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Trinkwasser mit Spaßfaktor

12. Juni 2012

Millionen Menschen fehlt es an sauberem Trinkwasser. Die Organisation “Viva con Agua” will das ändern. Ein Interview mit ihrem Gründer, dem Ex-Fußballprofi Benjamin Adrion.

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Der Gründer von "Viva con Agua" Benjamin Adrion hält zwei Flaschen der eigenen Wassermarke hoch (Foto: Viva con Agua)
Der Gründer von "Viva con Agua" Benjamin AdrionBild: Viva con Agua
"Viva con Agua" wird derzeit von rund 3.500 Ehrenamtlichen unterstützt, darunter auch Prominente und die Fußball-Mannschaft von FC St. Pauli. In dem gleichnamigen Hamburger Stadtteil hat die Trinkwasserinitiative auch ihren Hauptsitz.
Um Spenden zu sammeln, organisiert "Viva con Agua" Benefiz-Veranstaltungen, Spendenläufe und Fußballspiele. Bei Veranstaltungen sammeln ehrenamtliche Helfer Pfandbecher ein. Außerdem vertreibt die Initiative eine eigene Mineralwasser-Marke, mit deren Erlös Projekte gefördert werden. Diese werden in derzeit 15 Ländern von der Welthungerhilfe durchgeführt. Außerdem leistet die Organisation an Schulen und Universitäten Aufklärungsarbeit über die globale Trinkwasserproblematik.
Für sein Engagement wurde der Gründer Benjamin Adrion 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Global Ideas: Wie kommt ein Profi-Mittelfeld-Fußballspieler auf die Idee, ein Projekt wie "Viva con Agua" ins Leben zu rufen?

Benjamin Adrion: Die Idee entstand bei einem Trainingslager mit dem FC St. Pauli auf Kuba, als wir die problematische Trinkwasserversorgung erlebten. Damals verband ich mit diesem Fußballverein ein ungeheures Potenzial in Sachen soziales Engagement und Solidarität. Da war die Idee: Leute, wir haben da so einen riesigen Überschuss, lasst uns das mal auf den Punkt bringen und gemeinsam etwas auslösen.

Und wie sah Ihr erstes Projekt aus?

Gemeinsam mit der Welthungerhilfe haben wir erst einmal 153 Kindergärten mit Trinkwasserspendern ausgestattet. Dafür hatten wir das Ziel, 50.000 Euro in einem Jahr zu sammeln und zwar mit dem speziellen "Viva con Agua"-Ansatz.

Das Viva con Agua Team posiert vor der Kamera (Foto: Henning Heide / Viva con Agua)
Weltweit haben 783 Millionen Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser. "Viva con Agua" will das ändernBild: Henning Heide / Viva con Agua

Was heißt das?

Damit meinen wir das "offene Netzwerk". Das bedeutet, dass jeder einfach mitmachen, sich einbringen kann. Hinzu kommt der "all profit"-Gedanke, das heißt, dass soziales Engagement nicht mit erhobenem Zeigefinger oder mit schlechtem Gewissen geschieht, sondern dass es durchaus Spaß machen kann und Freude bereiten soll. Dies alles ist mit "Coolness" und "Lifestyle" verbindbar, mit Sport, mit Musik. Motto: Raus aus dem Egoismus, aber nicht zwangsweise rein in die Selbstaufopferung. Wir suchen da einen Mittelweg.

Das heißt, dass Sie nicht nur einfach mit der Spendendose herumlaufen…

Ja, wir haben uns vom klassischen Fundraising von Anfang an distanziert. Also, in der Fußgängerzone Unterschriften sammeln oder Briefe vor Weihnachten verschicken und so weiter. Mittlerweile kommt es langsam, dass wir hier und da ein wenig traditionelles Fundraising betreiben, das aber trotzdem auf unsere Art.

Wir sagen: Ey, bei uns geht es weniger um die Kohle, sondern dass sich die Leute mit ihren Ideen, ihrer Kreativität einbringen, ihren Energien für die Projekte einsetzen. Also nicht nur Spendenquittungen ausstellen, sondern selbst auf Festivals gehen und Pfandbecher für "Viva con Agua" sammeln, selber eine "Zelle", also eine Ortsgruppe gründen, einen Event organisieren, überlegen, wie man eigene Fähigkeiten einbringen kann, also eben "offenes Netzwerk".

Das bringt auch Geld für die Projekte ein?

Ja, wir haben inzwischen schon 1,5 Millionen Euro gesammelt. Es wächst natürlich, das ist erstaunlich. Die Dynamik der ursprünglich einmaligen Aktion in Kuba hat uns überrascht und wir wollten deshalb auch weitermachen. Inzwischen haben wir Organisationen in Spanien und der Schweiz gegründet. Und derzeit überlegen wir, wann vielleicht 2013 die Gründung in Österreich ansteht. Das ist natürlich super. Die Energie, das Potenzial ist nach wie vor da, die Familie wächst immer noch weiter und hält zusammen, das ist ja auch immer wichtig bei Wachstum.

