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Tödlicher "Hagel" über der Ostukraine

Roman Goncharenko24. Juli 2014

Nach dem Abschuss eines Passagierflugzeugs in der Ostukraine gehen die Kämpfe weiter. Eine Waffe kommt immer öfter zum Einsatz: Raketenwerfer vom Typ "Grad". Kiew beschuldigt Moskau, die Separatisten damit zu versorgen.

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Flugzeug und BUK-Raketen (Foto: Foto: MAXIM SHIPENKOV/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Kalaschnikows waren gestern. Der Krieg in der Ostukraine wird zunehmend mit schweren Waffen geführt, wie der mutmaßliche Abschuss der Boeing 777 der "Malaysia Airlines" am 17. Juli zeigte. Die prorussischen Separatisten verfügen offenbar nicht nur über Panzer und Kanonen, sondern auch über komplexe Raketensysteme. Die Regierung in Kiew und westliche Geheimdienste vermuten, dass die Passagiermachine von einer Rakete des Luftabwehrsystems "BUK" (Buche) getroffen wurde. Die Separatisten bestreiten das.

40 Raketen in 20 Sekunden

Es gibt aber auch Raketen, deren Besitz und Einsatz die Separatisten zugeben. "Ja, wir haben "Grad" (auf Deutsch "Hagel")", sagte neulich der Anführer der selbsternannten Luhansker Volksrepublik, Valeri Bolotow, auf einer Pressekonferenz. Gemeint sind Raketenwerfer vom Typ BM-21.

"Grad"-Raketenwerfer bei der russischen Armee (Foto: Ildus Gilyazutdinov/RIA Novosti)
"Grad"-Raketenwerfer werden auch bei der russischen Armee verwendetBild: picture-alliance/dpa

"Grad" ist eine Weiterentwicklung der "Stalinorgel". So wurden die ersten sowjetischen Raketenwerfer im Zweiten Weltkrieg von den Nazis genannt. Ihre Anordnung in Reihen erinnert an eine Orgel. Der in den 1960er Jahren entwickelte "Grad" kann nach Herstellerangaben in 20 Sekunden 40 Geschosse auf eine Entfernung von bis zu 40 Kilometern abfeuern. Eine Rakete ist in der Lage, "das gesamte Leben in einem Umkreis von 100 Metern" zu vernichten, heißt es in einem Werbefilm. Beim Beschuss einer ukrainischen Einheit beim Dorf Selenopillja am 11. Juli 2014 wurden nach offiziellen Angaben mehr als 20 Soldaten getötet und fast 100 verletzt. Bilder zeigen verwüstete LKWs und Schützenpanzer.

"Doch je größer die Entfernung, desto weniger präzise ist der Schuss", sagte der Kiewer Militärexperte Serhij Sgurez in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Was das bedeutet, kann man fast täglich in der Ostukraine beobachten. Im Raketen-Hagel sterben immer mehr Zivilisten.

Keine "Smoking Gun"

Für die ukrainische Regierung steht fest: Die Separatisten bekommen die Raketenwerfer vom Typ "Grad" aus Russland. Die Grenze zwischen den Nachbarstaaten ist immer noch streckenweise offen. LKW mit Raketenwerfern würden ungehindert auch über Äcker in die Ukraine hineinfahren, so das Verteidigungsministerium in Kiew.

Die ukrainischen Behörden haben Anfang Juli in Kiew Kriegsgerät ausgestellt. Angeblich wurde es bei den Separatisten erobert. Auch ein Raketenwerfer "Grad" war dabei. "Das Gerät stammt noch aus der Sowjetzeit und man kann es nicht eindeutig Russland zuordnen", sagte ein westlicher Militärexperte, der ungenannt bleiben möchte, der DW. Eine "Smoking Gun", ein "rauchendes Gewehr" und damit ein eindeutiger Beweis, sei das nicht.

Videos zeigen angeblichen Beschuss aus Russland

Zerstörungen im Gebiet Donezk (Foto: DW)
Zerstörungen im Gebiet Donezk nach Kämpfen zwischen Separatisten und der ukrainischen ArmeeBild: DW/F. Warwick

Kiew wirft Moskau vor, inzwischen auch über die Staatsgrenze auf ukrainisches Territorium mit "Grad"-Raketen zu schießen. Für Aufsehen sorgten Amateurvideos, die Mitte Juli im Internet aufgetaucht waren. Sie sollen bei der russischen Stadt Gukow, weniger Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, aufgenommen worden sein. Zu sehen ist ein Teich, hinter dem Feuersalven in den Himmel aufsteigen. Manche Beobachter sehen in den Videos einen weiteren Beweis für Moskaus direktes Eingreifen in die Kämpfe zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee.

Der Kiewer Militär-Experte Serhij Sgurez ist aber noch vorsichtig. "Sollte der bereits veröffentlichte Abgleich der Videos mit den geographischen Gegebenheiten vor Ort tatsächlich stimmen, dann kam der Beschuss von Russland", sagte er. Sgurez zufolge könnte das bedeuten, dass Russland mit Provokationen den Konflikt anheizen will, um die Lage in der Ukraine weiter zu destabilisieren.

Sein russischer Fachkollege Alexander Golz aus Moskau meint, man könne schnell feststellen, ob Russland bereits die Ukraine beschieße oder nicht. "Entsprechende technische Möglichkeiten haben die US-Geheimdienste doch", sagte er der DW.

Gegenseitige Vorwürfe

Doch auch die Separatisten werfen der ukrainischen Armee den Einsatz von "Grad"-Raketensystemen vor. Die Ukraine sei für den Tod vieler Zivilisten verantwortlich. Kiew bestreitet jedoch, Wohnviertel beschossen zu haben.

Moskau seinerseits behauptet, die Ukraine habe auf russisches Territorium geschossen. Mindestens ein Mensch sei getötet worden. Sollte sich das wiederholen, werde Russland diejenigen, die die Raketen abschießen, "ausschalten", drohte neulich der russische Außenminister Sergej Lawrow. Das sei ein neuer Ton in Moskau, betont der Militärexperte Golz. Denn erst vor wenigen Tagen habe der Kreml Vermutungen, Russland könne mit "gezielten Schlägen" auf möglichen Beschuss aus der Ukraine reagieren, als "Schwachsinn" abgetan.