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"EU braucht Schattenbanken"

Bernd Riegert5. September 2013

"Schattenbanken" sind nicht so schlecht wie ihr Ruf, sagt Nicolas Véron. Europa brauche sogar mehr "alternative Kreditgeber", die keine klassischen Banken sind, so der französische Ökonom im DW-Interview.

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Nicolas Véron, französischer Ökonom und Experte für internationale Finanzmärkte - Foto: Bruegel Thinktank
Bild: Bruegel Thinktank

Deutsche Welle: Die EU-Kommission will jetzt Geldmarkt-Fonds regulieren. Ist das genug, um die Größe und den Einfluss der sogenannten Schattenbanken auf das richtige Maß zu stutzen?

Nicolas Véron: Der Begriff "Schattenbanken" ist nicht sehr präzise. Wenn die Leute über Schattenbanken reden, meinen sie alle möglichen Dinge. In der Tat ist es so, dass das Anwachsen der "Nicht-Banken" und Finanzinstitutionen, die keine klassischen Banken sind, nötig ist. Denn die klassischen Banken verkleinern ihre Bilanzen und vergeben weniger Kredite. Wir brauchen aber Kredite, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Alternative Kreditgeber sind also eine vernünftige Idee. Es gibt Risiken bei bestimmten Formen der "Nicht-Banken". Geldmarkt-Fonds mit einer Garantie, dass eingezahltes Kapital auf jeden Fall wieder komplett ausgezahlt wird, sind möglicherweise riskant. Die EU-Kommission tut gut daran, diese garantierten Geldmarkt-Fonds gesetzlich zu reglementieren.

EU-Kommissar Barnier möchte eine Art finanziellen Puffer aufbauen, um zu verhindern, dass ein Geldmarkt-Fonds, der in Schwierigkeiten gerät, andere ansteckt. Reicht das aus oder braucht man härtere Maßnahmen?

Diese Maßnahme wird möglicherweise den kompletten Markt für die Geldmarkt-Fonds mit Garantie-Kapitel abschaffen. Diese Fonds gaukeln den Anlegern vor, dass sich ihr Wert nie unter das eingezahlte Kapital entwickeln kann. Das ist falsch, denn diese Fonds können Verluste einfahren und sollten in der Lage sein, auch Verluste zu machen. Die Einführung von Puffern wird diese Form der Geldmarkt-Fonds wahrscheinlich wirtschaftlich uninteressant machen. Das wird zu einer radikalen Verkleinerung des Markt-Segmentes führen. Und das ist gut so. Denn gewollt oder ungewollt: Geldmarkt-Fonds mit Garantie täuschen den Kunden. Deshalb ist es gut, dass diese jetzt vom Markt gedrängt werden.

Die EU-Kommission geht dieses Problem jetzt an. Wie sieht es in den USA aus, die ja einen vielen größeren Markt haben? Gibt es eine globale Strategie?

Bei den Geldmarktfonds mit Kapitalgarantie bewegt sich Europa viel schneller als die USA. In den USA gibt es heftige Lobby-Kampagnen, diese Art von Fonds zu erhalten. Ich hoffe, dass die US-Regierung dem europäischen Beispiel folgt und nach jahrelangen Debatten handelt. Wenn man den Blick weitet, muss man sagen, dass Europa unglücklicherweise immer noch in einer systemischen Finanzkrise steckt. Und das ist seit sechs Jahren so. Das unterscheidet Europa vom Rest der Welt. Die Finanzkrise wurde in den USA viel schneller bewältigt, schon 2008 und 2009. Im Übrigen wird der Bedarf, etwas zu regulieren nie wirklich aufhören. Es gibt alle mögliche Pläne. Die werden jetzt auf globaler Ebene besser koordiniert als vor der Krise, aber die Zusammenarbeit bleibt global trotzdem schwierig. Ich kann nicht sagen, das Europa insgesamt schneller oder langsamer ist als der Rest der Welt. Das kommt immer auf das Marktsegment an, das man sich anschaut.

Wenn man sich heute die Zeitungen und Medien in Europa anschaut, scheint die allgemeine Meinung zu sein: Geldmarktfonds und "Schattenbanken" an sich sind böse. Warum ist der Ruf dieser Instrumente so schlecht?

Wenn man sich das ganze Bild anschaut, muss man sagen, dass es starkes Lobbying der klassischen Banken gegen die Fonds gibt. Sie sagen, alles, was keine Bank ist, sei gefährlich für das System. Das ist aus Sicht der Banken verständlich, denn die mussten ihre Bilanzen verkleinern und fürchten nun mehr Konkurrenz von den alternativen Kreditgebern. Aber die Wirtschaft braucht Kredite und deshalb brauchen wir die alternativen Kanäle für Kredite. Die müssen reguliert werden, aber ich würde der These widersprechen, dass Schattenbanken an sich gefährlicher sind für das System als normale Banken. Was wir in Europa erleben, ist eine massive Bankenkrise. Die Risiken kamen hier nicht von den Schattenbanken.

Wem gehören die Schattenbanken eigentlich und wer betreibt sie? Ist es nicht so, dass sie oft Tochterfirmen von normalen Banken sind, die wiederum mit normalen Banken Geschäfte machen?

Während der Finanzkrise wurde deutlich, dass deutsche Geldinstitute wie "Hypo-Real-Estate", "Depfa", "Sächische Landesbank" und "Westdeutsche Landesbank" in Irland im Schattenbankgeschäft tätig sind - genau so, wie Sie das eben beschrieben haben. Der Begriff Schattenbanken ist eben sehr unpräzise und wird mal so und mal so gebraucht. Er umfasst die Tochtergesellschaften von richtigen Banken, aber auch hochspekulative Fonds. Und der Begriff wird nicht immer neutral eingesetzt. Es wäre besser von Finanzdienstleistern oder "Nicht-Banken" zu sprechen.

Vergleicht man noch einmal die EU und die USA, muss man sagen, dass der Bereich der Nicht-Banken in Europa sehr viel kleiner ist als in den USA. Und wir leiden darunter, dass wir nicht genügend Kredite von Nicht-Banken erhalten. Der US-Markt ist viel weiter aufgefächert und diversifiziert. Trotz allem, was darüber geschrieben und berichtet wurde: Der US-Finanzmarkt ist deshalb wesentlich widerstandsfähiger als der europäische. Vergleichen Sie das mit einem Ökosystem. Je mehr Arten, desto stabiler. Das würde auch Europas Finanzsystem gut tun.

Der französische Ökonom Nicolas Véron (42) ist Experte für die internationalen Finanzmärkte und für globale Finanzbeziehungen. Er arbeitet und forscht für den Brüssler Thinktank "Bruegel" und das Peterson Institute for International Economics in Washington.

Das Gespräch führte Bernd Riegert.