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Türkische Medien unter Druck

Baha Güngör25. Mai 2015

Knapp zwei Wochen vor den Parlamentswahlen sehen sich türkische Medien in einem Belagerungszustand. Journalistenorganisationen vergleichen die Lage gar mit der in Hitler-Deutschland.

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Recep Tayyip Erdogan
Bild: Reuters/Y. Bulbul

Politische Neutralität ist für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan offensichtlich weiterhin kein Thema: Fast täglich kritisiert er seine persönlichen Gegner ebenso wie die Opposition der regierenden Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) aufs Schärfste. Wahlkampfversprechen der Oppositionspolitiker werden mit Sätzen wie "entweder können sie nicht rechnen oder sie sind noch nie verprügelt worden" ins Lächerliche gezogen.

In den letzten Tagen verschärfte er den Ton gegenüber der türkischen Presse und setzte den Justizapparat gegen einzelne Journalisten so wie gegen ganze Medienhäuser in Bewegung. Jüngstes Beispiel ist die von ihm offenbar bewusst inszenierte Auseinandersetzung mit der Tageszeitung "Hürriyet". Das Traditionsblatt der Republik hatte in seiner Berichterstattung über das Todesurteil gegen den früheren, erstmals demokratisch gewählten ägyptischen Präsidenten Mohammad Mursi auf dessen Stimmenanteil von 52 Prozent bei den Wahlen hingewiesen. Weil aber auch er bei der ersten Direktwahl eines türkischen Staatsoberhaupts im August vergangenen Jahres mit 52 Prozent der Stimmen gewählt worden war, sah Erdogan darin den Versuch, indirekt zu seinem Sturz aufzurufen.

Kontrollfunktion in Gefahr

Erdogans Anwälte fordern die Festnahme des "Hürriyet"-Chefredakteurs Sedat Ergin und weiterer führender Vertreter des Flaggschiffes der Mediengruppe Dogan. Erdogan will nach eigenen Worten dafür sorgen, dass Medien "nicht mehr wie bisher ungehindert Regierungen stürzen und neue bilden". Derweil fürchten immer mehr führende Journalisten den Verlust der Kontrollfunktion der Medien im Sinne der Öffentlichkeit. Der Präsident der Journalistengewerkschaft TGC, Ugur Güc, beklagt, dass die Bevölkerung schon längst nicht mehr über demokratische unabhängige Informationsquellen verfüge: "21 Journalisten sind in Haft. Reporter vergeuden einen Großteil ihrer Energie damit, sich in Staatsanwaltschaften gegen Tausende drohende oder eingeleitete Ermittlungsverfahren zu äußern."

Vergleiche mit NS-Zeit

Für Güc ist es verständlich, dass vor allem in sozialen Medien immer öfter Vergleiche mit Zuständen in Hitler-Deutschland zu lesen sind: "Damals wurden politische Gegner und Andersdenkende über Propaganda und Einschüchterung mundtot gemacht. Heute beobachten wir durchaus vergleichbare Versuche."

Zudem gehen derweil auch immer mehr Medienunternehmen dazu über, Selbstzensur zur betreiben - zur Absicherung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten und Erhöhung ihrer Chancen auf lukrative Aufträge des Staates. In dieser Atmosphäre könne von unabhängigem Journalismus keine Rede sein, sagt Güc.

"Selbstzensur ist normal geworden"

Professor Mehmet Altan, Journalist und Schriftsteller sowie Dozent für Wirtschaftspolitik an der Universität Istanbul, kann es nicht hinnehmen, dass gegenwärtig "die Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt“ sei und "ein ziviler Staatsstreich" stattgefunden habe. Altan setzt seine Hoffnungen darauf, dass sein Land die Zeiten der "Rechtslosigkeit" überstehen und in eine "Phase der demokratischen Restauration" übergehen werde.

Doch bis dahin ist der Weg noch sehr weit. Die Tatsache, dass die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen unter 180 Ländern den 149. Platz einnimmt, belegt die weite Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Türkei bezogen auf die Feststellung Erdogans: "Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei!" Yavuz Baydar von der Plattform P24 für unabhängigen Journalismus hält dem entgegen: "Selbstzensur ist in der Türkei inzwischen normal geworden, sie ist heute Teil der beruflichen Kultur und eine schlimme Form der Selbstinhaftierung." Diejenigen, die sich dem widersetzen, werden einfach gefeuert. Dies wird von der Tatsache untermauert, dass rund 80 Prozent der Medien unter Kontrolle der Regierung stehen.