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Politik

"Mir machen die blinden Flecken Sorgen"

Dennis Stute6. Mai 2013

Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im DW-Interview über Dschihad-Kämpfer aus Deutschland, die Grenzen der Geheimdienstarbeit und Rassismus in seiner Behörde.

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Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Foto: dapd)
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für VerfassungsschutzBild: dapd

DW: Der Verfassungsschutz beobachtet mit Sorge, dass Islamisten aus Deutschland in Kampfgebiete gehen. Wie viele sind derzeit dort?

Hans-Georg Maaßen: Wir gehen davon aus, dass sich in einer mittleren zweistelligen Zahl Islamisten aus Deutschland in den sogenannten Kampfgebieten aufhalten. Darunter verstehen wir das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, aber ebenso Somalia, Teile von Libyen und seit einiger Zeit auch Syrien. Der überwiegende Teil der Dschihadisten ist jung, zwischen 17 und 30 Jahren, ist männlich und hat einen Migrationshintergrund, wobei die Zahl der Konvertiten in den letzten Jahren zugenommen hat.

Wie schätzen Sie die Situation in Syrien ein?

Nach unseren Erkenntnissen halten sich dort derzeit rund 40 aus Deutschland stammende Islamisten auf. Syrien ist ein Trendland, aber nicht nur für Personen aus Deutschland, sondern aus Westeuropa insgesamt. Es gibt Schätzungen, dass sich 250 bis 500 Dschihadisten aus Westeuropa in Syrien aufhalten.

Geht von den Rückkehrern Gefahr aus?

Rückkehrer bereiten uns aus verschiedenen Gründen große Sorgen. Ein Hauptgrund ist, dass es sich um Personen handelt, die mutmaßlich Erfahrung aus dem Kampf mitbringen, Umgang mit Waffen hatten und wissen, wie sie Sprengstoffe herstellen können. Darüber hinaus können sie einem terroristischen Netzwerk angehören und mit einem Auftrag zu uns kommen. Was uns auch Sorge bereitet, sind Personen, die ideologisch hoch aufgeladen zu uns kommen und als Vorbild für eine bestimmte Klientel auftreten.

Hat sich die Befürchtung bestätigt, dass verstärkt auch afrikanische Staaten Ziel deutscher Dschihad-Touristen werden?

Ägypten war und ist in Teilen immer noch eine Drehscheibe für junge Dschihadisten aus Deutschland, insbesondere, um nach Somalia und Mali weiterzureisen. Mali hat sich allerdings nicht als ein geeignetes Dschihad-Gebiet erwiesen, weil die Transitverbindungen einfach zu schwierig sind.

Haben es Deutsche dorthin geschafft?

Nach unserer Kenntnis nein. Es gibt einige Fälle von Personen aus Deutschland, die nach Somalia gegangen sind, jetzt aber in Teilen wieder zurückgekehrt sind. Die Verhältnisse in Somalia sind für Dschihadisten derzeit nicht so einladend, dass Somalia ein Magnet wäre.

Wie gut ist der Verfassungsschutz über radikale Islamisten in Deutschland informiert?

Ich denke, dass wir einen guten Überblick haben, insbesondere was islamistische Strukturen angeht. Die größte Sorge bereiten uns Einzeltäter, die wir so nicht auf dem Radarschirm haben, weil sie nicht im Internet oder im Privatleben in Erscheinung treten. Denken Sie an den Fall von Arid Uka, der vor zwei Jahren zwei amerikanische Soldaten auf dem Frankfurter Flughafen ermordete. Niemand wusste vorher, dass er sich so radikalisiert hatte.

Was lässt sich gegen Anschläge solcher Einzelgänger tun?

