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Tuvia Tenenbom: Israel ist besetztes Gebiet

Ulrike Schleicher, Jerusalem27. Januar 2014

Nach mehr als 30 Jahren ist der amerikanische Autor Tuvia Tenenbom für eine Buchrecherche nach Israel zurückgekehrt. Seine Bilanz: Das Land wird indirekt von Europa regiert - mit Hilfe der Medien und NGOs.

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Tuvia Tenenbom in Jerusalem
Bild: DW/U. Schleicher

Mit 17 Jahren verließ Tuvia Tenenbom seine ultraorthodoxe Familie im Jerusalemer Stadtteil Mea Schearim. Der später als Autor, Journalist und Gründer des "Jewish Theatre of New York" bekannt gewordene Tenenbom tat dies nicht freiwillig. Der eigenwillige Student einer Thora-Schule hatte zu viele Fragen gestellt und Zweifel geäußert. Das wird in dieser Gemeinschaft nicht toleriert. Er ging nach New York und wurde US-Bürger. Der Kontakt beschränkt sich seither auf das Notwendigste: "Die Orthodoxen leben in einer anderen Welt", sagt der heute 57-Jährige dazu. Israel besuche er lediglich zu Stippvisiten: "Das bis dahin letzte Mal vor fünf Jahren.“

Jetzt aber bereiste Tenenbom seine Heimat samt Westjordanland ein halbes Jahr lang und ließ sich treiben: "Von Nord nach Süd, von West nach Ost.“ Dabei entdeckte er Vertrautes, aber auch vieles, was ihm fremd war. Der Grund für die Reise: Ein neues Buch für den Suhrkamp Verlag, das mit dem Titel "Allein unter Juden“ als Pendant zu seinem viel diskutierten Vorgänger "Allein unter Deutschen“ im Herbst veröffentlicht wird. Mit "Allein unter Deutschen" hatte Tenenbom 2011 für Aufruhr gesorgt: Der Autor hatte dem Rowohlt Verlag, der sich eigentlich die Rechte an dem Buch gesichert hatte, vorgeworfen, das Werk zensieren zu wollen. Der Vertrag zwischen Autor und Verlag wurde nach einem längeren Streit aufgelöst. "Allein unter Deutschen" erschien letztendlich bei Suhrkamp.

Zwei orthodoxe Juden mit Hut vor Felsendom in Jerusalem
Orthodoxe Juden in JerusalemBild: imago

Unterwegs in verschiedenen Rollen

Für sein neues Projekt war der streitbare Autor unterwegs als Journalist, und, wie er selbst sagt, auf der Suche nach Fakten - unparteiisch und je nach Bedarf in verschiedenen Rollen. Darunter - das mag einem bekannt vorkommen - auch als "Tobi, der Deutsche", als Israeli sowie dank seiner arabischen Sprachkenntnisse als "Abu Ali“.

Die Arbeit am Buch ist abgeschlossen, es ist aber noch nicht druckfertig. Jetzt sitzt Tenenbom in seiner Mietwohnung in der pittoresken deutschen Kolonie in Jerusalem und zieht Bilanz: Er hoffe, dass er keinen Ärger mit seinen Interviewpartnern bekomme - wie beim letzten Buch. Seiner Einschätzung nach aber ist genau das ziemlich wahrscheinlich. "Die Reise war eine großartige Erfahrung“, sagt der Mann mit dem blond gelockten Quadratschädel und zündet sich eine Zigarette an. Und eine Herausforderung sei sie gewesen.

