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Vater eines Mordopfers klagt an

Marcel Fürstenau2. Oktober 2013

Ismail Yozgat fand seinen sterbenden Sohn am Arbeitsplatz in einem Kasseler Internet-Café. Der 21-Jährige war das mutmaßlich vorletzte Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds".

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Ismael Yozgat, Vater des Kasseler NSU-Opfers Halit Yozgat, sitzt am 01.10.2013 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München - Foto: Andreas Gebert (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es war der bislang emotionalste Moment im Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. "Warum haben sie meinen Sohn getötet?", fragte Ismail Yozgat mit tränenerstickter Stimme. Sein Sohn Halit war das neunte von zehn Opfern, die mutmaßlich vom NSU erschossen wurden. Der 21-Jährige starb am 6. April 2006 in den Armen seines Vaters, der ihn blutüberströmt in dem gemeinsam betriebenen Internet-Café in Kassel gefunden hatte.

Ismail Yozgat schilderte die Umstände, unter denen er seinen Sohn fand, auf Türkisch. Ein Dolmetscher übersetzte die Aussage. Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, wirkte die ganze Zeit über äußerlich unberührt. Mal verschränkte sie die Arme vor der Brust, mal stützte sie den Kopf auf beiden Händen ab, mal blickte sie in ihren Laptop und tippte mit den Fingern auf die Tastatur.

"Haben sie deinen Sohn wegen Haschisch oder Heroin getötet?"

Ismail Yozgat fiel es während seiner rund halbstündigen Befragung zunehmend schwerer, die Fassung zu bewahren. Als er seinen Sohn im Internet-Café gesucht habe, seien ihm zwei rote Tropfen auf dem Tisch im Eingangsbereich aufgefallen. Dann habe er seinen in einer Blutlache am Boden liegenden Sohn entdeckt und in die Arme genommen. "Er hat nicht reagiert!", sagte Ismail Yozgat immer wieder laut schluchzend. Nur mühsam gelang es seiner Frau und seinem Rechtsanwalt, den aufgebrachten Mann zu beruhigen.

Mordopfer Halit Yozgat - Foto: Stephan Jansen (dpa)
Mordopfer Halit YozgatBild: picture-alliance/dpa

Ausführlich berichtete Ismail Yozgat über die Ermittlungen der Polizei im Umfeld seiner Familie und Freunde. Viele Gerüchte seien damals in die Welt gesetzt worden. "Haben sie deinen Sohn wegen Haschisch oder Heroin getötet", sei er gefragt worden? Man habe sie feindselig angeschaut, "sowohl die Deutschen als auch die Türken". Er habe das alles nicht ertragen und einen Herzinfarkt erlitten, sagte der 58-jährige Frührentner.

Die fragwürdige Rolle eines Verfassungsschützers

Yozgat dankte allen, die sich um Aufklärung des Mordes an seinem Sohn, aber auch der anderen Taten bemühten. Sein Vertrauen in den Rechtsstaat sei aber erschüttert, weil das Verfahren gegen einen vorübergehend festgenommenen Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes eingestellt wurde. Andreas T. hatte sich zum Tatzeitpunkt im Internet-Café aufgehalten, will aber nichts bemerkt haben. Von dem Mord habe er erst drei Tage später aus der Zeitung erfahren, sagte er als Zeuge im NSU-Prozess. "Natürlich war ich aufgewühlt." Er habe allerdings geglaubt, einen Tag vor dem Mord in dem Laden gewesen zu sein.

Ein Laden in Kasel, in dem am 13.04.2013 Halit Yozgat erschossen wurde - Foto: Florian Schuh (dpa)
Tatort in KasselBild: picture-alliance/dpa

Die Überprüfung der elektronischen Verbindungsdaten in dem Internet-Café ergab jedoch, dass T. an einem Computer eingeloggt war, als Halit Yozgat erschossen wurde. Wegen der offenkundigen Widersprüche wurde T. mehrmals von der Polizei als Beschuldigter verhört. Dass er sich nicht freiwillig den Behörden offenbarte, begründete der inzwischen suspendierte Verfassungsschutz-Mitarbeiter mit Befürchtungen vor dienstlichen und privaten Folgen. "Das war ein Fehler, das ist mir klar", sagte T.

Für die Angehörigen des Mordopfers Halit Yozgat und ihre Anwälte stellen sich nach der ersten Vernehmung des 46-Jährigen weiter viele Fragen. Ihr Misstrauen speist sich auch aus dem Umstand, dass vom hessischen Innenministerium die Herausgabe von Akten über die Vernehmung T.s verweigert wurde. Mehrere Nebenkläger-Anwälte haben deshalb beantragt, Einblick in die Akten nehmen zu dürfen.

Die mutmaßlichen Mörder sind tot

Die mutmaßlichen Mörder Halit Yozgats und der neun anderen Opfer werden nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können. Beate Zschäpes NSU-Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben sich Anfang November 2011 das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Die Beiden haben nach Überzeugung der Anklage im Zeitraum 2000 bis 2007 acht türkischstämmige Männer, einen Mann mit griechischen Wurzeln und eine Polizistin erschossen. Zschäpe soll dafür gesorgt haben, dass Böhnhardt und Mundlos die Morde vorbereiten und durchführen konnten.

Die gemeinsam vom NSU-Trio genutzte Wohnung in Zwickau hat sie laut Anklage in Brand gesteckt, um Spuren zu verwischen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft spielte Zschäpe eine tragende Rolle. Sie ist deswegen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und mehrfachen Mordes angeklagt. Aufgrund der dem NSU zur Last gelegten zahlreichen Taten und der vielen Nebenkläger wird der Prozess mindestens bis Dezember 2014 dauern.