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Tränen im Schloss Bellevue

Bettina Marx6. März 2015

Gewalt gegen Frauen verstößt gegen alle Werte und Gesetze in Deutschland. Und doch ist sie ein alltägliches Phänomen, wie eine Veranstaltung des Bundespräsidenten zum Weltfrauentag zeigt.

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Deutschland Berlin Schloss Bellevue Internationaler Frauentag
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Jede dritte Frau in Deutschland hat in ihrem Leben schon einmal Gewalt erlebt, jede fünfte durch ihren Partner oder einen nahen Familienangehörigen. Durch häusliche Gewalt werden mehr Frauen geschädigt als durch Überfälle mit Waffen, durch Raub oder Wohnungseinbrüche. Mehr als 40.000 Frauen und ihre Kinder suchen jedes Jahr Schutz in Frauenhäusern.

Mit spürbarer Erschütterung nannte Bundespräsident Joachim Gauck diese Zahlen. Sie zeigten, dass "die Rechtslage das eine sei, die Realität aber etwas anderes", sagte er bei einem Symposium zum Weltfrauentag im Schloss Bellevue. Die Zahlen seien so hoch, obwohl die Gleichberechtigung von Frauen im Grundgesetz verankert sei und sich ihre rechtliche Stellung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert habe.

In seinen Gesprächen mit betroffenen Frauen habe er erfahren, wie weit verbreitet Gewalt gegen Frauen und Mädchen noch immer sei, berichtete das Staatsoberhaupt. Gauck hatte am Vormittag die Frauenhilfsorganisation "Terre des Femmes" in Berlin besucht. Sie setzt sich für die Opfer von häuslicher Gewalt ein. Mit der Beratungsstelle "Lana" bietet sie vor allem jungen Frauen aus Einwandererfamilien Hilfe, die von Zwangsheirat oder Ehrenmorden bedroht sind. Im Jahr 2008 hätten mehr als 1000 Minderjährige wegen einer drohenden Zwangsverheiratung um Hilfe gebeten, sagte Christa Stolle, die Vorsitzende von "Terre des Femmes". Die Dunkelziffer liege jedoch viel höher. Die Gewalt gegen diese Mädchen und jungen Frauen gehe meist von der ganzen Familie aus. Wenn sie sich dagegen auflehnten, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, bedeute das für sie häufig, dass sie ihr ganzes familiäres Umfeld aufgeben müssten.

Christa Stoller, Chefin von Terre des Femmes spricht anlässlich des Welftrauentages im Schloss Bellevue Foto: DPA
Christa Stoller, "Terre des Femmes": Gewalt geht meistens von der Familie ausBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Ein schmerzhafter Weg in die Freiheit

Die deutsch-türkische Schauspielerin Sibel Kekilli weiß, was das bedeutet. "Ich liebe meine Kultur. Aber auf dem Weg zu meiner Freiheit habe ich sie zu einem sehr großen Teil verloren", sagte sie bei dem Symposium in Berlin. Die 34-jährige, die in Filmen wie Fatih Akins "Gegen die Wand", in Tatort-Produktionen und in der amerikanischen Kultserie "Game of Thrones" gespielt hat, war sichtbar aufgewühlt, als sie von ihren eigenen Erfahrungen berichtete (Artikelbild). Immer wieder musste sie ihre Rede unterbrechen und sich die Tränen wegwischen, als sie sagte: "Für meinen Weg in die Freiheit habe ich viel bezahlt. Er war lang, schmerzhaft und selbstzerstörend. Doch meine Vision war immer die Freiheit."

Trotz Anfeindungen und Vorurteilen versuche sie tagtäglich hoch erhobenen Hauptes durch ihr Leben zu gehen. Dabei werde sie von einigen wie eine Mörderin behandelt, obwohl sie kein Kapitalverbrechen begangen habe und nur ihre Freiheit wolle. "Warum habt Ihr Angst vor einer selbstbewussten Frau?" fragte Kekilli an die türkische Gesellschaft in Deutschland gewandt, aus der sie stammt. Sie rief die "Väter, Brüder und Ehemänner" auf, die Wünsche ihrer weiblichen Familienmitglieder zu respektieren. "Wie würde es Euch gefallen, wenn Ihr so leben müsstest, wie Ihr es von euren Frauen verlangt?"

Keine Toleranz für Gewalt gegen Frauen

Joachim Gauck bei seiner Rede im Schloss Bellevue (Foto: dpa)
Ein emotionales Thema, auch für den BundespräsidentenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Die Gäste im Publikum waren bewegt von den offenen Worten der populären Schauspielerin, die ihre Dreharbeiten in Norddeutschland unterbrochen hatte, um ins Schloss Bellevue zu kommen. Alexandra Goy, eine Polizistin, die sich für Opfer von Gewalt engagiert, sagte später, sie habe beim Zuhören weinen müssen. Die Beamtin bemängelte, dass es in den Städten zu wenige Einrichtungen für bedrohte Frauen gebe. Die Polizei könne nicht alle potenziellen Gewaltopfer rund um die Uhr beschützen. Sie sei auf die Hilfe von Beratungsstellen und Betreuungseinrichtungen vor allem für minderjährige Frauen angewiesen. Goy regte an, in den Städten runde Tische einzurichten, die sich mit diesem Thema befassten.

Bundespräsident Gauck fand deutliche Worte zur Unterdrückung muslimischer Frauen und Mädchen. "Weder fehlende Empathie noch Traditionen rechtfertigen Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen. Beides steht im Widerspruch zu den Grund- und Menschenrechten und zu unseren Gesetzen. Für sie ist kein Platz im Einwanderungsland Deutschland", sagte er.

Foto von Hatun Sürücü an der Stelle, an der sie im Alter von 23 Jahren in Berlin von ihrem Burder ermordet wurde.
Hatun Sürücü wurde von ihrem eigenen Bruder ermordetBild: DW-TV

Morde im Namen der Ehre seien jedoch keine Erfindung des Islam. In verschiedenen traditionellen Kulturen insbesondere des Mittelmeerraumes und des Nahen Ostens gebe es die Vorstellung, dass die Ehre das höchste Gut einer Gemeinschaft sei und sie mit allen Mitteln verteidigt werden müsse. "Hier wegzuschauen hieße, es Minderheiten, die so im Widerspruch zu unserer Verfassung leben, tatsächlich einen kulturellen Bonus einzuräumen. Und das geht nicht."

Gleichwohl gebe es nicht nur in Familien mit Migrationsgeschichte häusliche Gewalt. Auch in alteingesessenen deutschen Familien gebe es Gewalt gegen Frauen und auch dort werde zu oft weggesehen. Beistand für bedrohte Frauen sei jedoch "unser aller Bürgerpflicht", unterstrich der Bundespräsident.