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Umstrittenes Gefahrengebiet in Hamburg

Thomas Kohlmann6. Januar 2014

Nach Gewaltexzessen rund um ein Kulturzentrum hat die Polizei die Gegend zum Gefahrengebiet erklärt. Passanten können dort ohne konkreten Verdacht kontrolliert werden - für Kritiker eine Einschränkung der Grundrechte.

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Polizei-Einsatz im Gefahrengebiet am 5. Januar 2014 (Foto: Photo AA/ABACAPRESS.COM
Bild: picture-alliance/abaca

Schlagwerkzeuge, Pyrotechnik und schwarze Masken - das ist die bisherige Ausbeute der Hamburger Polizei nach der Kontrolle von mehr als 400 Personen rund um den Hamburger Stadtteil Sternschanze. Seit Samstag (04.01.2014) dürfen Polizeistreifen dort und in den angrenzenden Stadtteilen Altona und St. Pauli Passanten "kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen". Die Polizeibehörde beruft sich dabei auf das 2005 geänderte Hamburger Sicherheits- und Ordnungsrecht. Mehr als 90 Aufenthaltsverbote und acht Platzverweise sind nach Polizeiangaben seit dem Wochenende ausgesprochen worden. Es habe eine Festnahme gegeben und 45 Menschen seien in Gewahrsam genommen worden - die Mehrzahl war offenbar einem Aufruf im Internet zu einem Protest-"Spaziergang durch das Gefahrengebiet" gefolgt.

Auslöser der aktuellen Gewaltwelle waren die Ausschreitungen bei einer Demonstration zum Erhalt des von autonomen Linken seit fast 25 Jahren besetzten Kulturzentrums "Rote Flora" am 21. Dezember. Bei anschließenden Straßenschlachten waren Hunderte Demonstranten und Polizisten verletzt worden. Danach soll am letzten Dezember-Wochenende eine Gruppe Vermummter nahe der berühmte Davidwache auf St. Pauli drei Beamte schwer verletzt haben. Nach Medienberichten war es außerdem zu Anschlägen auf die Privathäuser von Politikern gekommen.

Die alleinregierende SPD und die größte Oppositionspartei CDU halten die zeitlich begrenzte Einrichtung von Gefahrengebieten für sinnvoll, FDP und Grüne fordern eine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit. Viele Kritiker prangern die Einschränkung von Grundrechten wie der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit an. Besonders die Vertreter der Linken in der Hamburger Bürgerschaft laufen Sturm gegen die Entscheidung der Polizei und wollen dagegen klagen. Für die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider, geht die "Einrichtung eines Gefahrengebiets, in dem Zehntausende Menschen leben", entschieden zu weit.

Ausschreitungen bei den Protesten an der Roten Flora am 21. Dezember 2013 (Foto: dpa)
Ausschreitungen bei den Protesten an der Roten Flora am 21. Dezember 2013Bild: picture-alliance/dpa

Kriminalitätsschwerpunkte und Gefahrenzonen

Für Joachim Lenders ist es dagegen eine sinnvolle Maßnahme, wenn es darum geht, die Gewalt im Umfeld des besetzten Kulturzentrums Rote Flora einzudämmen. Der Hamburger Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft kann zwar nachvollziehen, dass nicht alle Hamburger von der Einrichtung der neuen Gefahrenzone begeistert sind - doch er fühlt sich durch die Erfahrungen der Vergangenheit bestätigt - etwa bei der Bekämpfung des Drogenmilieus im Florapark im Spätsommer 2013, ebenfalls im Schanzenviertel gelegen. "Dort hatte sich offen eine Dealerszene verfestigt. Nach Hinweisen aus der Bevölkerung und zahlreichen Anzeigen wurde das als Kriminalitätsschwerpunkt erkannt und es kam auch dort zur Einrichtung eines Gefahrengebietes." Mittlerweile sei die Drogenszene dort zurückgedrängt und das Gefahrengebiet wieder aufgehoben worden, sagte Lenders im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Joachim Lenders, Landesvorsitzender Deutsche Polizeigewerkschaft Hamburg
Joachim Lenders: Anwohner haben die "Schnauze voll"Bild: DPolG

Aufgeheizte Stimmung

Seit Monaten gibt es drei kommunalpolitische Dauerbaustellen: Neben dem Streit um den Erhalt des linken Kulturzentrums "Rote Flora" heizt die Situation der Mitte Dezember evakuierten und vom Abriss bedrohten "Esso-Häuser" in St. Pauli und das ungeklärte Schicksal der von Abschiebung bedrohten Hamburger Lampedusa-Flüchtlinge die Stimmung an.

Plakataktion gegen die Abschiebung der "Lampedusa-Flüchtlinge" nahe des hamburger Hauptbahnhofs am 21.12.2013 (Foto: dpa)
Aktion gegen Abschiebung der Lampedusa-FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa

Die Polizei, so Joachim Lenders, fühle sich aber vor allem den Anwohnern der Roten Flora verpflichtet: "Viele Menschen leben ja in dem Gebiet und haben keine Lust auf Gewalt, auf Brandschatzungen, auf Zerstörung, auf Sachbeschädigung." Viele hätten auf eine friedliche Koexistenz mit den Linksautonomen in der Roten Flora gesetzt, weiß Lenders aus Gesprächen mit Anwohnern, hätten aber mittlerweile "auf gut deutsch die Nase voll von anreisenden Gewalttätern, die Anlässe wie den 1. Mai oder das Schanzenviertel-Fest schlicht und ergreifend für Krawall genutzt haben."

Nicht auf verstärkte Polizeipräsenz, sondern auf Dialog setzt dagegen Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen-Fraktion: "Nur mit politischen Gesprächen kommt man weiter, nicht mit dem Aufrüsten der Polizei. Ich befürchte da eine Spirale, die wir uns alle nicht wünschen", sagte Möller dem Norddeutschen Rundfunk.

Insgesamt hat die Polizei seit 2005 mehr als 40 städtische Zonen zu Gefahrengebieten erklärt - meistens allerdings nur wenige Stunden lang bei Fußballspielen oder Demonstrationen.

Wie lange die Polizei die Straßenzüge rund um das Hamburger Schanzenviertel als Gefahrengebiet einstuft, ist völlig offen. Denn bislang diente die Maßnahme, die auch der Polizei in Berlin, Hessen und Bayern zur Verfügung steht, vor allem zur Bekämpfung der Drogenkriminalität. Politisch motivierte Gewaltexzesse in dieser Form habe es noch nicht einmal zu Zeiten der Hausbesetzungen in den 80er Jahren in St. Paulis Hafenstraße gegeben, erinnert sich Joachim Lenders.