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Uwe Timm - Chronist der Studentenbewegung

Heike Mund30. März 2015

Seine Romane sind oft literarische Ausflüge in die jüngere deutsche Geschichte. Aber auch mit Kinderbüchern hat sich der Schriftsteller und Alt-68er Uwe Timm einen Namen gemacht. Nun wird er 75.

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Schriftsteller Uwe Timm Porträt
Bild: picture-alliance/dpa

In Berlin hat er nicht nur einen Koffer stehen. Wenn seine Zeit es erlaubt, nutzt Uwe Timm seine großzügige Altbauwohnung im Berliner Ortsteil Friedenau als Refugium zum Schreiben. Die laut knarrenden Dielenböden sind ihm eine angenehme Geräuschkulisse beim gehenden Nachdenken, sagt er. Seine erwachsenen Kinder, die hier ihre Studentenzeit verbracht haben, sind längst aus dem Haus. Zu Hause ist der Schriftsteller in München.

Timm: "Ich schreibe, bis es gut klingt"

Die deutsche Sprache ist seine Heimat. Uwe Timm mag vor allem den Klang dieser Sprache, in den er sich beim Schreiben immer erst hineindenken muss. "Draußen trieb der Westwind den Regen durch die Stadt, über Plätze", schreibt er in seinem Roman "Rot". "Schwarze Regenschirme kämpften gegen den Wind, Hüte wurden gehalten, Mäntel flatterten, eine nasse Zeitungsseite wehte mir an die Beine."

Er lauscht dem Rhythmus seiner frisch geschriebenen Sätze. "Ich habe eine Stimme im Kopf, ohne dass ich laut werde", erzählt er in einem früheren DW-Interview. Er feilt lange am Satzbau herum, nimmt Worte weg, bereinigt überflüssige Füllwörter, setzt andere Gedanken dazwischen, bis die Sätze endlich sitzen. "Ich schreibe solange um, bis es gut klingt." Uwe Timm ist ein äußerst anspruchsvoller Literat, gegen sich und auch gegenüber seinen literarischen Zeitgenossen der jüngeren Generation. Und er ist ein politisch wacher Geist geblieben, auch mit 75 Jahren. Und er freut sich, dass deutsche Autoren wie Ingo Schulze, Juli Zeh, Julia Franck und andere engagierte junge Schriftsteller wieder international wahrgenommen werden.

Uwe Timm
Bild: Imago

Ein literarischer Alt-68er

Von Haus aus ist Timm ein waschechter Hamburger, eher wortkarg und zurückhaltend mit Gefühlsäußerungen. Geboren wird er am 30. März 1940, mitten im Krieg. Als er drei Jahre alt ist, wird die Familie ausgebombt und flüchtet mit Sack und Pack in die Provinz nach Coburg zu einem Großonkel. Später gehen sie zurück in die Hansestadt an der Elbe, wo der Junge nach der Volksschule später eine Kürschnerlehre macht. Als der Vater plötzlich stirbt und das Pelzgeschäft hoch verschuldet in die Pleite schliddert, packt der 18-jährige Uwe Timm ordentlich zu, bringt binnen vier Jahren alles ins Lot – und will dann nur noch weg aus Hamburg.

Nach München zieht es ihn, wo das Lebensgefühl ein ganz anderes ist als in Norddeutschland, erinnert er sich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Früher gab es in Hamburg nur einen einzigen Platz, wo man draußen saß. Am Alsterpavillon nahmen die feinen Damen immer ihren Kaffee. Sie hatten diese Topfhüte auf und Perlenketten." Sein Abitur holt Timm am Erwachsenenkolleg nach, studiert dann in München und Paris Philosophie und Germanistik. Und engagiert sich politisch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS).

Erzählung über Studentenrevolte bringt internationale Aufmerksamkeit

Die wilde Zeit der westdeutschen Studentenrevolte 1968/69 durchzieht als Lebensthema fast alle seine Romane und Erzählungen. Sein literarisches Debüt liefert er Anfang der 1970er Jahre mit einem schmalen Lyrikband ("Widersprüche") und ein paar Hörspielen. Seinen ersten Roman schreibt er 1974 ("Heißer Sommer"). 1980 wird "Kerbels Flucht" als sein damals bester Roman in den deutschen Feuilletons gefeiert. 2001 kommt der Roman "Rot" dazu, als letzter Teil seiner 68er-Triologie. Mit der autobiografischen Erzählung "Der Freund und der Fremde", über seine Freundschaft zu dem 1967 von der Polizei erschossenen Studenten Benno Ohnesorg, erhält Uwe Timm als Schriftsteller endlich auch international Beachtung. Eindrucksvoll schildert er darin seine Reflexionen, als in Berlin die tödlichen Schüsse fielen.

Schriftsteller Uwe Timm Porträt
Bild: picture-alliance/dpa

Der Erfinder von Rudi Rüssel

Einige seiner Bücher werden verfilmt: Timm selbst schreibt nebenbei Drehbücher für zeitgeschichtliche TV-Produktionen ("Die Bubi Scholz Story"). Aber sein größter Erfolg ist ein Kinderbuch: Für den Roman "Rennschwein Rudi Rüssel" bekommt er den Deutschen Jugendliteraturpreis. Auch der gleichnamige Kinofilm zieht Hunderttausende ins Kino. Vier Kinderbücher hat Uwe Timm insgesamt geschrieben, jedem seiner vier Kinder hat er eins gewidmet. "Es war wunderbar. Für jedes Kind ist etwas spezifisches entstanden." Mehr werden es nicht werden, sagt er.

"Die Entdeckung der Currywurst" ist international erfolgreich

2008 sorgt die Kinoversion seines Romans "Die Entdeckung der Currywurst", mit Schauspielerin Barbara Sukowa in der Hauptrolle, noch mal für gute Auflagenerfolge seiner Bücher. Das Buch setzt sich mit dem Überlebenskampf in den letzten Kriegstagen im Nazideutschland des Jahres 1945 auseinander. In mehr als 20 Sprachen wurde es übersetzt. Und bei jeder Lesung, erzählt Timm gern in Interviews, musste er natürlich eine regionale Variante des deutschen Imbissbuden-Klassikers probieren.

Filmstill: "Die Entdeckung der Currywurst"
Barbara Sukowa im Film "Die Entdeckung der Currywurst"Bild: Schwarz-Weiss (Central)

Nie zu alt für Protest

Uwe Timm wird nicht müde, sich als Schriftsteller politisch einzumischen. Im August 2014 erscheint in der Sonntagsausgabe der "New York Times" eine ganzseitige Anzeige, mit der internationale Autoren und berühmte Schriftsteller gegen die Geschäftspraktiken des Online-Händlers Amazon protestieren. Mehr als 1500 Autoren schließen sich auch in Deutschland dem Protestbrief öffentlich an. Uwe Timm ist als PEN-Mitglied unter den 100 Erstunterzeichnern. Das sei er sich als Alt-Linker schuldig. Empörung gehöre schließlich immer noch zu seinem Kraftstoff, mit dem er literarische Geschichten schreibe.

Uwe Timms neustes Buch "Montaignes Turm" ist beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.