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Rousseff versetzt Obama

Fernando Caulyt / Jan D. Walter20. September 2013

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat ihren für Oktober geplanten Staatsbesuch bei Barack Obama vorerst abgesagt. Zuerst möchte sie eine Erklärung für die NSA-Spionage und eine Entschuldigung von ihrem US-Kollegen.

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (Foto: AP)
Bild: AP

Weder ein Vier-Augen-Gespräch am Rande des G20-Gipfels in Sankt Petersburg, noch ein 20-Minuten-Telefonat haben Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff und ihrem US-Amtskollegen Barack Obama gereicht, um ihren Streit über die mutmaßliche NSA-Spionage in Brasilien auszuräumen. Deshalb hat Rousseff ihren für Oktober geplanten Staatsbesuch im Weißen Haus auf unbestimmte Zeit verschoben.

Brasiliens Staatspräsidentin fordert die Aufklärung von Spionage-Vorwürfen gegen den US-Auslandsgeheimdienst NSA. Anfang September hatte der brasilianische Fernsehsender O Globo eine Reportage mit Indizien ausgestrahlt, denen zufolge US-amerikanische Behörden Telefonate und E-Mails der Präsidentin überwacht haben. In einem Gespräch am Rande des G20-Gipfels in Sankt Petersburg (06.09.2013) soll Obama Rousseff gegenüber die Verantwortung dafür übernommen und Aufklärung binnen einer Woche versprochen haben. Doch die Frist verstrich ohne weitere Stellungnahmen aus dem Norden, und auch ein Telefonat konnte die diplomatische Krise nicht beseitigen.

Viel zu besprechen

Offiziell habe man das Treffen verschoben, damit nicht das eine Thema die vielen Punkte auf der bilateralen Agenda überlagert: Die Aufhebung der Visumspflicht, ein Doppelbesteuerungsabkommen und Brasiliens Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, für den sich die USA stark machen sollen. Außerdem will Boeing der brasilianischen Luftwaffe Kampfflugzeuge verkaufen.

Rousseff und Obama im Vier-Augen-Gespräch auf dem G20-Gipfel in Sankt Petersburg (Foto: REUTERS)
Ohne Einigung blieb das Vier-Augen-Gespräch auf dem G20-Gipfel in St. PetersburgBild: REUTERS

Markus Fraundorfer vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerikastudien nennt ein anderes Motiv für Rousseffs Entscheidung: "Die Absage ist Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins, mit dem Brasilien der Welt und der US-Regierung begegnet."

Konkrete Verträge, da sind sich die Beobachter weitgehend einig, hätte der Staatsakt wohl auch ohne NSA-Affäre nicht zur Folge gehabt: "Der Besuch sollte eher symbolischen Charakter haben", meint der US-brasilianische Politologe David Fleischer, emeritierter Professor der Universität Brasília. "Rousseff will die Beziehungen wieder normalisieren, nachdem sie unter Lula gelitten hatten." Das letzte offizielle Treffen mit allen Ehren hatte 1995 zwischen Fernando Henrique Cardoso und Bill Clinton stattgefunden.

Angemessene Reaktion

Die Absage eines bilateralen Gipfeltreffens ist in der Diplomatie ein ungewöhnlicher Vorgang. Dennoch schätzen Experten die Entscheidung als angemessen ein: "Unverhältnismäßig wäre ein Abzug des brasilianischen Botschafters aus Washington gewesen. Ein Aufschub des Staatsbesuches ist nicht übertrieben", urteilt zum Beispiel der Politikwissenschaftler Valeriano Costa, Professor an der Universität Unicamp in Campinas. Auch Fraundorfer hält die Reaktion "in Anbetracht der Erklärungsnöte des US-Präsidenten" für angebracht.

US-Präsident Barack Obama (Foto: REUTERS)
US-Präsident Barack Obama in ErklärungsnotBild: Reuters

Bei Lesern deutscher Online-Zeitungen stieß Rousseffs Absage ebenfalls auf breite Zustimmung. Ihren Kommentaren zufolge hätten sich zahlreiche User eine ähnliche Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewünscht, als die NSA-Spionage in Deutschland aufgedeckt wurde. "Brasilien ist eben keine Provinz der USA" schreibt ein Zeit.de-Leser.

Paroli aus dem Süden

Genau darum dürfte es Rousseff wohl in erster Linie gehen, glaubt auch David Fleischer: "Andernfalls würde sie als gedemütigtes, zurückgesetztes Staatsoberhaupt nach Washington kommen."

Der Hamburger Politologe Fraundorfer vermutet sogar, dass Brasilien von Rousseffs Entscheidung profitieren könnte: "Als eines der wenigen Länder, das so entschlossen gegen die US-Überwachung protestiert hat, könnte Brasilien insbesondere im Ansehen der Entwicklungsländer steigen."

Für die Beziehungen zu den USA bedeute die Absage indes keine weitere Gefahr: "Der Schaden ist durch die NSA-Spionage entstanden. Kurzfristig mögen sich die bilateralen Verhandlungen verlangsamen", glaubt Fraundorfer, "langfristig aber werden die Beziehungen keinen Schaden nehmen."