So viele NGOs wie in keinem anderen Land

Da ist zum einen seine Erkenntnis, dass Juden selbst in Israel verfolgt würden. Dieses Mal unter anderem von Nichtregierungs-Organisationen (NGOs). Viele würden vom Ausland finanziert, vornehmlich von Europa, und seien in Israel in einem Ausmaß vertreten wie sonst nirgends. "Die Situation ist beängstigend hier“, erklärt Tenenbom mit ernster Miene: "Wo immer man hinkommt, trifft man so einen europäischen Schmock. Israel wird von Europa regiert.“ Es seien Organisationen wie etwa B'Tselem, Machsom Watch, Rabbis for Human Right, die sich Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hätten - nach den Erfahrungen Tenenboms jedoch nur das eine im Blick haben: "Sie lauern darauf, dass Juden etwas falsch machen.“

Er habe Absurdes erlebt: Unerwartet seien ihm etwa Deutsche über den Weg gelaufen, "die Israel lieben und deshalb den Palästinensern helfen“. Oder: In einem Zentrum des Internationalen Roten Kreuzes (IRC) in Dschenin (Westbank) fand er antisemitische Bücher. Ein Vertreter des IRC habe erzählt, welche Missetaten Israel begehe. "Fakten konnte er jedoch keine liefern“, so Tenenbom. Oder: Eine kirchliche Organisation schicke Freiwillige an einen Checkpoint, damit diese zählten, wie viele Araber nach Israel dürfen. Er habe eine junge Frau gefragt, wieso sie nicht nach Jordanien gehe, wo die palästinensischen Flüchtlinge - wie er meint - wirklich leiden. Das habe sie abgelehnt. "Es geht ihnen gar nicht um die Palästinenser“, sagt Tenenbom empört. Sondern darum, Juden schlecht zu machen: "Die Europäer haben ihren Hass auf Juden nicht begraben“, so sein subjektiver Eindruck.

Tuvia Tenenbom in Dschenin
Tuvia Tenenbom in DscheninBild: Isi Tenenbom

Tenenbom kritisiert auch Israelis

Nicht besser steht es laut Tenenbom um die ausländischen Medien in Israel. "Das ist Propaganda und keine unabhängige Berichterstattung“, findet er. Die breite Masse der Journalisten schlucke unverdaut alles, was man ihr vorlege, sagt er zornig. In Bilin, einem Dorf in der Westbank, das seit Jahren gegen der Bau der Sperranlage kämpft, hätten Journalisten geklatscht, als ein Palästinenser bei einer Rede gesagt habe: "Allah ist mit dir, töte die Juden.“ Natürlich hätten sie nichts verstanden, weiß Tenenbom zu berichten. Das Schlimme sei: Sie fragten nicht einmal nach.

Tenenbom polarisiert - und geht dabei auch mit den Israelis ins Gericht: "Sie sind die größten Idioten im Nahen Osten.“ Sie beschwerten sich ständig, ließen kein gutes Haar an ihrem Land und träumten von Europa oder den Vereinigten Staaten. Viele - oft Intellektuelle, Linke, Aktivisten - seien voller Selbsthass und arbeiteten den Israelgegnern in die Hand. Die einzigen, die stolz auf ihr Land seien, seien die radikalen Siedler, sagt Tenenbom. Er unterstütze deren Ideologie keineswegs, aber: "Sie bestellen das Land, verteidigen es und lieben es.“ Das gilt auch für die Palästinenser. "Sie sind stolz auf ihre Kultur, sie sind klug und wissen, dass die Zeit für sie arbeitet."

Tenenbom raucht und isst - und wirkt erschöpft. Er sei ihm schwerer gefallen, dieses Buch zu schreiben, sagt er. Aufgrund der komplexen Themen, weil "man einfach mehr erklären muss“. Vielleicht auch, weil es ihm persönlich an die Nieren ging. Er sei zwar kein Bürger dieses Staates, aber in gewisser Weise sei er enttäuscht, räumt er ein. "Meine Kultur droht auseinander zu brechen.“ Es sei schwer, sich das einzugestehen. Selbst wenn man wie er nicht unmittelbar daran teilhabe. "Wenn die Israelis nicht aufwachen - und es sieht nicht danach aus - gibt es keine Zukunft für das Land.“ Und so scheint es, als gehe es Tuvia Tenenbom so wie vielen angesichts der Situation in Israel: Er hat wenig Hoffnung.

Mauer in Jerusalem
Trennmauer zwischen Israel und dem WestjordanlandBild: picture-alliance/dpa