Zum einen ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem. Jeder Einzelne kann zur Sicherheit beitragen. Das heißt: Wenn jemand augenfällige Veränderungen in seinem Umfeld feststellt, ob an der Arbeitsstelle oder in der Familie, sollte dies mitgeteilt werden. Zum anderen ist es notwendig, dass wir uns als Sicherheitsbehörden auch im Internet weiter ertüchtigen; dass wir wissen, was sich in sozialen Netzwerken tut, um auch da zu erkennen, ob sich Personen selbst radikalisieren.

Sollen wir nun die Polizei rufen, wenn sich der Nachbar einen Bart wachsen lässt?

Ich rede hier nicht der Denunziation das Wort, sondern ich trete für eine Aufmerksamkeit ein, die aus meiner Sicht auch Bestandteil eines selbstbewussten Bürgertums sein muss. Es geht darum, dass derjenige, dem etwas auffällt, es auch weitergibt und mitteilt. Er muss es nicht dem Verfassungsschutz sagen oder der Polizei, sondern vielleicht der Jugendverwaltung oder den Sozialbehörden.

Sie sagten, Sie seien gut über islamistische Strukturen informiert. Für wie groß halten Sie die blinden Flecken?

Je größer ein Fleck ist, desto eher kann er erkannt werden. Ich denke, dass wir nicht viele große Flecken haben, ansonsten besteht jedenfalls eine gute Chance für die Sicherheitsbehörden, diese Flecken zu erkennen. Größere Sorgen machen mir die vielen kleinen blinden Flecken. Da spreche ich gerade die Einzeltäter an, die nicht mit den bekannten Strukturen kommunizieren und plötzlich aus dem Nichts in Erscheinung treten.

Vor den Anschlägen des 11. September 2001 konnten die Attentäter in Hamburg unbemerkt eine Zelle gründen. Wäre das heute noch möglich?

Strukturen, Organisationen und Zellen dürften wir durchaus erkennen. Ich denke, dass unsere Befugnisse im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung und mit unseren V-Leuten durchaus in der Lage sind, derartige Zellenstrukturen aufzuklären. Nicht zuletzt die gute Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, die es ja vor 9/11 nicht gab, sollte dazu führen, dass wir so etwas heute nicht wieder erleben.

Machen es ethnische und sprachliche Barrieren schwierig, diese Strukturen zu beobachten?

Ethnische und sprachliche Barrieren sind immer wieder eine Herausforderung für uns. Wir stellen uns dem, indem wir eine ganze Reihe von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund haben und unsere Mitarbeiter entsprechend ausbilden. Aber es bleibt nach wie vor eine Herausforderung, weil sich der Bereich der Dschihadisten nicht nur auf eine ethnische Gruppe beschränkt, sondern es viele unterschiedliche sind: von Somaliern über Afghanen und Türken bis hin zu ethnischen Deutschen und anderen Europäern.

Mitarbeiter mit Migrationshintergrund waren in Ihrem Amt rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt…

Ich möchte klarstellen: Rassismus gibt es in meinem Amt nicht. Ich habe mir den Vorgang vortragen lassen, der sich im Jahr 2009 abgespielt hat und der disziplinarrechtlich geahndet wurde. Es war eine Auseinandersetzung zwischen Mitarbeitern mit sehr, sehr unschönen Ausdrücken, wie sie auch an anderen Orten stattfindet. Das hat mit Rassismus im Amt nichts zu tun.

Hans-Georg Maaßen ist seit August 2012 Präsident des deutschen Inlandsnachrichtendienstes Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Jurist war mehr als zwei Jahrzehnte im Bundesinnenministerium tätig, ab 2008 war er Leiter des Stabes Terrorismusbekämpfung.

Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, Informationen über als extremistisch eingestufte Gruppen und über Spionageaktivitäten zu sammeln. Die Behörde war zuletzt stark in die Kritik geraten: Sie gilt als mitverantwortlich dafür, dass die rechtsextreme Terrorgruppe NSU jahrelang unentdeckt blieb und so zehn Menschen ermorden konnte.

Das Gespräch führte Dennis Stute