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In Dortmunds Halbwelt

Naomi Conrad und Cristian Stefanescu 21. Februar 2013

Die Stadt Dortmund hat ihren Straßenstrich geschlossen. Manche Prostituierte sind abgewandert, andere arbeiten in privaten Wohnungen in der Nordstadt. Besonders betroffen sind Roma-Frauen.

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Eine Prostituierte wartet auf einen Freier (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images

Inmitten der vierspurigen Straße pickt und zerrt eine Krähe an einem plattgedrückten Klumpen, der wohl einmal ein Tier war. Sie flattert krächzend weg, als ein Auto auf sie zurast. Die Gebäude entlang der Straße sind trüb grau: Der kalte Dauerregen saugt den letzten Rest der Farbe aus der Dortmunder Nordstadt. In einem der Häuser, unweit des Autobahnzubringers, sitzen ein paar Männer in einer überhitzten Suppenküche. Sie starren ins Nichts. Einer schält langsam eine Banane, eine Plastiktüte auf dem Schoß.

Helle Farbflecken

"Ach, wir haben hier alle Nationalitäten", sagt ein Sozialarbeiter in einem ausgeblichenen Rollkragenpullover. Deutsche, Polen, Bulgaren, Rumänen. Er zuckt die Schultern, alles eben. Roma? Er blickt kurz in den überfüllten Speiseraum, in dem Männer und ein paar Frauen aus Plastiktellern löffeln und schüttelt den Kopf. Heute nicht. "Da gehen Sie besser zum Marktplatz." Er deutet die Straße hinunter und winkt zum Abschied.

Eine Gruppe Frauen in bunten Röcken, die Socken in Plastiksandalen, helle Farbflecken zwischen den dunklen Schuhen der anderen Einkäufer, wandert über den kleinen Markt. Sie begutachten die riesigen BHs, die ein Verkäufer mit "Nur ein Euro das Stück!" anpreist, lachen und unterhalten sich auf Romani - die Sprache der Roma. Die Frauen laufen eine Seitenstraße hinunter und verschwinden in einen Hinterhof. Über ein Treppenhaus, das nach Desinfektionsmittel riecht, geht es zu einer Kleiderkammer. Eine Frau inspiziert warme Pullover, schlurft dann zu einem Stapel leicht ausgebeulter Schuhe.

Dortmunder Nordstadt (Foto: Naomi Conrad)
Die Dortmunder NordstadtBild: DW/N.Conrad

Nur als Selbständige

Im Zimmer der Sozialarbeiter ist es warm. Auf dem Tisch stehen leere Teetassen. Roma kämen öfters zu der Kleiderkammer, erzählt eine Sozialarbeitern. Die Organisation vermittelt Ein-Euro-Jobs für Arbeitslose, die einen Euro die Stunde verdienen und damit wieder ins Arbeitsleben finden sollen. "Aber Rumänen und Bulgaren dürfen ja nicht offiziell arbeiten." Dürften sie es, wäre ihnen geholfen, glaubt sie.

Vielen bleibt nur die Selbständigkeit. Denn obwohl Bulgarien und Rumänien Mitgliedsländer der EU sind und ihre Bürger sich somit frei bewegen dürfen, gelten noch immer Beschränkungen. Wer als Student, Arzt oder Ingenieur nach Deutschland kommt, erhält eine Arbeitserlaubnis. Aber viele der Roma in Dortmund stammen aus ärmlichen Verhältnissen, haben kaum Bildung, keine Aussicht auf Arbeit oder eine Zukunft in ihrer Heimat. Für sie bleibt oft nur der "Arbeiterstrich" - und die Prostitution.

Ein paar Männer lungern im Regen vor einer Kneipe und warten darauf, abgeholt zu werden: von Leuten, die einen Schrank zusammengezimmert haben möchten, oder Arbeiter für eine Baustelle brauchen. Die Männer verkaufen ihre Arbeit für Geld, "Arbeiterstrich" eben, so wird die Straße in Dortmund genannt. Einer, vielleicht Anfang zwanzig, die Mütze tief über die Augen gezogen, bietet flüsternd seine Dienste an. Welche Dienste er genau meint, sagt er nicht. Etliche Stricher arbeiten in Dortmund, wie Sozialarbeiter bestätigen. Der Großteil der Männer am inoffiziellen Arbeiterstrich ist nach Angaben der Polizei ordentlich gemeldet. Aber viel verdienen sie wohl nicht: Abgeholt werden nur wenige.

