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Türkei beißt sich an Assad die Zähne aus

Thomas Seibert, Istanbul3. März 2015

Vier Jahre nach Beginn des Aufstandes gegen Baschar al-Assad muss die Türkei zur Kenntnis nehmen, dass sie mit ihrem Hauptziel gescheitert ist: Assad ist weiterhin an der Macht. Und nun? Aus Istanbul Thomas Seibert.

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Menschen demonstrieren mit Plakaten für Baschar al-Assad (Foto: Reuters)
Menschen in Syrien protestieren im März 2015 für Baschar al-AssadBild: Reuters

Als türkischer Außenminister versuchte der Ministerpräsident Ahmet Davutoglu unmittelbar nach Ausbruch der Unruhen in Syrien im März 2011, die Assad-Regierung zu politischen Reformen zu bewegen. Doch als Davutoglus Appelle ungehört verhallten, schaltete Ankara auf eine kompromisslose Gegnerschaft zu Assad um. Die türkische Regierung war sicher, dass der syrische Staatschef angesichts des Aufstandes vor dem Aus stand. Assad habe höchstens noch einige Wochen oder Monate, sagte Davutoglu im August 2012.

"Es ist eine Katastrophe"

Doch Davutoglu täuschte sich. Nach vier Jahren Bürgerkrieg erwartet heute niemand mehr den schnellen Abgang des syrischen Präsidenten. Gemäßigte Oppositionskräfte wie die "Freie Syrische Armee" (FAS) geraten zunehmend in die Defensive und müssen sich sowohl mit Assads Regierungstruppen als auch mit den immer stärker werdenden islamistischen Milizen herumschlagen, allen voran mit dem "Islamischen Staat" (IS). Der IS hat weite Teile von Syrien und Irak unter seine Kontrolle gebracht und entwickelt sich zu einer Bedrohung für die Türkei selbst. Gleichzeitig ist in Nordsyrien entlang der türkischen Grenze ein Autonomiegebiet der Kurden entstanden. Rund zwei Millionen Syrer sind in die Türkei geflohen.

Die Karte zeigt die Ausbreitung des IS in Irak und Syrien

Die Pläne der Türkei, im Syrien-Konflikt eine Rolle als regionale Ordnungsmacht zu spielen, sind angesichts des wachsenden Chaos im Nachbarland zur Makulatur geworden. "Es ist eine Katastrophe", sagt Osman Nuri Özalp, Politologe an der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul, der Deutschen Welle. Die Türkei habe in Syrien und in der Nahost-Region insgesamt viel von ihrem Einfluss eingebüßt.

Konstanten in der türkischen Syrien-Politik

Dennoch bleibt der Sturz von Assad das erste Ziel der Türkei in Syrien. Erst vor kurzem betonte Davutoglu, die syrische Regierung werde für die "in den vergangenen vier Jahren begangenen Massaker an der Bevölkerung" Rechenschaft ablegen müssen. Zweitens hält die Türkei ihre "Politik der offenen Tür" gegenüber Flüchtlingen aus Syrien aufrecht, auch wenn die große Zahl der Flüchtlinge in türkischen Städten entlang der Grenze inzwischen für soziale Probleme sorgt.

Die dritte Konstante in der türkischen Syrien-Politik ist die Unterstützung für syrische Oppositionskräfte. Die Nationale Syrische Koalition, ein Dachverband von gemäßigten Assad-Gegnern, trifft sich regelmäßig in Istanbul. Beobachter wie der frühere US-Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone, werfen Ankara zudem vor, auch radikal-islamische Gruppen in Syrien unterstützt zu haben. Die Türken seien überzeugt gewesen, mit diesen Milizen arbeiten zu können, sagte Ricciardone im vergangenen Jahr. Das türkische Grenzgebiet zu Syrien sei für die Extremisten offen gewesen. Ankara weist die Vorwürfe zurück.

Ausweg aus der Sackgasse

Trotz der vielen Probleme mit der bisherigen Syrien-Strategie scheue die türkische Regierung einen radikalen Kurswechsel, sagt Serhat Erkmen, Nahost-Experte an der Ahi-Evran-Universität im zentralanatolischen Kirsehir, der Deutschen Welle. Da das Thema Syrien längst zu einer innenpolitischen Streitfrage geworden sei, wäre ein Neubeginn der Syrien-Politik für Ankara riskant, weil dies von der Opposition als Eingeständnis des Scheiterns gesehen würde.

Biden und Davutoglu sprechen gut gelaunt vor der Presse in Istanbul (Foto: Reuters/Sezer)
Derzeit ziemlich beste Freunde: US-Vizepräsident Joe Biden und der türkische Premierminister Ahmet DavutogluBild: Reuters/Sezer

Um die eigene Position zu stärken, lehnt sich die Türkei in jüngster Zeit wieder mehr an die westliche Führungsmacht USA an. Ankara und Washington bilden gemeinsam neue syrische Oppositionstruppen aus. Derzeit wird sogar über eine aktive türkische Beteiligung an der erwarteten Offensive irakischer Regierungstruppen und westlicher Verbündeter gegen dem IS im nordirakischen Mossul spekuliert. Grundlegende Differenzen mit den USA konnten bisher aber nicht ausgeräumt werden. Nach Presseberichten betrachtet Washington - anders als die Türkei - einen Amtsverzicht von Assad nicht mehr als Grundvoraussetzung für eine Lösung in Syrien. Ob sich Ankara für solche Neubewertungen öffnet, wird sich frühestens in einigen Monaten zeigen, meint Nahost-Experte Erkmen: Erst nach der Parlamentswahl im Juni seien prinzipielle Veränderungen möglich.