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Tsipras' rote Linien

Jannis Papadimitriou, Athen31. März 2015

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sucht Rückhalt in der Opposition und beißt auf Granit. Man vermutet, dass der Regierungschef einen heimlichen Kurswechsel anstrebt. Jannis Papadimitriou aus Athen.

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Tsipras Alexis im Parlament (Foto: Ayhan Mehmet / Anadolu Agency )
Bild: picture alliance

Allein die Ankündigung einer Parlamentsdebatte ließ die Griechen aufhorchen: Inmitten wichtiger Verhandlungen mit den Kreditgebern hatte Regierungschef Alexis Tsipras für Montagabend (30.3.) eine Regierungserklärung im Parlament anberaumt. Man wartet gespannt darauf, dass die Volksvertreter wichtige Aspekte der laufenden Verhandlung vorstellen und Auswege aus der Finanznot aufzeigen. Doch es kam anders: In einer hitzig geführten Debatte, in der sich niemand an die vorgesehene Redezeit hielt, machten der linke Regierungschef Alexis Tsipras und der konservative Oppositionschef Antonis Samaras sich gegenseitig Vorwürfe. Der Abend endete mit einem Eklat, als die konservative Fraktion über die angeblich parteiische Haltung der Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou lautstark protestierte und geschlossen den Raum verließ.

Antonis Samaras im Parlament (Foto: AP Photo/Kostas Tsironis)
Antonis Samaras ist entnervt und verärgert über TsiprasBild: AP

In seiner Eingangsrede erklärte Tsipras, er wolle mit den Gläubigern Griechenlands einen "ehrenwerten Kompromiss erreichen, ohne zu kapitulieren". Wie so oft in den letzten Wochen stellte der Linkspolitiker Pläne für den Abbau der griechischen Schulden sowie eine von den Geldgebern unterstützte "Partnerschaft für das Wachstum" in Aussicht, die das laufende Sparprogramm ersetzen soll. Zudem beklagte er den "unerbittlich geführten Krieg gegen seine Regierung im In- und Ausland" und forderte die Opposition mit scharfen Worten zur Zusammenarbeit auf. "Heute will ich folgende Frage an alle Oppositionsparteien richten: Unterstützen Sie unsere Verhandlungstaktik, damit die Sparpolitik ein Ende hat - oder verhalten Sie sich nach wie vor als Sprachrohr der Machtzentren in Griechenland und in Europa?", sagte der Linkspremier.

Radikal im Ton, berechnend zur Sache?

Trotz - oder gerade wegen - des forschen Auftritts von Tsipras glauben viele Kommentatoren, dass der Regierungschef von der Realität eingeholt wird und seine Kompromissbereitschaft mit heftiger Rhetorik zu überdecken versucht. "Es ist das übliche Polittheater: Der Ministerpräsident will in der öffentlichen Meinung und vor allem in seiner eigenen Fraktion den Boden für einen Kompromiss bereiten. Er spricht selbst von einem ehrenwerten Kompromiss. Das ist der eigentliche Grund, warum Tsipras zu scharfen Tönen greift, daran habe ich keinen Zweifel", meint Alexis Papachelas im TV-Sender Skai. Er ist Direktor der Athener Zeitung Kathimerini.

Zum genauen Ablauf der Verhandlungen über eine in Brüssel vorgelegte Reformliste, die Athen rund drei Milliarden neue Einnahmen bringen soll, sagte Tsipras nur wenig, klagt Papachelas: "Leider sind wir nicht schlauer geworden nach dieser Parlamentsdebatte. Wir haben immer noch keine genauen Angaben zu der angekündigten Reformliste. Es sind nur Informationen durchgesickert, die sich zum Teil widersprechen".

Viele Fragen ohne Antworten

Noch viel drastischer formulierte es im Oppositionsführer Antonis Samaras, als ihm nach zweistündigem Schlagabtausch der Kragen platzte: "Warum haben Sie uns hierher bestellt? Um uns zu beschimpfen und dann auch noch zur Unterstützung für Ihre Politik aufzufordern?", rief der konservative Politiker sichtlich genervt. Und er legte nach: "Schluss mit lustig, es reicht! Haben Sie konkrete Maßnahmen geprüft und gegenfinanziert, über die wir reden können? Würden diese Maßnahmen einer Prüfung durch die Euro-Gruppe standhalten?", fragte Samaras schließlich.

Detaillierte Antworten bekam er nicht. Immerhin definierte die Regierung Tsipras erneut ihre roten Linien bei den laufenden Verhandlungen: Nicht akzeptabel seien Lohn- und Rentenkürzungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Medikamente, die Billigung von Massenentlassungen, sowie der "Ausverkauf" des staatlichen Vermögens. Gleichzeitig zogen aber auch die konservative Opposition sowie die sozialdemokratischen Parteien im griechischen Parlament ihrerseits eine rote Linie: Der Bruch mit Europa sei Tabu.

Die "offene" Frage der Reparationen

In seinen Ausführungen ging Ministerpräsident Tsipras nicht zuletzt auf Reparationsforderungen aus dem zweiten Weltkrieg ein. Selbst bei seinem jüngsten Besuch in Berlin habe er diese schwierigen Themen öffentlich zur Sprache gebracht, erklärte Tsipras stolz. Die deutsche Bundesregierung betrachtet die Entschädigungsfrage allerdings als erledigt. Daraufhin konterte Oppositionschef Samaras, er habe als Regierungschef immerhin eine Studie zu den Reparationsforderungen angeregt.

Parlament in Athen (Foto: REUTERS/Yorgos Karahalis)
Im Parlament muss Tsipras auch die Kritiker in den eigenen Reihen überzeugenBild: Reuters

In ungewöhnlicher Deutlichkeit erklärten die sozialdemokratischen Parteien im Parlament, auch für sie sei die Entschädigungsfrage noch "offen". Anfang März hatte Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou einen Ausschuss aller Parteien einberufen, der Reparationsforderungen an Berlin eingehend prüfen soll. Das Gremium komme erstmals am Mittwoch (1.4.) zusammen, ließ Konstantopoulou am Rande der Parlamentsdebatte verlauten.