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USA: Land der begrenzten Möglichkeiten

Marc von Lüpke-Schwarz6. November 2012

Der Historiker Bernd Stöver hat eine neue Gesamtgeschichte der USA geschrieben, die brandaktuell ist: Sie beginnt bei den ersten Kolonien, reicht bis ins Jahr 2012 und zeigt die enge Verbindung zwischen früher und heute.

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Die amerikanische Freiheitsstaute (AP Photo/Richard Drew, File)
Bild: dapd

Man kann sie lieben oder hassen – aber eine Meinung hat jedermann zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Rechtzeitig zur Präsidentschaftswahl 2012 hat Bernd Stöver, Professor an der Universität Potsdam, eine Gesamtgeschichte der USA veröffentlicht. Stövers über 750 Seiten umfassendes Buch ist brandaktuell, denn er hat Material verwendet, das bis Mai 2012 reicht.

Der Blick in das Werk gibt Anlass zur Beruhigung. Die Geschichte der USA ist zwar durchzogen von Lagerkämpfen, deren größter Ausbruch der Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 ist. Soweit wird es heutzutage aber nicht kommen. Stövers Buch lässt dennoch nachvollziehen, warum zwischen Obama und Romney Welten liegen und sich die Spaltung des Landes weiter zuspitzt.

American Way of Life

Der Autor bringt in seinem Buch all das zur Sprache, was an den USA begeistert oder für Unverständnis sorgt. Für die einen sind sie das Land der unbegrenzten Freiheit, in der auch der oft bemühte Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Aus diesem Grund geht der Autor auch gezielt der Vision des Amerikanischen Traumes nach und untersucht, was daraus geworden ist.

Kritiker sehen dagegen vor allem die Schattenseiten des "American way of life": Soziale Gegensätze, die für europäische Verhältnisse kaum vorstellbar sind. Ein anscheinend maßlos auf Pump finanzierter Konsum. Die manchmal arrogant wirkende Rolle als vermeintlich "selbsternannter" Weltpolizist - das sind nur einige der vielen Vorwürfe von dieser Seite. Bernd Stöver bringt den deutschen Lesern nun wieder in Erinnerung, dass vieles, das in europäischen Augen an den USA fremd und unverständlich erscheint, bereits in der Geschichte der ursprünglichen 13 Kolonien und den noch jungen USA wurzeln. Sie prägen die Gesellschaft und Politik der Vereinigten Staaten bis heute.

So trägt die in Deutschland eher mit Befremden wahrgenommene "Tea Party" ihren Namen nach einem berühmten Vorbild: 1773 protestierten "Patrioten" gegen britische Steuern auf Tee, indem sie, als Indianer verkleidet, eine Schiffsladung Tee in den Hafen Bostons warfen. Diese Protestaktion ist als "Boston Tea Party" bekannt geworden. Der Protest gegen als unzumutbar oder überhöht empfundene Steuern oder Einmischungen des Staates ist den USA also in die DNS geschrieben und bildet eine der Grundkonstanten amerikanischer politischer Kultur seit ihrer Gründungsphase.

Barack Obama winkt vor blauem Himmel im Wahlkampf 2012 Foto: REUTERS/Jason Reed
Barack Obama im Wahlkampf 2012Bild: Reuters

Der Ursprung des Lagerdenkens

Schließlich tobte auch in den ersten Jahren der Unabhängigkeit der jungen Nationen ein heftiger ideologischer Streit um die Rechte des Bundes und der Einzelstaaten. Der Konflikt ist bis heute nicht entschieden. Oder der Streit um staatliche "Eingriffe" in den heutigen USA wie die Debatte um eine Krankenversicherung für alle, die für ihre Gegner als "sozialistisch", empfunden wird. Der Amerikanische Traum ist seiner Idee nach kein Selbstläufer. Wer es schaffen will, muss es selbst schaffen.

Amerikanischer Unabhaengigkeitskrieg 1775-1783 - George Washington ueberquert den Delaware River, um einen Ueberraschungsangriff auf die 1400 hessischen Soldaten in Trenton (New Jersey) auszufuehren. - 25.12.1776 Gemaelde von Emanuel Leutze, 1851
George Washington überquert den Delaware River 1776 (Gemälde von Emanuel Leutze, 1851)Bild: ullstein bild - histopics

Die Prädestinationslehre Johannes Calvins, nach der sich gerade im wirtschaftlichen Erfolg eines Menschen der göttliche Segen zeige, wirkt hier fort. Dieses Erbe der Puritaner, die ab dem 17. Jahrhundert als Glaubensflüchtlinge in die Neue Welt strömten, prägt die amerikanische Mentalität bis heute. Ebenso wie die ausgeprägte Wagenburg-Mentalität, in der strikt nach Gut und Böse unterschieden wird und die die amerikanische Politik im Inneren und Äußeren bis heute beeinflusst. Ein ausgeprägtes Lagerdenken trennt die beiden großen Parteien der Republikaner und Demokraten. Einigkeit herrscht dagegen in der heutigen Sicherheits- und Außenpolitik. Beide Seiten wollen die Stellung der USA als einzige Supermacht verteidigen.

Amerikanisch-deutsche Geschichte

Für deutsche Leser ist das Buch mit besonderem Gewinn zu lesen, denn der Autor versteht es, die amerikanische Geschichte mit der deutschen in Bezug zu setzen. So schildert er beispielsweise das Schicksal der deutschen Soldaten, die von ihren Landesherren zum Kampf gegen die aufständischen Amerikaner im Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783 an die Briten verschachert wurden. Eine Maßnahme, die selbst der wenig zartbesaitete Friedrich der Große als anstößig empfand.

"Während der Seefahrt aber entsteht in den Schiffen ein jammervolles Elend, Gestank, Dampf, Grauen, Erbrechen … " So zitiert Stöver aus einem Reisebericht des 18. Jahrhunderts, indem die Überfahrt deutscher Auswanderer, die voller Hoffnung in die Neue Welt aufbrachen, geschildert wird. Und auch die fast abstrus wirkende Geschichte der US-amerikanischen Ableger des deutschen Nationalsozialismus bleibt nicht unerwähnt. 1939 versammelten sich so 22.000 Nazi-Anhänger im New Yorker Madison Square Garden, um einem überlebensgroßen Abbild George Washingtons zu huldigen, der sicher wenig begeistert gewesen wäre, welchem Unsinn er nun Pate stehen sollte.

Aufmarsch von 22.000 Nazi-Anhängern in New York 1939
Aufmarsch von 22.000 Nazi-Anhängern in New York 1939Bild: ullstein bild - Heritage Images/Keystone Archives

Am Ende der Möglichkeiten?

Doch welche Antwort findet der Autor auf seine Frage, was heutzutage aus dem Amerikanischen Traum geworden ist? Die USA haben sich, so Stöver, vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" im 21. Jahrhundert zum "Land der begrenzten Möglichkeiten" entwickelt, das nach dem Ende der bipolaren Welt seine Rolle finden muss. Angesichts der Bedeutung der USA als "superculture" ist dies eine Aufgabe, die die ganze Welt aufmerksam verfolgen wird.

Bernd Stöver: United States of America. Geschichte und Kultur. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart, Verlag C.H. Beck, München 2012, 763 Seiten mit 84 Abbildungen, 19 Karten und 15 Graphiken, 29,95 Euro (ISBN 978-3-406-63967-8)