dem Partner in Fernost - und sucht nach dem richtigen Ton gegenüber der erstarkenden Macht.

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Die deutsche und die chinesische Nationalflagge (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die Grünen-Abgeordnete Viola von Cramon sieht die Lage dramatisch. "Wir merken, dass unsere Partner in China uns nicht mehr ernst nehmen", sagt sie. Wann immer deutsche und chinesische Delegationen aufeinander träfen, gäben deutsche Vertreter ein schlechtes Bild ab: Schlecht vorbereitet und mit geringen Landeskenntnissen gingen sie in die Verhandlungen. "Die Chinesen sagen uns: Wenn ihr weiter mit diesen Staatssekretären, mit diesen Vertretern von Bundesländern hierher kommt, dann braucht ihr nicht mehr zu kommen."

China-Offensive gefordert

Viola von Cramon-Taubadel (Foto: dpa)
Viola von Cramon, Bündnis 90/ Die GrünenBild: picture alliance / dpa

Es fehle in Deutschland an gut ausgebildeten China-Kennern, kritisiert von Cramon. "Chinesische Delegationen dagegen sind bestens vorbereitet. Sie wissen genau, mit wem sie es zu tun haben, sie wissen genau, um was es geht. Sie haben eine klare Strategie." Die Abgeordnete fordert deshalb eine China-Offensive von der Regierung: mehr Chinesisch-Unterricht in Schulen und Universitäten, die Einrichtung von Think-Tanks, mehr Jobs für China-Experten in Regierungsbehörden und einen Koordinator in der Regierung für die China-Politik – so wie es ihn für die USA, Russland oder Frankreich gibt.

Einige der Vorwürfe kann man für oppositionstypische Übertreibungen halten. Es ist kaum zu erwarten, dass China ein wichtiges Partnerland von Verhandlungen ausschließt, wenn dessen Vertreter nicht in Landeskunde nachsitzen. Aber als irritierend dürften chinesische Delegationen manche Begegnungen im politischen Berlin tatsächlich empfinden. Da besucht eine chinesische Delegation den Bundestag, um über die Euro-Krise zu debattieren und die deutschen Abgeordneten fragen erstmal die Grundlagen des politischen Systems ab: Wer beschließt in China das Budget? Wie oft tagt das Parlament? Da fragt eine Abgeordnete chinesische Besucher, ob denn vorstellbar sei, dass deutsche Studenten irgendwann einmal in China studieren und chinesische Studenten in Deutschland. Ganz offensichtlich war ihr bisher verborgen geblieben, dass chinesische Studierende die größte Gruppe von Ausländern an deutschen Universitäten ausmachen.

"Meinungsverschiedenheiten aushalten"

Vernachlässigt Deutschland das Reich der Mitte also systematisch? "Niemals zuvor hatte Deutschland so enge Beziehungen zu China wie heute", erwidert ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Deutschland gilt als wichtigster Partner Chinas in Europa. Einmal im Jahr treffen sich Minister beider Länder zu gemeinsamen Regierungskonsultationen - ein Privileg, das Deutschland nur zwei weiteren Ländern außerhalb Europas einräumt: Israel und Indien. "Der Vorwurf, dass wir unkoordiniert China-Politik betreiben, ist falsch", sagt deshalb Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion.

Rainer Stinner (Foto: www.rainer-stinner.de)
Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDPBild: www.rainer-stinner.de

Seit vierzig Jahren unterhalten die Bundesrepublik Deutschland und China diplomatische Beziehungen. Als "intensiven, vertrauensvollen Dialog", bezeichnete der deutsche Außenminister Guido Westerwelle das Verhältnis im Oktober, nicht ohne hinzuzufügen, dass diese Beziehungen auch "Meinungsverschiedenheiten aushalten". Denn ein gewisses Misstrauen gegenüber China schwingt in der deutschen Öffentlichkeit und Politik immer mit. Die Menschenrechtslage, Produktpiraterie, Industriespionage - Kritikpunkte an China gibt es einige. Während die wirtschaftlichen Beziehungen seit den neunziger Jahren immer enger geworden sind, tun sich deutsche Regierungen mit dem politischen System des Landes schwer.

Die deutsche Öffentlichkeit erwartet von ihren Regierungsvertretern, dass sie sich für mehr Menschenrechte in China einsetzen. China dagegen verbittet sich "Belehrungen" durch westliche Politiker immer deutlicher. Das dürfte sich auch mit der neuen Führung nicht ändern. Im Internet kursiert ein Video des neuen Parteichefs Xi Jinping, der Journalisten in Mexiko erklärt, er habe kein Verständnis für "satte Westler, die nichts besseres zu tun haben, als China zu kritisieren."

Merkel ist leiser geworden

Angela Merkel in Peking (Foto: Reuters)
Angela Merkel (CDU)Bild: Reuters

In der letzten Zeit ist die deutsche Regierung in Menschenrechtsfragen leiser geworden. Die erste Amtszeit Angela Merkels war noch von einem Donnerschlag gegenüber Peking geprägt. 2007 empfing sie den Dalai Lama im Kanzleramt und handelte sich damit eine mehrmonatige Kontaktsperre durch die chinesische Führung ein. Ihre konservative Bundestagsfraktion legte noch einmal nach und überlegte in einem Strategiepapier, ob Deutschland sich nicht von China wegorientieren und stärker dem demokratischen Indien zuwenden sollte. Inzwischen ist von solchen Überlegungen nicht mehr viel zu hören. Und nachdem vor einem Jahr ein Treffen Merkels mit einem kritischen Anwalt in Peking noch von der Staatssicherheit verhindert worden war, verzichtete die Kanzlerin bei ihrem letzten Besuch im vergangenen August gleich ganz auf den Dialog mit Regimegegnern.

Einen Einschnitt in der Beziehung zu China hat die derzeitige Bundesregierung auch vollzogen, als sie ankündigte, die Entwicklungszusammenarbeit mit Peking auslaufen zu lassen. China leistet inzwischen selbst Entwicklungshilfe in großem Umfang an ärmere Länder. Da brauche es keine Hilfe mehr aus Deutschland, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel kurz nach seinem Amtsantritt. Damit fallen viele Projekte weg, in denen Deutschland und China auf der praktischen Ebene kooperierten. Kritiker wie die Grünen-Politikerin von Cramon befürchten, dass Deutschland damit Einfluss auf die Entwicklung Chinas verliert. Noch sind etwa 200 Mitarbeiter der staatlichen Durchführungsorganisation Gemeinschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in China, die die laufenden Projekte abwickeln - die meisten davon laufen 2014 aus. Es geht vor allem um Zusammenarbeit im Umwelt- und Energiebereich. Betroffen ist aber auch der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog, den frühere Regierungen immer als Modell einer kritischen und konstruktiven Zusammenarbeit mit dem sperrigen Partner dargestellt haben. Er wird bisher zu einem großen Teil aus Entwicklungsgeldern finanziert.