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"Verbot von Kinderarbeit ist keine Lösung"

Marcus Lütticke25. Juni 2014

Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern müssen in vielen Ländern schon die Kleinsten Geld verdienen. Generell verbieten sollte man das nicht, meinen Experten. Es komme aber entscheidend auf die Umstände an.

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Symbolbild Kinderarbeit in Bolivien (Foto: imago/GranAngular)
Bild: imago/GranAngular

"Politiker fordern 35-Stunden-Woche für Kinder und Jugendliche" war vor wenigen Wochen eine Schlagzeile in den deutschen Zeitungen. Schüler dürften nicht mehr arbeiten als Erwachsene, sagte dazu der CDU-Familienpolitiker Martin Patzelt. Hintergrund der Debatte ist die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche für die Schule teilweise so viel Zeit aufwenden wie Erwachsene in Vollzeitjobs. In einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks und von Unicef im Jahr 2012 gaben die befragten Schüler an, rund 38,5 Stunden pro Woche mit schulischen Angelegenheiten zu verbringen. Von der neunten bis zur 13. Klasse sollen es sogar bis zu 45 Stunden sein.

In vielen Ländern der Erde erscheint eine solche Debatte völlig fremd. Denn hier arbeiten Kinder nicht für ihre Bildung, sondern um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, gibt es weltweit 168 Millionen Kinderarbeiter - Jungen und Mädchen, die regelmäßig mehrere Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen. 85 Millionen Kinder arbeiten laut ILO gar unter ausbeuterischen Bedingungen - das heißt, sie arbeiten an gefährlichen Orten wie Steinbrüchen oder kommerziellen Plantagen, sie leisten Nachtarbeit, sie arbeiten viel zu lange oder werden wie Sklaven behandelt.

Gute und schlechte Kinderarbeit?

Besonders verbreitet ist Kinderarbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika - überall dort, wo große Armut herrscht. Hilfsorganisationen wie Terre des Hommes setzen sich für die Nöte dieser Kinder und deren Familien ein. Sie sagen erstaunlicherweise, dass es nicht hilfreich sei, Kinderarbeit generell zu verbieten. Vielmehr komme es darauf an eine klare Linie zwischen ausbeuterischer und nicht ausbeuterischer Kinderarbeit zu ziehen.

Barbara Küppers von terre des hommes (Foto: Christel Kovermann, terre des hommes)
Barbara Küppers von Terre des Hommes plädiert für einen differenzierten UmgangBild: terre des hommes/C. Kovermann

"Wir versuchen solche Kinder, die unter nicht ausbeuterischen Bedingungen arbeiten, zu stärken und zu stützen, damit sie ihr Marketing verbessern, in kürzerer Zeit mehr Geld verdienen und dadurch mehr Zeit für Schule oder Freizeit haben", erklärt Barbara Küppers, Leiterin des Referats Kinderrechte bei Terre des Hommes. Es gebe nämlich durchaus Gegenden in der Welt, in denen Kinder nicht darunter zu leiden hätten, dass sie - oft in bäuerlichen Verhältnissen - zum Lebensunterhalt der Familie beitragen: "Da heißt Arbeit, langsam lernen sich zu beteiligen, langsam lernen, wie die Dinge wachsen, wie die Ernte abläuft und wie man gemeinsam mit anderen etwas erreichen kann. Das sind ja sehr positive Gesichtspunkte von Arbeit." Wichtig sei es, dass neben der Arbeit auch eine Schulbildung stattfinde.

Kinder als Erntehelfer

Ähnlich argumentiert Manfred Liebel, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Berlin und Berater der "Union der arbeitenden Jungen, Mädchen und Heranwachsenden in Bolivien": "In Bolivien spielen Traditionen der Indios eine große Rolle. Sie sehen vor, dass sich die Kinder bereits in jungen Jahren an der Arbeit beteiligen. Ernte oder Fischfang spielen in dieser Hinsicht eine große Rolle."

Unterstützende Arbeit von Kindern in der Landwirtschaft war auch in Deutschland bis vor wenigen Jahrzehnten weit verbreitet. Die Herbstferien hießen früher vielerorts auch "Kartoffelferien", weil die Schüler auf dem Land in dieser Zeit in den bäuerlichen Betrieben bei der Kartoffelernte helfen mussten.

Dennoch warnt Barbara Küppers davor, Kinderarbeit zu romantisieren: "Das heißt nicht, dass man Ausbeutungsformen nur deshalb prima findet, weil es in einer bestimmten Kultur schon immer so war. Man muss mit den Kindern selber sprechen, was man mit ihnen und für sie tun kann."

Moderne Sklaverei

Auf eine traditionelle Form der Ausbeutung trifft man häufig in Indien. Dort gibt es mit dem sogenannten Sumangali-System eine tief in der Gesellschaft verwurzelte Form der modernen Sklaverei. Junge Mädchen - meist Angehörige der untersten Kaste - werden in Spinnereien und Fertigungsbetrieben mit einem mehrjährigen Vertrag als "Lehrlinge" angestellt. Die Verträge sind häufig nicht direkt mit den Textilbetrieben geschlossen, sondern mit Mittelsmännern, die die Mädchen aus den Dörfern der Umgebung anwerben. Die Eltern erhalten von den Zwischenhändlern etwas Geld, das sie dann als Zuschuss zum Brautpreis ihrer Töchter nutzen, der bei einer Heirat an die Familie des Bräutigams gezahlt werden muss. Die Mädchen arbeiten dann zu Hungerlöhnen und ohne Kontakt zur Außenwelt in den Fabriken.

Kinderarbeit in Indien (Foto: imago/imagebroker)
Das Kastensystem in Indien fördert ausbeuterische ArbeitBild: imago/imagebroker

Ausbeutung und moderne Formen der Sklaverei betreffen nicht nur Kinder, sondern sind überall da anzutreffen, wo materielle Not die Menschen dazu zwingt, jede auch noch so schlechte Form der Erwerbsarbeit anzunehmen. Daher könne ausbeuterische Kinderarbeit nur dann wirksam verhindert werden, wenn der ausbeuterischen Arbeit generell der Kampf angesagt wird, meint Barbara Küppers.

Verantwortung der Verbraucher

"Viele Dinge, die bei uns zum Kauf angeboten werden, sind durch die Ausbeutung von Menschen zustande gekommen - von Erwachsenen und von Kindern", so Küppers. Die Verantwortung dafür tragen alle Kunden mit: "Man kann als Verbraucher durchaus darauf achten, dass man Produkte aus fairem Handel kauft, wenn es einem möglich ist." Nicht nur das T-Shirt für drei Euro, auch das teure Smartphone ist in aller Regel das Ergebnis menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen. "Viele Leute sind verwundert, wenn man sagt, dass in Handys massiv Sklavenarbeit steckt", so Küppers.

Fairphone (Foto: DW)
Ein Exot auf dem Handymarkt: Das zu fairen Bedingungen produzierte "Fairphone"Bild: DW

Dennoch gibt es auch positive Anzeichen: So ist seit dem Jahr 2000 die Kinderarbeit um ein Drittel zurückgegangen, mit steigender Tendenz, so die Internationale Arbeitsorganisation ILO. "Es ist kein Geheimnis, was zu tun ist", so ILO-Generaldirektor Guy Ryder: "Soziale Sicherheit zusammen mit universeller verpflichtender und guter Bildung, wenigstens bis zum Mindestalter für den Arbeitseintritt, menschenwürdige Arbeit für Erwachsene und Jugendliche, wirksame Gesetzgebung und starker sozialer Dialog sind die richtigen Antworten auf Kinderarbeit."