Prostitution im Untergrund

Wenige Schritte entfernt blättert die Farbe von den großen Buchstaben, die entlang einer Häuserwand einmal das "Hotel Restaurant Deutscher Hof" angepriesen haben. Hinter einem Türschild für einen Reinigungsservice erstreckt sich ein Flur, von dem Zimmer abgehen. Sie könne nicht sagen, ob sie Zimmer zu vermieten habe, sagt eine junge Frau mit einem Kind auf dem Arm. "Das muss die Chefin entscheiden." Sie guckt misstrauisch.

Ein inoffizielles Bordell? Gut möglich. Dirk Becker zuckt die Schultern. Er ist zuständig für die Abteilung KK22 der Polizei Dortmund, Prostitution und Menschenhandel. Zusammen mit den Kollegen kontrolliert er Dortmunds Bordelle, früher auch den Straßenstrich, bis dieser im Mai 2011 geschlossen wurde. Jemand hat mit blauem Stift "mehr Sonne bitte" auf sein Fenster gekrakelt, unter dem sich die regennasse Dortmunder Innenstadt ausbreitet.  Bis der Strich geschlossen wurde, kannte Becker fast alle Prostituierten, sagt er. Fast 90 Prozent der Frauen auf dem Straßenstrich seien Rumäninnen und Bulgarinnen, darunter oft auch Roma-Frauen, gewesen. Danach seien viele in andere Städte abgewandert, vielleicht auch in die Wohnungsprostitution abgetaucht. "Wir haben jetzt weniger Kontakt mit den Frauen", stellt er fest.

Zwangsprostitution besteht weiter

"Die Zwangsprostitution von Bulgarinnen und Rumäninnen besteht weiter", sagt auch Andrea Hitzcke von der Dortmunder Mitternachtsmission, einer kirchlichen Einrichtung, die sich um Prostituierte und Opfer von Menschenhandel kümmert. Immer wieder begegnen ihr Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden - auch in privaten Wohnungen. "Das geht über Telefonkontakt und Internetforen", denn in den offiziellen Bordellen in Dortmund arbeiteten keine Roma-Frauen, sagt sie. "Es gab da Probleme mit ihren Zuhältern und ihren Familien." Einmal standen zwei Männer "so breit wie Schränke" vor ihrer Tür, die ein Mädchen zurückforderten. Aussteigen sei schwierig. Oft würden die Familien der Frauen in Bulgarien und Rumänien bedroht, die Abhängigkeit und Angst ist groß.

Damenbeine in Stöckelschuhen (Foto: Bilderbox)
Seitdem der Straßenstrich geschlossen wurde, ist die öffentliche Prostitution illegalBild: BilderBox

Die offiziellen Bordelle - bunte Häuser, in deren großen Fenstern sich die Frauen räkeln - ziehen sich an der Linienstraße entlang. In dem hellen Aufenthaltsraum von einem sitzt Ivanka, doch das ist nicht ihr wirklicher Name. Ihre Familie in Sofia denkt, sie sei mit einem deutschen Ingenieur liiert. Nur ihre Schwester weiß, woher das viele Geld kommt, "das ich in Bulgarien ausgebe, für Klamotten, beim Feiern und so". Auf dem Tisch steht eine Thermoskanne Kaffee, an den Wänden hängen bunte Drucke. Der weiße Hund der Wirtschafterin wuselt um ihre Füße. Ihren Kunden sagt sie, dass sie Spanierin sei. "Sonst denken die, dass ich Roma bin. Die machen oft Scheiße mit den Kunden." Die Sozialarbeiterin der Mitternachtsmission übersetzt: "Die nehmen manchmal die Kunden aus." Sie zuckt mit den Schultern. 

Große Vorurteile

Die Vorurteile in Dortmund gegenüber Roma sind groß. Seit Monaten sucht Ivanka nach einer Wohnung. Wenn die Vermieter hören, dass sie aus Sofia stammt, sagen sie ihr ab.  Deshalb schläft sie in dem Zimmer, das sie in dem Bordell gemietet hat. "Würden Sie etwa gerne in ihrem Arbeitsraum schlafen?" Sie überschlägt die Beine, unter ihrem knappen Wollpulli lugen schwarze Strapse hervor, ihre Handtasche hat den gleichen grell-roten Farbton wie ihre Lippen.

"Das liegt an den Ekelwohnungen", erklärt die Sozialarbeiterin, denn in den letzten Jahren seien ein paar Häuser in der Nordstadt von Gruppen von Bulgaren und Rumänen bezogen worden, bis zu 20 Personen wohnten in ärmlichsten Zuständen in einem Zimmer. Die Stadt hat begonnen, die Häuser aufzukaufen und zu sanieren.

Doch noch immer stehen heruntergekommene Häuser, die Fenster verriegelt, in der Nordstadt. Was dahinter passiert? Wer weiß.