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Plötzlicher Tod aus der Luft

Matthias von Hein27. Mai 2015

Drohnenangriffe töten Terroristen, Verdächtige und Unschuldige - ohne jeden Prozess. Der US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz spielt dabei eine wichtige Rolle. Erstmals erhalten nun Überlebende Gehör vor Gericht.

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MQ-9 Reaper Drohne (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP/Air Force/L. Pratt

Den Abend des 29. August 2012 wird Faisal bin Ali Jaber niemals vergessen. Mit etlichen Verwandten feierte er in dem Dorf Kashamir im Osten des Jemens eine Hochzeit. Dann schlugen fünf Raketen ein, abgefeuert von US-Drohnen. Der Ingenieur Faisal bin Ali Jaber überlebt. Aber tot waren sein Neffe Walid, ebenso sein Schwager Salim. Unschuldige Opfer im sogenannten "Krieg gegen den Terror", Kollateralschäden.

Für die US-Regierung gehören die Drohnenangriffe zum Krieg gegen den Terrorismus, der nach 9/11 vom Kongress genehmigt wurde. Washington führt dabei das völkerrechtliche Prinzip der Selbstverteidigung an. Verantwortung für den Tod der beiden Jemeniten haben die USA nie übernommen. Jetzt wird der Fall vor ein deutsches Gericht getragen. An diesem Mittwoch wird es vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Anhörung zum Tod der jemenitischen Drohnenopfer geben.

Nach Einschätzung von Andreas Schüller wird es weltweit das erste Mal sein, dass Betroffene von Drohnenangriffen vor Gericht gehört werden. Gemeinsam mit dem European Council for Constitutional and Human Rights ECCHR hat Schüller die Jemeniten bei ihrer Klage unterstützt. Der Jurist sieht Deutschland wegen der US-Luftwaffenbasis Ramstein in einer Mitschuld. Dort betreiben die Amerikaner eine Satellitenrelaisstation, die für die Steuerung der Drohnen unabdingbar sei. "Jeder Drohnenangriff, der über Pakistan und Jemen stattfindet, beinhaltet eine Einbindung Ramsteins", so Schüller im Gespräch mit der DW.

Faisal bin Ali Jaber (Foto: European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR))
Sieht Deutschland mitschuldig am Tod seiner Verwandten: Faisal bin Ali JaberBild: ECCHR

Deutschland als Drehscheibe für Drohnenangriffe

1400 Hektar groß ist der US-Stützpunkt in der Nähe von Kaiserslautern. Deutsche Beamte und Politiker können ihn ohne die Zustimmung des US-Kommandeurs nicht betreten. So will es ein Abkommen aus dem Jahr 1993. Ramstein ist der größte US-Militärflughafen außerhalb der USA. Und hier ist auch das Air and Space Operations Centre untergebracht.

In dem hochgesicherten Bereich arbeiten nach Informationen des Norddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks sowie der Süddeutschen Zeitung 650 Soldaten an 1500 Computern und vor mannshohen Monitoren: Sie koordinieren den Luftkrieg gegen Ziele im Jemen, in Somalia, Afghanistan und Pakistan. Über Satelliten liefern die Drohnen Daten und Bilder nach Ramstein. Von dort werden sie weitergeleitet zu den Drohnenpiloten. Die sitzen meistens in den USA. Andreas Schüller zitiert die Aussage ehemaliger Drohnenpiloten, nach denen ohne Ramstein die Drohnenangriffe unmöglich seien.

