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Twitter-Aufschrei nach Amoklauf

Jennifer Fraczek29. Mai 2014

Offenbar aus Frauenhass hat ein junger Mann in den USA mehrere Menschen getötet. Der Amoklauf hat online eine Sexismus-Debatte ähnlich dem "Aufschrei" vor über einem Jahr in Deutschland entfacht.

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Ein Frau demonstriert gegen Sexismus - auf ihrem Plakat steht "Fight sexism" (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Einen "Tag der Vergeltung" hatte der Attentäter in seinem "Manifest" angekündigt, bevor er am Samstagnachmittag in Santa Barbara im US-Bundesstaat Kalifornien sechs Menschen tötete. Vergeltung gegenüber allen Frauen. Weil sie ihn zurückgewiesen hatten, nicht mit ihm zusammen sein wollten. "Wenn ich Euch, Mädchen, nicht haben kann, werde ich Euch zerstören", erklärte er.

Das "Manifest" und die Tat des 22-Jährigen lösten einen Aufschrei bei Twitter und in anderen sozialen Netzwerken aus. Unter dem Twitter-Hashtag Yesallwomen beschrieben zahllose Frauen ihre Erfahrungen mit Frauenhass, Ungleichbehandlung und Gewalt. Unter diesem Hashtag gab es am Mittwoch fast 1,8 Millionen Tweets. Warum findet die Debatte solch enormen Widerhall?

Alltagssexismus, Stalking, Gewalt

"Weil uns gesagt wird, dass wir es als Kompliment sehen sollen, wenn wir belästigt oder begrapscht werden", schreibt eine Twitter-Nutzerin. "Weil unsere Gesellschaft Mädchen beibringt, wie sie nicht vergewaltigt werden, anstatt Jungen beizubringen, dass man nicht vergewaltigt", schreibt eine andere. Zusammengefasst: Weil viele Frauen Sexismus und Gewalt erfahren und finden, dass das Thema nicht ernst genug genommen wird.

Yesallwomen ist auch eine Antwort auf die "Notallmen"-Debatte im Netz. Unter diesem Stichwort, das es auch als Hashtag gibt, wehren sich schon länger Männer dagegen, kollektiv als Schläger und Vergewaltiger gesehen zu werden. "Natürlich ist es richtig, dass sie das nicht sind", sagt die Autorin und Feministin Deanna Zandt. Richtig sei aber auch, dass - deswegen #Yesallwomen (Ja, alle Frauen) - alle Frauen sich von männlicher Gewalt und von Sexismus bedroht fühlten. Die Debatte treffe einen Nerv, sagt Zandt.

Kein Krieg der Geschlechter

Der Meinungsaustausch über Twitter und andere soziale Netzwerke zeigt den Betroffenen vor allem: Ich bin nicht alleine. Das veranlasst viele, die sich sonst vielleicht nicht getraut hätten, auch von ihren Erfahrungen zu schreiben. "Viele Frauen haben es satt, immer wieder zu hören, dass doch alles okay ist, wenn uns doch unsere täglichen Erfahrungen zeigen, dass nicht alles okay ist", sagt Zandt. Um das zu unterstreichen, hat sie eine Internetseite eingerichtet, auf der Fälle gesammelt werden, in denen Frauen, die Männer zurückgewiesen haben, Gewalt angetan wurde.

Der "alles okay"-Eindruck habe sich vor vielen Jahren verfestigt, als Frauen in Führungspositionen kamen und gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgegangen wurde, sagt Deanna Zandt. "Kein Chef gibt nun mehr seiner Kollegin einen Klaps auf den Hintern und sagt: 'Toll gemacht, Schätzchen'." Das Ende des Sexismus' sei das aber nicht, er finde lediglich verborgener statt und sei grundlegender. Von einem "Krieg der Geschlechter" will Zandt nicht reden. Sie möge diese Metapher nicht, weil sie suggeriere, es gebe eine gute und eine böse Seite. Sie sieht die Situation vieler Frauen eher als gesellschaftliche Krankheit. Aber wie kann sie geheilt werden?

Zandt hofft, dass das Thema zunächst weiter Thema bleibt, dass die anderen Massenmedien auf das Thema einsteigen und auch dranbleiben - und dass Geld fließt, um betroffenen Frauen zu helfen. Wie schwierig es ist, auf der Agenda zu bleiben, zeigt das deutsche Beispiel #Aufschrei. Vor etwas mehr als einem Jahr hatten dort - ebenfalls vor allem über Twitter - Frauen von ihren Erlebnissen mit Diskriminierung, Belästigung und Gewalt erzählt.

"Hasst Gewalt gegen Frauen"

Doch auch wenn die Sexismus-Debatte, die schnell vom Internet ins Fernsehen schwappte und Thema in allen wichtigen Zeitungen und politischen Talkshows war, relativ schnell wieder abflaute, sei sie nicht wirkungslos verpufft, sagt "Aufschrei"-Initiatorin Anne Wizorek im DW-Gespräch. Ein Effekt sei zum Beispiel, dass die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes infolge der Debatte ein Drittel mehr Anfragen habe. Dass also mehr Frauen sich dorthin wenden, um sich helfen zu lassen.

Der Hashtag "Aufschrei" bei Twitter (Foto: dapd)
In Deutschland gab es 2013 eine Sexismus-Debatte, die im Netz begannBild: dapd

Zudem, so Wizorek weiter, hätten Männer einen Einblick gewonnen "in eine Welt, in der Sexismus ein Problem ist - ein Sexismus, mit dem sie in diesem Ausmaß vielleicht gar nicht zu tun haben". #Aufschrei habe auch an sie appelliert, sich für eine Welt ohne Sexismus einzusetzen.

In eine ähnliche Richtung geht der Tweet eines Mannes, der unter #Yesallwomen schrieb: "Hasst nicht #yesallwomen. Hasst, dass es ihn überhaupt gibt. Hasst die Ungerechtigkeit der Ungleichbehandlung der Geschlechter. Hasst Gewalt gegen Frauen."