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Unterrichtsthema Krieg

Janine Albrecht7. Januar 2014

Über den Krieg zu sprechen, fällt Lehrern und Schülern in Bosnien-Herzegowina schwer. Denn viele haben ihn selbst erlebt. Deutsche Schulbuchexperten helfen bei der Gestaltung des Unterrichts - nicht nur in Südosteuropa.

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Kinder turnen auf einem Panzer herum (Foto: Xinhua/Amru Salahuddien)
Bild: imago/Xinhua

"Wie kann ich denn in Geographie über die Grenzen unseres Landes reden, ohne automatisch über den Krieg sprechen zu müssen?" fragt Sibela Jevtic. Seit 1993 unterrichtet sie in Banja Luka Geographie und Geschichte. In der Stadt im Norden des heutigen Bosnien-Herzegowinas hat die Lehrerin den Bürgerkrieg selbst erlebt, seine Absurditäten in ihrer eigenen Familie erfahren. Ihr Vater kämpfte auf serbischer, ihre drei Onkel auf kroatischer Seite.

"Ich erzähle den Schülern von meinen eigenen Erfahrungen", meint Jevtic. Sie möchte die Jugendlichen dadurch zu einem anderen Denken veranlassen. "Krieg ist nicht einfach schwarz oder weiß", betont die Pädagogin. Doch die leidvollen Erfahrungen sitzen tief, nicht nur bei der Lehrerin, auch bei ihren Schülern. Die Aufarbeitung des Krieges im Unterricht sei ausgesprochen schwierig, aber wichtig, meint die Pädagogin. Daher hat sie sich in Seminaren des deutschen Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung an der Erstellung von neuem Schulmaterial beteiligt, das sich konkret mit dem Bürgerkrieg befasst.

Alltagsgeschichten aus dem Krieg

"Wir haben uns zum ersten Mal 2008 an die neueste Geschichte gewagt", berichtet die Koordinatorin des Projektes, Katarina Batarilo-Henschen. Allerdings befasst sich das dort erstellte Material nicht mit kontroversen Kriegsthemen wie den Konzentrationslagern und dem Massaker von Srebrenica, sondern mit Alltagsgeschichten dieser Zeit. Mehr sei auch heute noch nicht möglich, so die einhellige Meinung der Verantwortlichen vor Ort. Da der Alltag jedoch für alle Serben, Kroaten und Bosniaken im Krieg derselbe war, könnten die Schüler darüber gut ins Gespräch kommen. Schließlich hätten alle erlebt, wie es war, in dieser Zeit zur Schule zu gehen, was es hieß, wenn das Essen knapp wurde oder wieder einmal der Strom ausfiel.

Projekt-Koordinatorin Katarina Batarilo-Henschen bei einem Lehrerworkshop in Sarajewo (Foto: Euroclio)
Projekt-Koordinatorin Katarina Batarilo-Henschen führt in Sarajewo auch Lehrerworkshops durchBild: Euroclio

Schon seit mehr als einem Jahrzehnt hilft das Braunschweiger Institut im Rahmen eines Projektes des Auswärtigen Amtes Lehrern wie Sibela Jevtic in Bosnien-Herzegowina dabei, den Krieg altersentsprechend in der Schule behandeln zu können. Neben der Arbeit in Südosteuropa ist das Institut weltweit an der Entwicklung von Schulbüchern in Krisenregionen beteiligt. Etwa in den 90er Jahren in Südafrika oder aktuell auch in den baltischen Staaten, Georgien, Weißrussland und der Ukraine.

Entwicklung von Schulbüchern in Krisengebieten

Auch ein gemeinsames Geschichtsbuch für israelische und palästinensische Schüler wurde bereits erstellt. Allerdings darf es im Unterricht auf keiner der beiden Konfliktseiten genutzt werden. "Aber dass es überhaupt zu diesem Buch kam und Israelis und Palästinenser gemeinsam daran gearbeitet haben, ist schon ein Erfolg", betont Georg Stöber, der an dem Braunschweiger Institut die Abteilung "Schulbuch und Konflikt" leitet.

In einer bosnischen Schule erinnert ein Plakat an die Zerstörungen des Bürgerkriegs (Foto: Euroclio)
In einer bosnischen Schule erinnert ein Plakat an die Zerstörungen des BürgerkriegsBild: Euroclio

Es sei kein leichtes Unterfangen, in solchen Regionen gemeinsame Geschichtsbetrachtung überhaupt zu ermöglichen, betont der Schulbuchforscher. Zu tief sind die jeweiligen Vorurteile, die Verletzungen auf beiden Seiten. Stöber erinnert sich noch gut, wie Bosniaken, Serben und Kroaten zu Beginn des Projekts in kleinen Grüppchen zusammensaßen und selbst bei Kaffeepausen keiner mit den anderen sprach. "Wichtig war, dass sie im Laufe der Seminare nicht mehr als Serben, Bosnier oder Kroaten argumentierten, sondern als Hochschullehrer, also eine professionelle Identität zum Tragen kam."

Verschiedene Wahrheiten über den Krieg

Im Jahr 2003 wurde in Bosnien-Herzegowina mit der Reform von Schulbüchern begonnen. Vor allem ältere Lehrer hätten sich schwer damit getan, verschiedene Blickwinkel auf den Krieg zuzulassen, erzählt Baratilo-Henschen. Bei ihnen wirkte noch die kommunistische Geschichtslehrerausbildung nach. "Viele haben erst einmal allergisch reagiert, dass sie nun nicht mehr nur eine Wahrheit lehren sollen, sondern Quellen anbieten und so verschiedene Blicke auf ein Ereignis ermöglichen sollen", sagt die Bildungswissenschaftlerin.

Auch für die Schulbuchautorin der "European Association for History Educators" (Euroclio), Melisa Foric, ist das aktive Lernen eine wichtige Grundlage, um überhaupt die Balkankriege im Unterricht durchnehmen zu können. Sie selbst hat die vier Jahre andauernde Belagerung Sarajewos als Kind erlebt. Seit Beginn der Schulbuchreform arbeitet die Historikerin an der Gestaltung neuer Schulbücher mit.

Die Historikerin und Schulbuchautorin Melisa Foric (Foto: Euroclio)
Die Historikerin und Schulbuchautorin Melisa Foric hat die Belagerung Sarajewos selbst erlebtBild: Euroclio

Einheitliches Schulbuch derzeit undenkbar

Auch sie wünscht sich ein einheitliches Geschichtsbuch für alle Schüler in Bosnien-Herzegowina. Doch davon sei man noch weit entfernt, sagt Foric. Durch denFriedensvertrag von Dayton, der am 14. Dezember 1995 unterzeichnet wurde, sei Bosnien-Herzegowina in viele Kantone zersplittert, was sich auch in einem uneinheitlichen Bildungsbereich mit 13 Bildungsministern widerspiegele. Und die Schulbuchautorin mahnt: "Es gibt keinerlei Kontrolle, was in den Klassenzimmern unterrichtet wird." Seit einem Schuljahr ist der Krieg immerhin in allen Kantonen, außer in Brcko, offizieller Bestandteil des Lehrplans.