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"Gleichberechtigung durchsetzen!"

Gabriel Dominguez /ef /tl13. März 2015

"Indiens Tochter", ein Dokumentarfilm über die Vergewaltigung einer Studentin in Delhi 2012, wurde in Indien verboten. Regisseurin Leslee Udwin sprach mit der DW über ihren Film, die Reaktionen und Indiens Gesellschaft.

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Leslee Udwin, Regisseurin des Films "India's Daughter" (Foto:afp)
Bild: Chandan Khanna/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Was hat Sie dazu bewogen, einen Dokumentarfilm über dieses Thema zu drehen und warum haben Sie sich für den "Nirbhaya"-Fall entschieden?

Leslee Udwin: Ich habe mich gar nicht für den Fall an sich entschieden. Mir ging es um die heftigen Proteste, zu denen es nach dieser Vergewaltigung kam. Wäre es nach einem anderen Fall von Gruppenvergewaltigung oder einer anderen Gräueltat gegenüber Frauen – wie beispielsweise Kinderheirat, Genitalverstümmelung, Säureattacken, Ehrenmord, Abtreibung weiblicher Föten – zu solchen Demonstrationen gekommen, hätte ich die Dokumentation auch darüber gemacht.

Und wenn die Proteste sich in einem anderen Land ereignet hätten, wäre ich dorthin gefahren, um zu drehen. Meine Motivation für diesen Film waren die Hoffnung, der Optimismus, die große öffentliche Solidarität für Frauen, die wichtige und folgenschwere Entschlossenheit und der Mut der Zivilgesellschaft, gegen derartige Übergriffe auf Frauen zu kämpfen und für die Zukunft zu verhindern. Mir ging es weder um diesen einen Fall noch allein um Vergewaltigung.

Mir wurde klar, dass die Proteste in Indien beispielhaft für die ganze Welt waren. Zu meinen Lebzeiten gab es in keinem anderen Land einen derart nachhaltigen und mutigen Aufschrei, der sich trotz widriger Umstände über einen Monat lang hinzog. Ich habe diese unbeirrt nach vorne schauenden einfachen Bürger Indiens, Männer wie Frauen, bewundert und bin ihnen sehr dankbar. Sie waren mein Ansporn, diesen Film zu drehen.

Ihre Dokumentation wird als "schonungslos" bezeichnet. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, während Sie sich mit dem Thema beschäftigt haben?

Am meisten schockiert hat mich die Tatsache, dass die Vergewaltiger anders als von mir erwartet nicht als die "Monster" und Psychopathen schlechthin angesehen wurden. Nach den grauenhaften Details über diese spezielle Vergewaltigung und die Täter, über die die Medien ausführlich berichtet haben, ging ich davon aus, dass es sich bei den Vergewaltigern um "schwarze Schafe" handeln müsse.

Doch dann fand ich heraus, dass es scheinbar normale, durchschnittliche Männer waren. Im Film beschreibt ihr Psychiater sie als "normale Männer mit gesellschaftsfeindlichen Neigungen". Schockierend war die Tatsache, dass ihre Tat mit dem Frauenbild zusammenhing, das sie von der Gesellschaft mitbekommen hatten – und nicht mit geistiger Verwirrung.

Was mich auch sehr bestürzt hat, war die Tatsache, dass sie keinerlei Reue gezeigt haben. Sie schienen verwundert darüber zu sein, warum ausgerechnet an ihrem Fall ein Exempel statuiert wurde, vor dem Hintergrund, dass "quasi jeder so etwas tut". Sie konnten nicht verstehen, warum ausgerechnet sie herausgegriffen wurden und so hart bestraft werden sollten.

Auf welche Schwierigkeiten sind Sie bei Ihren Interviewanfragen gestoßen?

Es war sehr schwer, Leute dazu zu bewegen, mit mir zu sprechen. Es gibt auch zwei sehr wichtige Interviewpartner, die in der Dokumentation nicht vorkommen und die dem Film einfach fehlen: Zum Einen den einzigen Zeugen der Anklage, den Freund des Opfers, Awnindra, der zur Tatzeit mit im Bus saß. Er wollte kein Interview geben, verlangte Geld dafür - ich bezahle aber grundsätzlich niemals für Interviews. Die andere Person ist eine gute Freundin des Opfers.