Kinder stehen an Wasserhähnen aus denen Wasser fließt (Foto: Henning Heide / Viva con Agua)
Die Viva con Agua-Familie wächst - inzwischen gibt es die Organisation in mehreren LändernBild: Henning Heide / Viva con Agua

Wie sieht die Hilfe konkret aus, was machen Sie mit dem Geld?

Das hängt vom jeweiligen Bedarf ab, selbst innerhalb eines Landes kann die Unterstützung völlig unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel in Äthiopien, wo im Süden und Norden jeweils andere Projekte laufen. Wichtig ist die Einbindung der Menschen vor Ort, von der Auswahl über die Entwicklung, Durchführung und hinterher die Wartung. Das ist für uns das entscheidende Kriterium.

Das sieht dann beispielsweise so aus, dass Wasser auf Berge in Wasserkioske gepumpt und es dort zu Kleinstbeträgen verkauft wird. Die, die mitgearbeitet haben, zahlen weniger als die, die nicht mitgearbeitet haben. Das eingenommene Geld wird auf ein Konto gezahlt und vom lokalen Wasserkomittee verwaltet. Damit können etwa Reparaturen bezahlt werden. Wir bauen Tiefbohrbrunnen, legen Leitungen, stellen Handpumpen auf, versorgen Menschen mit sanitären Einrichtungen und so weiter.

Grundsätzlich führen wir die Projekte so durch, dass sie auch von den Menschen vor Ort aufrecht erhalten werden können. Dass das nachhaltig funktioniert, zeigt das Beispiel Äthiopien. Bei einem Projekt ist die Finanzierung längst ausgelaufen, dennoch laufen die Brunnen weiter. Und wenn einmal nicht, wissen die Menschen genau, was sie tun müssen. Das funktioniert! Es gibt aber auch Beispiele, etwa in Ruanda, da mussten wir Geld nachschießen, weil Geräte kaputt waren. Wir sind jetzt nach einigen Jahren dabei, die ersten Langzeiterfahrungen zu machen.

Welche Eindrücke haben Sie vor Ort in den Regionen sammeln können?

Wir versuchen den Menschen erst einmal zu vermitteln, was wir eigentlich für Leute sind, was unsere "Viva con Agua"-Kultur ist. Wir machen mit ihnen Musik, spielen Fußball und übernachten auch mal zwei Tage in deren Hütte im Dorf oder trinken abends den selbstgebrannten Schnaps. Wir wollen damit zeigen, dass wir ein repräsentativer Ausschnitt der Gesellschaft sind, der nicht ausschließlich professionell an die Sache herangeht, sondern auch eine menschliche Komponente hat.

Wir versuchen, über die Jahre ein Verhältnis zu den Menschen aufzubauen. "Viva con Agua" will Brücken schlagen, es ist ein Netzwerk, das keine Grenzen kennt. Unsere Vision ist irgendwann "Viva con Agua Äthiopien" oder "Viva con Agua Uganda". Wir finden es spannend, diese Idee international zu machen, vor Ort die "DNA" des Projektes umzusetzen. Wir wollen uns vernetzen, wir schauen, wo gibt's Künstler, wo können wir Festivals machen. Wir wollen keine "Entwicklungshilfeorganisation“ sein - "Schublade zu"- sondern "Viva con Agua" ist da etwas anders gedacht, und mal sehen, ob es uns gelingt, das den Leuten auch in Zukunft klarzumachen.

Ein Sandplatz, auf dem Fußball gespielt wird (Foto: Henning Heide / Viva con Agua)
Die „Viva con Agua“-Kultur: Hilfe wird mit Sport und Spaß verbundenBild: Henning Heide / Viva con Agua

Welche Rolle spielt der Klimaschutz bei Ihren Bemühungen?

Zunächst einmal sind wir auch keine Klimaschutzorganisation. Wir konzentrieren uns auf das Wasser. Trotzdem wissen wir, dass es Wechselwirkungen gibt, denn durch das Klima verschärft sich die Wasserkrise. Wenn etwa Landstriche vertrocknen, weil Regenzeiten ausbleiben, gibt es dann doch einen direkten Zusammenhang des Klimawandels mit dem Wasser. Wenn es in den trockenen Regionen eben heißer und trockener wird, verschlimmert sich die Versorgungslage mit Trinkwasser.

Durch Ihre Arbeit schaffen Sie doch bei den Menschen vor Ort sicher auch ein stärkeres Bewusstsein für den Klimaschutz, oder?

Auf jeden Fall. Insgesamt versuchen wir mit unserer Arbeit auch klar zu machen: Leute, das hängt miteinander zusammen, ihr müsst überlegen, was ihr tut und welche Auswirkungen das Handeln hat.

Interview: Po Keung Cheung
Redaktion: Jan Michael Ihl