Jürgen Todenhöfer kennt die Luftwaffenbasis Ramstein. Er war Richter im nahen Kaiserslautern und Bundestagsabgeordneter. Die gezielten Tötungen der US-Administration bewertet der promovierte Jurist im DW-Interview als Mord. Die Rolle Deutschlands im Drohnenkrieg verurteilt Todenhöfer entschieden: "Mit Hilfe von Ramstein wird weltweit getötet, ohne dass irgendein Richter es erlaubt hat. Also wird weltweit gemordet." In seiner Eigenschaft als Publizist hat Todenhöfer mehrfach Regionen bereist, in denen Drohnen operieren. Engen Kontakt pflegt er unter anderem zu einem Anwalt von Drohnenopfern in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion Waziristan. Todenhöfer berichtet, dass der Anwalt ihm kürzlich in einem Telefonat gesagt habe, dass 90 Prozent der Getöteten Unbeteiligte seien.

US-Basis Ramstein
Drehscheibe für den Tod in idyllischer Landschaft: US-Basis RamsteinBild: Wikipedia/EPei-sa

41 Ziele, 1147 Tote

Noch größere Zweifel an der angeblich "chirurgischen Präzision" der Drohnenschläge kommen beim Studium eines Berichts der britischen Nichtregierungsorganisation Reprieve auf. Reprieve hatte öffentlich zugängliches Material zum Drohnenkrieg ausgewertet. Ergebnis: Um 41 auf US-Präsident Barack Obamas Kill-Liste abgehakter Ziele zu treffen, wurden insgesamt 1147 Menschen getötet. Die Liste der Kollateralschäden führt die Tötung des islamistischen Stammesführers Baitullah Mehsud aus Pakistan an. Sechs Mal haben US-Drohnen vergeblich ihre Hellfire-Raketen auf Mehsud abgefeuert, bevor sie ihn im Sommer 2009 beim siebten Mal trafen. Insgesamt 164 Menschen sollen bei den Angriffen ums Leben gekommen sein.

Drohne zerstört Haus in Pakistan
Treiben viele Menschen in die Arme von Extremisten: DrohnenangriffeBild: picture-alliance/dpa

Amrith Singh von der amerikanischen Open Society Justice Initiative hat im April eine Studie zu den zivilen Opfern von Drohnenangriffen veröffentlicht. Die 128 Seiten von "Death by Drone" konzentrieren sich auf Fälle im Jemen. Im Gespräch mit der DW äußert Singh erhebliche Zweifel, ob die Drohnenangriffe mit internationalem Recht oder auch nur mit den Richtlinien der US-Politik vereinbar seien. Singh erinnert daran, dass US-Präsident Obama 2013 erklärt habe, außerhalb Afghanistans müsse es nahezu ausgeschlossen sein, dass Zivilisten getötet oder verwundet würden, bevor Drohnen Raketen abfeuern. Ferner sollten Terroristen nur dann getötet werden, wenn sie nicht gefangengenommen werden könnten. Singhs Bericht weist aber nach, dass etliche der Angegriffenen sich keineswegs versteckt hielten und sich auch nicht in abgelegenen Regionen aufhielten. Sie hätten durchaus von den jemenitischen Behörden verhaftet werden können.

Eine weitere von Obama aufgestellte Bedingung: Nur solche Individuen sollten angegriffen werden, die eine direkte und fortgesetzte Bedrohung für das amerikanische Volk darstellten. Auch diese Bedingung wurde für Singh mehrfach verletzt. In keinem der dokumentierten Fälle habe es zuvor Hinweise der amerikanischen oder der jemenitischen Regierung auf eine Bedrohung des amerikanischen Volkes gegeben. Singhs Studie enthält viele Aussagen von Opfern und deren Angehörigen."Diese Leute sagen immer wieder, sie wollen eine Anerkennung ihres Leids. Sie wollen wissen, warum sie angegriffen wurden und vor allem wollen sie Gerechtigkeit."

Vielleicht kommt der Jemenit Faisal bin Ali Jaber in Köln der Gerechtigkeit näher. Es entbehrt nicht der Ironie, dass sein getöteter Schwager Tage vor dem Drohnenangriff in einer Predigt Al-Kaida heftig angegriffen hat. Es war nicht seine erste Predigt dieser Art. Aber leider die letzte.