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Numerus Clausus-Wahn

Nina Treude5. August 2014

Nie gab es so viele Bestnoten beim Schulabschluss wie heute. Gleichzeitig beklagen Unis die schlechten Vorkenntnisse der Studienanfänger. Bildungsexperten sehen auch die Hochschulen in der Pflicht, das Problem zu lösen.

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Bildung Abi in der Tasche Zeugnis
Bild: Fotolia/Eva Kahlmann

Simon hat es geschafft. 2013 hat er sein Abitur mit der Bestnote 1,0 gemacht und nach einem Auslandsjahr in Indien direkt einen Studienplatz an der TU München bekommen. "Ich hätte mich für alles einschreiben können, deshalb war es mir wichtig, die richtige Wahl zu treffen. Ich bin sicher, dass Maschinenbau mir Spaß machen wird." Die Zusage für den Studienplatz hatte er innerhalb weniger Stunden in der Tasche. Kein Wunder, bei so guten Noten. Doch damit ist Simon in guter Gesellschaft. In den vergangenen Jahren sind die Abiturnoten der deutschen Schüler immer besser geworden. Dadurch steigt aber auch der sogenannte Numerus Clausus (NC) für zulassungsbeschränkte Fächer an den Hochschulen. Landläufig bedeutet dass, je mehr Schulabgänger an einem Studienfach interessiert sind, desto höher ist die Hürde, dort einen Platz zu bekommen. Diese Hürde wird meist über die Schulabschlussnote definiert. Wenn immer mehr Schüler sehr gute Noten haben, wird der Notendurchschnitt für beliebte Fächer immer höher geschraubt. Kritiker sprechen bereits von einem "Numerus Clausus-Wahn" in Deutschland. Jeder zweite Studienplatz ist inzwischen mit einem Numerus Clausus belegt.

Ärgerlich ist das vor allem für Schüler, die ein Abitur im Zweierbereich gemacht haben, also immer noch eine gute Note vorweisen können, wie Svenja. Die Abiturientin möchte ab dem Wintersemester Tourismus-Management studieren und hat bereits über 30 Bewerbungen abgeschickt. "Ich habe mich an sehr vielen Unis beworben, um meine Chancen zu erhöhen." Vom Numerus Clausus wollte sie sich nicht verrückt machen lassen. "Ich habe die Bewerbungen abgeschickt und entweder sie nehmen mich oder nicht." Nach einem persönlichen Vorstellungsgespräch hat sie inzwischen eine Zusage für einen Studienplatz.

Numerus Clausus Wahn in Deutschland
Simon hat schon einen Studienplatz in der TascheBild: privat

Schwerer Studienstart trotz guter Noten

Für den Erfolg im Studium geben die guten Schulnoten allerdings keine Garantie. Denn trotz der besseren Noten sind die Studienanfänger oft schlecht auf das Studium vorbereitet, wie das Institut der deutschen Wirtschaft aktuell im Rahmen einer Studie zum deutschen Bildungssystem bestätigt.

Das liegt daran, dass die Gruppe der Studienanfänger immer heterogener wird, erklärt Bildungsforscher Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft. "Es ist ein großer Gewinn für Deutschland, dass es mehr Wege an die Hochschulen gibt, etwa für Personen mit einer Berufsausbildung." Er befürwortet diese Entwicklung. "Die Hochschulen müssen sich auf dieses Klientel einstellen und mehr Unterstützung anbieten, damit diese jungen Menschen dann auch ihr Studium erfolgreich beenden", so Plünnecke. Besonders die beruflichen Kompetenzen und Erfahrungen, die diese Studienanfänger mitbringen seien sehr wertvoll.

Studenten im Hörsaal
Viele Erstsemester sind nicht richtig aufs Studium vorbereitetBild: picture-alliance/dpa

Viele Hochschulen, die schlecht vorbereitete Studienanfänger beklagen, haben bereits reagiert und sogenannte Brückenkurse eingeführt, um etwa für ein Mathematikstudium die Grundlagen aufzufrischen. Auch an der Universität Bonn, an der sich jedes Jahr 50.000 bis 60.000 junge Menschen bewerben, gibt es Brückenkurse zur Vorbereitung der Studienanfänger. Volkmar Gieselmann, Prorektor für Studium, Lehre und Studienreform an der Uni Bonn, führt die schwierige Lage auf einen grundsätzlichen Fehler im Bildungssystem zurück. "Man muss die Lehrpläne in den Schulen besser auf die Bedürfnisse der Hochschulen abstimmen, Brückenkurse beibehalten und die Studieneingangsphase flexibler gestalten", sagt Gieselmann. Nur so könne man die Studenten, die Wissenslücken haben, auffangen.

Abiturnote auch in Zukunft wichtigstes Auswahlkriterium

Die Abiturnote müsse aber auch in Zukunft das wichtigste Kriterium zur Studienzulassung bleiben, so Gieselmann. Das bestätigen auch aktuelle Gerichtsurteile. Alternative Zulassungsmodelle wie Colleges, die in den USA als Stufe zwischen Schule und Uni dienen, kommen aus Gieselmanns Sicht für das deutsche Studiensystem zurzeit nicht in Frage.

Volkmar Gieselmann
Volkmar Gieselmann von der Uni Bonn sieht Fehler im BildungssystemBild: DW/N. Treude

Die meisten Abiturienten bewerben sich wie Svenja an vielen verschiedenen Unis, um bestmögliche Chancen auf einen Studienplatz zu haben. Dadurch gibt es bei vielen Fächern zunächst einen großen Andrang. Die tatsächlichen Einschreibungszahlen sind in der Regel viel niedriger. Extrembeispiel an der Uni Bonn ist der Studiengang Psychologie, bei dem auf 90 Studienplätze 6000 Bewerber kommen. "Es ist völlig undenkbar alle Bewerber zum Interview einzuladen. Da kann man nur mithilfe der Abiturnote selektionieren", betont Volkmar Gieselmann.

Er teilt nicht die Befürchtung des deutschen Philologenverbandes, dass das deutsche Abitur durch die sogenannte Noteninflation in Zukunft weniger Wert sein könnte. Auch Bildungsforscher Axel Plünnecke kann diese These nicht bestätigen. Er versichert, dass das deutsche Abitur im internationalen Vergleich immer noch von sehr hohem Wert sei. Aus seiner Sicht birgt der Anstieg der Abiturnoten allerdings ein anderes Problem. Um sich aus der Masse derer, die sehr gute Noten haben, hervorzutun, muss man mit Zusatzqualifikationen aufwarten. "Dann werden außeruniversitäres Engagement und Praktika im Ausland wichtiger", erklärt der Bildungsforscher und da hätten Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten das Nachsehen, weil sie sich zum Beispiel Auslandsaufenthalte finanziell nicht leisten könnten.

Noch zahlreiche Studienplätze nicht vergeben

Auch Svenja und Simon haben die Chance genutzt, sich zusätzlich zu qualifizieren und sind nach dem Abi ins Ausland gegangen. Angst, schlecht auf die Uni vorbereitet zu sein, haben die beiden nicht. Sie haben sich in Schnuppervorlesungen und auf Messen gut über ihre Studieninhalte informiert. Abiturienten, die wegen des NC in ihrem Wunschfach noch keinen Studienplatz bekommen haben, können übrigens auf der Studienplatzbörse von "studieren.de" ab Mitte August auch noch freie Plätze für zulassungsbeschränkte Fächer finden.

Svenja
Svenja war nach dem Abi erst mal in AustralienBild: privat