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Tschechien wählt den Protest

Martin Nejezchleba27. Oktober 2013

Die Neuwahlen sollten die politische Krise beenden - doch nachdem die Tschechen den Protest gewählt haben, könnte die nächste Krise folgen. Den Schlüssel zur Regierungsbildung hält ein Milliardär und Populist.

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Stimmenauszählung in Tschechien. Foto: David Cerny/Reuters
Bild: Reuters

Das Scheinwerferlicht machte Bohuslav Sobotka sichtlich zu schaffen. Schweißgebadet trat der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten (ČSSD) am Wahlabend (26.10.2013) vor die Kameras.

Nach sieben Jahren in der Opposition, nach dem skandalösen Ableben der Mitte-Rechts-Koalition im Sommer, hätte seine ČSSD zum großen Sieger der vorgezogenen Neuwahlen werden sollen. Sobotka lässt sich die Stirn trocken tupfen. Er gibt sich standhaft. Ja, das Ergebnis entspreche mit rund 20 Prozent zwar nicht den Erwartungen. "Gleichzeitig ist es das beste Ergebnis aller politischen Parteien." Man wolle umgehend mit den Koalitionsverhandlungen beginnen.

Doch die Spannungen in der Partei bleiben: Noch am Sonntag forderte die ČSSD Parteiführung Sobotka nach dem enttäuschenden Wahlergebnis zum Rücktritt auf - und berief ein Gremium zur Sondierung von Koalitionsverhandlungen, in dem der Parteichef nicht vertreten ist. Dieser wies die Rücktrittsforderungen "auf dieser Grundlage" derweil zurück - auch wenn die Mehrheit das von ihm verlange.

An einem Mann führt dabei kein Weg vorbei: Der Milliardär und Medienmogul Andrej Babiš schaffte es mit seiner Protestbewegung "Aktion unzufriedener Bürger" (ANO) aus dem Stand, die zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden. Knapp 19 Prozent der Wähler gaben ihm, dem Besitzer eines Lebensmittel- und Chemieimperiums, ihre Stimme. Zum Erfolg führte ihn der Slogan "Wir sind keine Politiker, wir arbeiten". Nun entscheidet Babiš über die politische Zukunft Tschechiens.

"Vernichtendes Ergebnis"

Die vorgezogenen Neuwahlen sollten einen dicken Schlussstrich unter die politische Krise in der Tschechischen Republik ziehen. Nach einer Regierungszeit voller Koalitionszerwürfnisse stolperte das Kabinett von Petr Nečas über einen Abhör- und Bestechungsskandal. Der erste direkt gewählte Präsident Miloš Zeman setzte daraufhin eine Übergangsregierung ein, die seiner eigenen "Partei der Bürgerrechte" (SPOZ) nahesteht und die im Parlament bei einer Vertrauensabstimmung abgeblitzt ist. Das Parlament hat sich aufgelöst, Zemans Übergangsregierung ist weiterhin im Amt. Politische Beobachter sehen einen heftigen Ruck hin zur präsidialen Demokratie. Mit den Wahlen folgt nun die nächste Pattsituation.

Bohuslav Sobotka (ČSSD). Foto: Filip Singer/EPA
Will Koalitionsverhandlungen aufnehmen: Bohuslav Sobotka (ČSSD)Bild: picture-alliance/dpa

Der Politologe Jiří Pehe spricht von einem vernichtenden Ergebnis für die politische Szene des Landes. "Vermutlich werden wir bald die nächsten Neuwahlen erleben", sagt der einstige politische Berater Václav Havels.

Frustwahl und Abstrafung der Regierung

Sieben Parteien und politische Bewegungen haben den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Darunter zwei Parteien, mit denen niemand koalieren möchte: die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) - mit knapp 15 Prozent drittstärkste Kraft im Parlament - und die "Morgendämmerung der direkten Demokratie" (Úsvit přímé demokracie), eine weitere Protestbewegung, die es mit dem Versprechen der direkten Bürgerbeteiligung und Slogans wie "Schluss mit dem Saustall und der Korruption" auf Anhieb auf fast sieben Prozent brachte.

Die Tschechen wählten sich ihren Frust von der Seele. Die Regierungsparteien wurden bitter abgestraft. Die konservative Partei TOP 09 von Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg kündigte an, in die Opposition zu gehen. Den Bürgerdemokraten (ODS), bis zum Fall von Premier Nečas die stärkste Regierungspartei, droht mit weniger als acht Prozent der freie Fall in die Bedeutungslosigkeit.

Andrej Babiš. Foto: David Cerny/Reuters
Tschechiens Berlusconi: Andrej BabišBild: Reuters

Milliardäre stehlen nicht

Miroslav Červený hätte dem Präsidenten gerne eine Lektion erteilt. Der 85-jährige Rentner geht am Tag nach den Wahlen in einem Park mit Blick auf die Prager Burg, den Sitz des Staatsoberhauptes, spazieren. "Ich bin enttäuscht", sagt Červený und zeigt hinauf zur Burg: "Präsident Zeman missbraucht sein Amt. Er sollte sich neutral verhalten". Červený hätte sich eine starke konservative Regierung gewünscht, die dem Präsidenten die Stirn bietet.

Denis Mašát, 31, ein anderer Passant im Park, hatte nach der Wahl Grund zu feiern. Er hat die Protestbewegung ANO gewählt und den Erfolg von Babiš gebührend begossen. "Ich habe die neue Partei gewählt, weil ich glaube, dass ein Milliardär keinen Grund hat, sich in der Politik zu bereichern."

Eine junge Mutter mit Kinderwagen kann da nur abwinken. "Das hatten wir doch alles schon", sagt Vendula Zeleknová und erinnert an die Partei "Öffentliche Angelegenheiten", die 2010 mit Antikorruptionsrhetorik auf Anhieb in der Regierung landete und sich schnell als Businessmodell ihres Gründers Vít Bárta entpuppte. Die Partei zerfiel und trug entscheidend zum Niedergang der Mitte-Rechts-Regierung bei.

Der einzige starke Spieler

Präsident Zeman kam am Wahlwochenende nicht ungeschoren davon. Seine Partei SPOZ blieb trotz massiver Wahlkampagne weit unter der Fünf-Prozent-Marke. Trotzdem: Zeman geht gestärkt aus den Wahlen. "Angesichts der Fragmentierung des Parlaments spielt Zeman nun die Rolle des einzigen starken Spielers in der tschechischen Politik", erklärt der Politologe Pehe. Er schätzt, dass der Präsident eine Regierung des konservativen Lagers von Christdemokraten, TOP 09, ODS und der Protestbewegung ANO nicht zulassen wird. Einzig mehrheitsfähig sei deshalb eine Zusammenarbeit zwischen Sobotkas Sozialdemokraten, den neu ins Parlament gewählten Christdemokraten und ANO.

Stimmenauszählung. Foto: David Cerny/Reuters
Nach der Auszählung sind viele Bürger enttäuschtBild: Reuters

Beobachter gehen davon aus, dass ANO bei einer Koalitionsbeteiligung die Regierung schnell in die nächste Krise führen wird. Die politische Bewegung ist keine zwei Jahre alt, kurz vor den Wahlen schwenkte Babiš von eher links gerichteter Protestpolitik auf Mitte-Rechts-Positionen. Das Programm wurde noch während des Wahlkampfes korrigiert, die Newcomer im Parlament verbindet keine Ideologie - nur der schnelle politische Erfolg und das Versprechen Babiš', den tschechischen Staat wie seine Firma zu führen.