Zunächst gab sie ihre Einwilligung zu einem Interview, aber dann verboten ihr Vater und ihr Bruder ihr, mit mir zu sprechen. Sie zog ihre Zusage zurück. Darüber hinaus hatte ich auch persönliche Streitigkeiten mit einem Ko-Produzenten, der mich um Geld erpressen wollte und den ich daraufhin feuern musste. Es gab eigentlich überall Probleme, und immer wieder gab es Situationen, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Im Endeffekt war es meine 13-jährige Tochter, die mich überzeugt hat weiterzumachen – indem sie mir sagte, dass sie und ihre ganze Generation auf mich bauen würden.

Doch jetzt hat die indische Regierung die Ausstrahlung des Films im Land selbst unterbunden. Darüber hinaus versucht sie, den Film auch weltweit zu verbieten. Was sagen Sie dazu?

Die indische Regierung muss verstehen, dass sie es ist und nicht ich, die Indien in Misskredit bringt, wenn sie meinen Film verbietet. Indien ist eine Demokratie, und mein Film betont das auch mehrfach. Er ist Indien gegenüber sehr positiv, so wie ich es war, als ich mich dazu entschloss, ihn zu drehen. Nur leider führt das Verbot jetzt dazu, dass die Menschen mit dem Finger auf Indien zeigen und sagen, das Land sei undemokratisch und trete die Meinungsfreiheit mit Füßen, weil es meine Dokumentation verbietet.

Gedenken in Indien an die Gruppenvergewaltigung im Dezember 2012 (Foto:ap)
Udwin: "Nirgendwo gab es einen derart nachhaltigen und mutigen Aufschrei, der sich über einen Monat lang hinzog."Bild: picture-alliance/AP

Dass dieses Verbot auch auf andere Länder übergreifen könnte, wird aber sicher nicht passieren. Indien kann keine anderen Demokratien dazu drängen, die Meinungsfreiheit einzuschränken, schon gar nicht im Falle einer Dokumentation von solch öffentlichem Interesse.

In Indien stößt man sich vor allem an einem Interview mit einem der Angeklagten. Dieses zeige nicht seine Schuld, sondern gebe ihm im Gegenteil eine internationale Plattform, um seine Sicht der Dinge zu verbreiten. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Wer das behauptet, hat meinen Film nicht gesehen. Diese Kritiker antworten auf ein Zitat des Vergewaltigers, das für eine Werbekampagne für den Film genutzt, aber dabei aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Ich bin sicher, dass der Sender NDTV, der den Film in Indien ausstrahlen sollte, diesen Schritt heute bedauert. Aber ich kann verstehen, dass der Sender versucht hat, mit dem außergewöhnlichen Zugang des Films zu den Vergewaltigern zu werben. Tatsächlich sind die Mitarbeiter von NDTV die stärksten Verfechter der Demokratie. Sie sind meine Helden, weil sie als Reaktion auf das Ausstrahlungsverbot einfach eine Stunde lang einen schwarzen Bildschirm zeigten.

Wenn Sie sagen, dass die Gesellschaft schuld am Werdegang der Vergewaltiger ist, dann glauben viele, Sie meinen die indische Gesellschaft als Ganzes. Aber Vergewaltigungen passieren überall auf der Welt, auch in westlichen Ländern. Welche Rolle spielen die Gesellschaften dort?

Letztlich gilt für jedes Land das Gleiche. Fehlende Gleichberechtigung gibt es in jedem Land der Erde. Deshalb endet mein Film auch mit Statistiken über Gewalt an Frauen weltweit. Kein Land ist davon ausgenommen. Es ist nur eine Frage, wie sehr es jeweils betroffen ist.

Proteste gegen Vergewaltigungen in Indien (Foto:afp)
Udwin: "Die Gechlechterungerechtigkeit ist das größte Problem unserer Zeit"Bild: Getty Images/N. Seelam

Welche Botschaft verknüpfen Sie mit Ihrem Film?

Ich will zeigen, dass es höchste Zeit ist, das Problem der Geschlechterungerechtigkeit endlich anzugehen. Dies ist das größte ungelöste Problem unserer Zeit. Ich will auch zeigen, dass diejenigen, die Gewalt an Frauen ausüben, gar nicht die Krankheit selbst sind, sondern nur die Symptome. Die Krankheit, das ist die Geisteshaltung, mit der den Frauen der Respekt, die Eigenständigkeit und die Sicherheit verwehrt wird. Und diese Geisteshaltung gibt es bis zu einem gewissen Grade in jedem Land der Welt.

Leslee Udwin ist eine britische Filmemacherin und die Autorin der Dokumentation "Indiens Tochter."

Die Fragen stellte Gabriel Dominguez.