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Umstrittener Deutschtest für Türken gekippt

Stephanie Höppner 9. Juli 2014

Ehegatten aus dem Ausland müssen einfache Deutschkenntnisse nachweisen, um nach Deutschland kommen zu können. Nun hat der Europäische Gerichtshof die umstrittene Regelung gekippt - allerdings nur für Türken.

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Europäischer Gerichtshof. (Foto: Horst Galuschka)
Bild: picture-alliance/Horst Galusch

Die 30-jährige Maria Sanchez* aus Kuba ist in der Bundesrepublik angekommen: Sie ist beruflich erfolgreich, arbeitet für ein großes Einzelhandelsunternehmen in Köln und ist seit vielen Jahren mit einem Deutschen verheiratet. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Denn obwohl die junge Frau hoch motiviert und beruflich qualifiziert ist, musste sie etliche Hürden bewältigen - eine der größten: ein Deutschtest. Denn ohne einen entsprechenden Nachweis über einfache Sprachkenntnisse durfte sie nicht in die Bundesrepublik einreisen. Die Regelung besteht seit 2007 und erlaubt nur wenige Ausnahmen: zum Beispiel bei einem Hochschulabschluss, einer Behinderung oder aber, wenn der Ehegatte aus Staaten wie Japan, Israel, Australien oder den USA kommt.

Für Sanchez galten diese Ausnahmen nicht - sie musste sich der Prüfung stellen. Das Problem: "Ich komme ursprünglich aus einer sehr kleinen Stadt, dort wird nur Englisch angeboten", sagt sie der DW. Um einen Sprachkurs zu besuchen, hätte sie eine lange und teure Anreise nach Havanna auf sich nehmen müssen. Mehrere Monatslöhne kann einen Kubaner eine solche Reise kosten. Deshalb übte sie mit ihrem Mann, der sie besuchte. "Es war alles etwas chaotisch", sagt sie. Am Ende bestand sie den Test - und durfte nach Deutschland kommen.

Eine Analphabetin klagt - und gewinnt

Andere haben weniger Glück. Laut einer Statistik des Auswärtigen Amtes fällt jeder Dritte bei dem Sprachtest durch. In Ländern wie Pakistan, Bangladesch, Irak oder dem Kosovo schafft sogar jeder zweite die Prüfung nicht. Auch in anderen europäischen Ländern wie Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und Österreich müssen Ehegatten beweisen, dass sie zumindest über einfache Sprachkenntnisse ihrer neuen Heimat verfügen - mit entsprechenden Schwierigkeiten.

Auch Naime Dogan aus der Türkei, die zu ihrem Mann nach Deutschland ziehen wollte, gehört dazu. Die Deutsche Botschaft in Ankara verweigerte ihr das Visum. Dogan ist Analphabetin. Schon ihre Muttersprache kann sie nicht lesen und schreiben - eine Fremdsprache zu erlernen ist ihr nahezu unmöglich. Die Frau sah ihr Recht auf Familienzusammenführung verletzt und klagte. Nach einer ersten Instanz am Verwaltungsgericht landete der Fall nun beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Das am Donnerstag gefällte Urteil: Türkische Ehepartner dürfen künftig auch ohne bestandenden Deutschtest einreisen.

Rechtswissenschaftler Daniel Thym. (Foto: Universität Konstanz)
Deutschtests für Ehegatten könnten auch in anderen europäischen Ländern wegfallen: Rechtswissenschaftler Daniel ThymBild: Universität Konstanz

Sprachkenntnisse vs. Niederlassungsfreiheit

Nach Auffassung der Richter verstößt der Deutschtest gegen ein älteres Abkommen mit der Türkei. Darin wurde festgehalten, dass Einschränkungen in der Niederlassungsfreiheit verboten sind. Die Richter argumentierten, dass die Familienzusammenführung ein unerlässliches Mittel für das Familienleben türkischer Erwerbstätiger und deren Integration fördere. "Zudem verfügt das Assoziierungsabkommen über eine sogenannte Stand-still-Klausel", sagt Rechtswissenschaftler Daniel Thym von der Universität Konstanz. Das heißt: Regeln dürfen nicht nachträglich verschlechtert werden. Doch in der Neuregelung von 2007 - dem Deutschtest als Voraussetzung für die Einreise - haben viele eine solche Verschärfung gesehen.

Die Bundesregierung hatte dagegen argumentiert, dass sich Menschen, deren Ehegatten in Deutschland lebten, vor ihrer Einreise in der Landessprache verständigen können müssen. Eine Verpflichtung, erst in Deutschland an Sprachkursen teilzunehmen, sei nicht sinnvoll. Mit dem Nachweis "einfacher Deutschkenntnisse" sollten außerdem Schein- und Zwangsehen erschwert werden.

Weite Wege zum Sprachkurs

Aus Sicht des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften gehört die Regelung längst abgeschafft, allerdings für alle Ehegatten - auch jenseits der Türkei. Viel zu selektiv sei sie, persönliche Lebensgeschichten werden kaum berücksichtigt, sagt Bundesgeschäftsführerin Hiltrud Stöcker-Zafari. Ein Beispiel: "Wenn Sie einen Kurs belegen wollen, der 600 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt ist - und die Entfernungen sind nicht so einfach zu überwinden wie in Deutschland - dann heißt das, dass Sie ihren Wohnort für die Zeit des Kurses verlegen müssen. Und das ist nicht für alle möglich." Noch schwieriger wird es für Frauen aus islamischen Ländern wie Pakistan - alleine reisen ist für sie oft schwierig. Weitere Hürde sind fehlende Internet- und Stromversorgungen, um die Sprache autodidaktisch zu erlernen oder schlicht die Hürde, die völlig fremde Schriftzeichen mit sich bringen.

Manchmal ist es aber auch der fremde Alltag, der das Erlernen der neuen Sprache behindert. Wer noch nie in seinem Leben verreist ist, dem wird es auch schwer fallen, zwischen den Vokabeln "Urlaub machen", "Urlaub buchen" oder "Urlaub nehmen" zu unterscheiden, sagt Stöcker-Zafari. Selbst wenn das Deutschlernen mit Erfolg gekrönt ist - nachhaltig oder sinnvoll ist es aus ihrer Sicht nicht. Denn die Sprachanforderungen sind nur ein Teil des Verfahrens - viele weitere Urkunden und Dokumente müssen überprüft werden. "Wenn Sie nochmal mehrere Monate warten müssen, dann haben Sie die Deutschkenntnisse bereits wieder vergessen, wenn Sie nach Deutschland kommen."

*Name auf Wunsch geändert.