1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tausende russische Soldaten in der Ukraine vermutet

Alexander Warkentin29. August 2014

Experten gehen davon aus, dass Tausende russische Soldaten an Kämpfen in der Ukraine teilnehmen. Eine offizielle Bestätigung aus Moskau gibt es nicht. Das bringt viele russische Kämpfer in eine tragische Lage.

https://p.dw.com/p/1D3YQ
Rauchsäule über Nowoasowsk in der Ukraine (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Die offizielle russische Lesart lautet: Im Osten der Ukraine bekämpft die ukrainische Armee Aufständische, so genannte "Volksmilizen". Es handele sich um einen Bürgerkrieg gegen das eigene Volk.

Russische Menschenrechtler gehen aber davon aus, dass russische Soldaten schon seit langem an dem Krieg in der Ostukraine beteiligt sind. Sie sind überzeugt: Dort kämpfen nicht nur Freiwillige oder Söldner, sondern reguläre Soldaten der russischen Armee. Viele von ihnen seien in einer tragischen Lage: Sie riskierten ihr Leben in einem Krieg, den ihr Land nach eigenen Angaben gar nicht führt.

Tausende russische Soldaten in der Ukraine?

Lew Schlosberg war der erste, der öffentlich über heimliche Beisetzungen von Soldaten der Pskower Fallschirmjägerdivision sprach. Im Interview mit der DW sagte der Abgeordnete der Deputiertenversammlung des Gebiets Pskow im Nordwesten Russlands: "Die Gesellschaft muss wissen, was in Wirklichkeit passiert. Zu meinem größten Bedauern erzählen sowohl die zivilen Behörden als auch das Verteidigungsministerium die Unwahrheit. Es gibt genug Beweise dafür, dass reguläre russische Truppen - als Einheiten der selbsternannten Donezker und Lugansker Republiken getarnt - an Kamphandlungen in der Ukraine teilnehmen."

Walentina Melnikowa vom Komitee der Soldatenmütter Russlands nennt auf Anfrage der DW erschreckende Zahlen: "Nach meiner Schätzung nehmen an den Kämpfen in der Ukraine 10.000 bis 12.000 russische Soldaten teil. Das ist meine Schätzung, die genauen Zahlen kennt nur der Verteidigungsminister. Es sind Fallschirmjägereinheiten und Infanteristen. Wir sprechen nicht von Söldnern oder Freiwilligen, sondern von regulären Truppen."

Lew Schlosperg, russischer Abgeordneter (Foto: Schlosberg)
Lew Schlosberg: "Die Gesellschaft muss wissen, was passiert"Bild: Schlosberg

Keine Ermächtigung für einen solchen Einsatz

Ungeklärt ist auch der rechtliche Status der russischen Soldaten in der Ukraine. Lew Schlosberg betont: "Es sind Einheiten, die auf dem Territorium der Russischen Föderation gebildet wurden. Sie passieren illegal die ukrainische Grenze und nehmen an Kampfhandlungen teil. Es ist bekannt, dass der russische Föderationsrat auf Antrag von Putin höchstpersönlich dem Präsidenten die Ermächtigung für den Einsatz der russischen Streitkräfte außerhalb des eigenen Territoriums entzogen hat. Ohne diese Ermächtigung aber haben weder der Oberbefehlshaber, noch der Verteidigungsminister das Recht, Soldaten in Kämpfe in anderen Staaten zu schicken. Das, was hier passiert ist eine schwere kriminelle Handlung".

Schlimm findet Lew Schlosberg, dass die Familien der in der Ukraine gefallenen Fallschirmspringer über ihren Kriegseinsatz nicht informiert wurden. Es hieß, sie würden an regulären Truppenübungen teilnehmen. Die Fallschirmspringerdivision aus Pskow sei bereits in vielen Kämpfen eingesetzt worden, in Afghanistan und Tschetschenien, aber niemals als illegale bewaffnete Gruppierung, betont der Abgeordnete: "Die Offiziere, die ich gesprochen habe, sind empört. Sie meinen, dass die russische Führung die Soldaten verraten habe. Es sei eine Schande, reguläre Truppen unter Waffen als Partisanen in ein fremdes Land zu schicken, um dann die Verluste zu verneinen und die Gefallenen heimlich zu bestatten."

Die mysteriöse Beisetzung von Soldaten auf dem Friedhof in Pskow vor einigen Tagen hat Menschenrechtler und Militärangehörige alarmiert. Kurz nach der Trauerfeier wurden sogar die Namen der Opfer und die Kränze von ihren Armeekameraden entfernt. Belegt sind zwei solcher Fälle, die Dunkelziffer dürfte höher sein.

Walentina Melnikowa, Vorsitzende des Vereins der Soldaten-Mütter Russlands (Foto: Sergej Morosow/DW)
Walentina Melnikowa, Vorsitzende des Vereins der Soldatenmütter RusslandsBild: DW

Walentina Melnikowa sorgt sich auch um russische Soldaten, die in der Ukraine in Gefangenschaft geraten sind. Sie seien weder Partisanen noch Saboteure, weder Söldner noch Terroristen: "Warum sollen sie nicht als Kriegsgefangene gelten? Sie kämpfen in Uniform mit ihren Waffen und ihrer Ausrüstung unter ihrem ordentlichen Kommando. Es gibt die Genfer Konvention, die genau festlegt, wer als Kombattant gilt und wer nicht. Unsere Soldaten weisen alle Merkmale von Kombattanten auf."

Harsche Kritik an Putin

Was sagt Walentina Melnikowa zu Behauptungen Putins, es gebe in der Ukraine keine russischen Truppen - und falls doch, so wären das Soldaten, die sich "verlaufen" hätten? Wie naiv müssten westliche Politiker und Journalisten wohl sein, um so etwas für bare Münze zu nehmen, entgegnet die Aktivistin: "Putin ist der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte seit dem Jahre 2000. Wenn er wirklich glauben würde, seine Fallschirmjäger seien so ungeschickt, dann hätte er längst die ganze Armee nach Hause schicken müssen. Ein Oberbefehlshaber aber, der seine Soldaten fallen lässt, ist ein Mann ohne Ehre".

Allen russischen Soldaten, die in die Ukraine geschickt werden, rät Walentina Melnikowa dazu, den Befehl zu verweigern und Beschwerden an das Kommando und die Staatsanwaltschaft zu schreiben. Es sei illegal, ohne offiziellen Auftrag in ein fremdes Land einzudringen. Die Soldaten würden so an einem Kriegsverbrechen teilnehmen.

Russische Soldaten auf einem Panzer an der Grenze zu Ukraine (Foto: Reuters)
Russische Soldaten an der Grenze zur UkraineBild: Reuters

Walentina Melnikowa hofft, dass in Russland nun eine Diskussion beginnt. Einen Umschwung in der russischen Haltung könnte es geben, wenn die Soldatenmütter ihre Söhne unter Protest nach Hause holen würden: "Wenn die Eltern zu den Einheiten fahren und mindestens 200 Soldaten den Dienst verweigern, dann kommt auch in Russland der Umschwung in der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges."