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TV-Marathon: 24 Stunden Jerusalem

Aya Bach12. April 2014

Eine TV-Dokumentation taucht ein in den Alltag der heiligen Stadt: 70 Kamerateams haben Menschen in Jerusalem begleitet. Produzent Volker Heise über 24 Nonstop-Sendestunden und Dreharbeiten auf vermintem Gelände.

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Blick auf die Goldene Kuppel des Felsendoms in Jerusalem (Foto: BR)
Bild: BR

24 Stunden lang – quasi in Echtzeit – können Fernsehzuschauer in Deutschland und Frankreich an diesem Wochenende eine virtuelle Reise nach Jerusalem unternehmen. Ein #link:http://www.br.de/live/24-h-jerusalem-jerusalem-nahost-100.html:TV-Marathon# gibt Einblicke ins Leben der mythischen Stadt und ihrer Bewohner – Israelis wie Palästinenser. Heilig für Juden, Christen und Muslime, ist Jerusalem zugleich der Ort, an dem sich der Nahost-Konflikt wie unter einem Brennglas immer wieder entzündet. Dort eine Fernseh-Dokumentation in dieser außergewöhnlichen Größenordnung zu drehen ist ein brisanter Balance-Akt. Vor allem mit dem Anspruch, dass sich alle Bevölkerungsgruppen darin wiederfinden sollen. Produzent und Regisseur Volker Heise hat es gewagt – in einer Koproduktion des deutsch-französischen Kultursenders arte mit dem Bayerischen Fernsehen und der Berliner Produktionsfirma Zero One. Für Heise ist es nicht das erste Stadtporträt dieser Dimension: Mit "24 h Berlin" hatte er schon 2008 ein Zeichen in der Fernsehlandschaft gesetzt.

Deutsche Welle: Warum haben Sie sich nach Ihrem ersten Großprojekt "24h Berlin" gerade Jerusalem ausgesucht, warum nicht Johannesburg oder Jakarta?

Volker Heise: Eigentlich hatte ich nach dem Berlin-Projekt gesagt, das machen wir nicht nochmal, wir haben uns bewiesen, dass man 24 Stunden im Fernsehen dokumentarisch erzählen kann. Die Leute schauen sich das an. Dann kam aber mein Kollege Thomas Kufus aus Israel zurück und sagte, wir müssen Jerusalem machen. Ich habe sofort ja gesagt. Jerusalem ist wie das Gegenstück zu Berlin: Berlin hatte eine Mauer, Jerusalem hat eine Mauer. Berlin ist säkular, in Jerusalem ist alles von Religion durchdrungen, in Berlin ist man gesettelt nach dem chaotischen und kriegerischen letzten Jahrhundert, und in Jerusalem ist es genau anders herum. Deshalb habe ich gesagt, da müssen wir hin.

In der Grabeskirche in Jerusalem (Foto: BR)
In der Grabeskirche in JerusalemBild: BR

Was erlebt davon ein Zuschauer, der sich "24 Stunden Jerusalem" – wahrscheinlich doch eher in Ausschnitten - anschaut?

Das ist eine dauernde Parallel-Montage. Wir fangen mit einem Protagonisten an, folgen ihm durch die Stadt, dann kommt der nächste und noch einer, dann kommen wir zu ihm zurück. Nach und nach setzt sich ein dichtes Bild von der Stadt zusammen, was es bedeutet in einer Stadt zu leben, die von so vielen Frontlinien durchzogen ist.

Die Stadt ist von Religion und Geschichte durchtränkt, sie hat etwas Mythisches. Aber im Jerusalem von heute gibt es banale Checkpoints und Sperranlagen, die Israelis und Palästinenser trennen. Welche Atmosphäre entsteht in ihrer Dokumentation?

Es geht um einzelne Menschen. Wir versuchen, die Spannungen und Konfrontationen zu zeigen – und zwar durch die Augen der Leute. Uns war wichtig, nicht zu urteilen. Wir verurteilen weder den Religiösen noch den Säkularen, weder den Israeli noch den Palästinenser. Wir folgen ihm einfach und hören uns an, was er zu sagen hat. Denn das ist das Manko in dieser Stadt: Alle sind so überzeugt von der eigenen Haltung, dass die andere Seite gar nicht mehr zu hören ist.

Wie haben Sie die Menschen ausgesucht, die Sie mit der Kamera begleitet haben?

Wir haben das Projekt drei Jahre lang vorbereitet und dann sechs Monate intensiv recherchiert nach den Protagonisten. Wir haben allerdings auch einen israelischen und einen palästinensischen Arm der Produktion, und einen europäischen – und die drei haben sehr selbständig gearbeitet. Ich wollte nicht meinen Blick auf die Stadt haben, sondern ich wollte, dass die Anderen ihren Blick mit reinbringen, und dass wir das erst am Schneidetisch zusammenbauen.

Ihr Anspruch war, einen Querschnitt der Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen. Wie hat das denn in der Praxis funktioniert?

Ruth Bach (90) konnte vor den Nazis nach Israel fliehen (Foto: BR)
Ruth Bach (90) konnte vor den Nazis nach Israel fliehenBild: BR

Man geht ein bisschen soziologisch vor. Man findet die wichtigsten Gruppen in der Stadt und sucht einen Protagonisten, der für sie steht. Ein einfaches Beispiel: Imame, Priester, Rabbiner, weil sie die drei wichtigen Religionen in der Stadt repräsentieren. Man muss natürlich auch für die israelische und palästinensische Gesellschaft Repräsentanten finden. Beispielsweise gibt es in der israelischen Gesellschaft die ganz moderne, alleinerziehende Mutter, die ein eigenes Geschäft hat und eigentlich auch in Berlin, Paris oder London leben könnte - bis hin zum ultraorthodoxen Rabbi, der für unsere Augen vollkommen fremd ist.

Trotz Ihres Balance-Akts sind Sie mitten in den Konflikt hineingeraten und mussten die Dreharbeiten abbrechen. Wie kam es dazu?

Wir sind mitten in die politischen Kämpfe hineingerasselt. Bei uns arbeiten 500 Leute an einem Tag für dieses Projekt, das auch eine Strahlwirkung hat, und da wollten natürlich alle politischen Parteien mitreden. Wir mussten beim ersten Mal abrechen, weil wir gemerkt haben, die Einflussnahme wird zu groß.

Von welcher Seite?

Letztendlich von beiden. Konkret war es am Ende so, dass die palästinensischen Regisseure aussteigen mussten, weil es Drohungen gab. In Ostjerusalem und im Westjordanland lehnen Palästinenser grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Israelis ab, solange die Besatzung da ist. Das ist eine klare Vereinbarung auch unter Künstlern. Wir sind ins Fadenkreuz gegangen, weil bei diesem Projekt natürlich Israelis und Palästinenser drehen. Das erste Projekt ist gescheitert, weil wir die palästinensische Seite nicht überzeugen konnten, dass wir das balanciert machen und dass das kein Friede-Freue-Eierkuchen- Film wird, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren Problemen.

Wie haben Sie das Problem dann gelöst?

Mit langen Gesprächen. Die Überzeugungsarbeit hat noch mal sechs Monate gedauert. Ich wollte ja eigentlich als Regisseur nach dem Berlin-Projekt nicht nochmal einsteigen, aber ich habe es schließlich doch gemacht, weil beide Seiten gesagt haben, wir brauchen eine neutrale Instanz. Und das war dann ich. Einfach jemand, der nicht die Politik von der einen oder anderen Seite im Hintergrund hat.

Regisseur Volker Heise (links) mit Produzent Thomas Kufus (Foto: BR)
Regisseur Volker Heise (links) mit Produzent Thomas KufusBild: BR

Vorab sind im Internet schon kleine #link:http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/inhalt/film-und-serie/24-h-jerusalem-volker-heise-film-100.html:Ausschnitte aus "24 Stunden Jerusalem"# zu sehen. Da gibt es einen Palästinenser, der davon träumt, ein "richtiges Leben" zu haben und davon, dass seine Kinder "nicht mehr so leiden müssen". Haben Sie ähnliche Aussagen auch von Israelis gehört?

Ja, natürlich. Das Verrückte ist ja, dass alle davon träumen, dass Frieden ist, und dass sie alle ein normales Leben haben,. Aber jeder hat eine andere Vorstellung davon, was das sein soll. Und da fängt's dann an, schwierig zu werden.

Wie hat sich Ihr eigener Blick auf Jerusalem durch die Arbeit verändert?

Sehr stark. Denn von Europa aus schaut man da ja immer ein bisschen blauäugig hin und denkt, warum macht ihr nicht einfach Frieden? Aber es ist nicht so einfach, weil es eine verwundete Stadt ist. Und die Wunden sind tief und schmerzhaft. Und das braucht einen langen Prozess, bis man über diese Wunden Frieden schließen kann.

Volker Heise ist Fernsehregisseur und -produzent. Für seine Living-History-Serie "Schwarzwaldhaus 1902" erhielt er 2003 den renommierten Grimme-Preis. Für sein Fernsehprojekt "24h Berlin – Ein Tag im Leben", das einen Tag im Leben einer Großstadt dokumentierte und zu einem 24-stündigen Fernseh-Ereignis wurde, erhielt er gemeinsam mit dem Produzenten Thomas Kufus den Bayerischen Fernsehpreis. 2010 bekam Heise zudem den Sonderpreis des Robert-Geisendörfer-Preis und den Deutschen Fernsehpreis 2010.