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Zur Klage entschlossen

26. November 2010

Einen "heißen Herbst" hatte die Opposition der Regierung wegen der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke versprochen. Nach Straßenprotesten und Redeschlachten im Parlament gab es nun Streit im Bundesrat.

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Plenarsaal des Bundesrats (Foto: dpa)
Sitzung des Bundesrats in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Als "Tag des Zorns und der Beleidigungen" überschrieb eine Zeitung die Debatte Ende Oktober 2010 über die Atomgesetze im Bundestag. Mit ihrer Mehrheit hatten Union und FDP damals in einer turbulenten Sitzung die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre durchgesetzt. Schwarz gekleidete Grünen-Abgeordnete sprachen von einem energiepolitischen Putsch, mit dem die Regierung den Atomausstieg rückgängig mache. SPD und Linke geißelten Kanzlerin Angela Merkel als Lobbyistin der Atomkonzerne.

Verglichen damit ging es am Freitag (26.11.2010) im Bundesrat ruhiger zu. In der Ländervertretung sitzen nur Regierungsvertreter, Beifall und polemische Auseinandersetzungen sind unüblich. Doch in der Sache prallten Regierung und Opposition erneut unversöhnlich aufeinander. Ein "einmaliger Vorgang" sei es, den Bundesrat in einer solchen fundamentalen Zukunftsfrage zu übergehen, schimpfte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck von der SPD über das trickreiche Vorgehen von Union und FDP: "Wir haben den Verdacht, dass die Verfassung zum Spielball politischer Absichten gemacht wird."

Graphische Darstellung der Stimmverteilung im Bundesrat (Grafik: DW)
Im Bundesrat haben weder Regierung noch Opposition eine feste Mehrheit

Wieder einmal ist Karlsruhe gefragt

Weil die Regierungsparteien seit der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in der Ländervertretung keine Mehrheit mehr haben, legten sie dem Bundesrat das Gesetzespaket quasi nur zur Kenntnisnahme vor. Vergeblich versuchten die von SPD, Grünen und Linken regierten Bundesländer, das Gesetz als zustimmungspflichtig zu deklarieren und damit die Regierung in die Klemme zu bringen.

Die Gemengelage in der Vertretung der Länder ist schwierig. Weder Union und FDP auf der einen, noch die Opposition auf der anderen Seite erreichen hier die absolute Mehrheit von 35 Stimmen: Schwarz-Gelb hat 31, die Opposition 21. Die restlichen 17 Stimmen verteilen sich auf gemischte Koalitionen, die keinem politischen Lager zugerechnet werden können. Nur das von einer Ampelkoalition aus CDU, FDP und Grünen regierte Saarland schlug sich diesmal mit seinen drei Stimmen auf die Seite der Atomkraftgegner.

Mehrere sozialdemokratisch geführte Länder, sowie die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen werden voraussichtlich bis Mitte Februar 2011 Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen, um eine Mitsprache des Bundesrates zu erreichen. Das kündigten fünf Ministerpräsidenten der SPD auf einer Pressekonferenz nach der Bundesratssitzung am Freitag an.

Rückenwind für die Opposition von den Juristen

SPD-Ministerpräsident Kurt Beck am Rednerpult im Bundesrat (Foto: AP)
SPD-Ministerpräsident Beck: Klage in KarlsruheBild: AP

Nicht weniger als sechs Rechtsgutachten gibt es mittlerweile, die ihnen Aussicht auf Erfolg der Klage beim Verfassungsgericht einräumen. Eines davon stammt vom einstigen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier, der die Laufzeitverlängerung als wesentliche Veränderung des Atomrechts betrachtet, die ohne die Bundesländer nicht zu machen sei. Schließlich hätten diese die Aufsicht über die Atomkraftwerke und deren Sicherheit. Selbst Expertisen aus Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium räumen ein, dass höchstens eine "moderate Laufzeitverlängerung" ohne die Mitsprache der 16 Bundesländer zu machen sei.

"Eine Laufzeitverlängerung, die bis ins Jahr 2040 reicht, kann nicht als moderat eingestuft werden, oder die deutsche Sprache hat keinerlei Bedeutung mehr", sagte SPD-Politiker Beck und verweist darauf, dass sogar der Rechtsausschuss des Bundesrates - anders als das Plenum der Länderkammer - jede Laufzeitverlängerung für zustimmungspflichtig hält.

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht immer dasselbe

Die Regierung ihrerseits hält der heutigen Opposition den Spiegel vor: Schließlich habe die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder einst die mit den Energiekonzernen ausgehandelte Laufzeitverkürzung der Atommeiler auch ohne den Bundesrat beschlossen.

Das sei ein gewaltiger Unterschied, entgegnet Bremens Umweltsenator Reinhard Loske von den Grünen: "Damals ging es darum, weniger Risiken zu realisieren - durch weniger Atommüll und weniger Transporte. Das heißt, es gab weniger Aufwand für die Länder." Und deshalb sei eine Beteiligung des Bundesrats nicht nötig gewesen.

Das zähe Ringen um den Atomausstieg, das wichtigste Überbleibsel des einstigen "rot-grünen Projekts" von Kanzler Schröder und Vizekanzler Joschka Fischer, eint die ansonsten eher auseinanderdriftenden Sozialdemokraten und Grünen. Fast gebetsmühlenartig wiederholen Politiker beider Parteien, aber auch der Linken, ein "gesellschaftlicher Großkonflikt" sei wieder aufgebrochen.

Keine Mehrheit in der Bevölkerung für Atomkraft

Die schwarz-gelbe Atompolitik hat der Anti-Atomkraftbewegung neues Leben eingehaucht. Greenpeace veranstaltete in den vergangenen Wochen Protestschwimmen in der kalten Spree vor dem Kanzleramt und verhängte die Außenfassade der CDU-Zentrale in Berlin mit einem Transparent "CDU - Politik für Atomkonzerne". Vorläufiger Höhepunkt waren die Proteste auf den Straßen und Eisenbahngleisen vor dem niedersächsischen Atom-Zwischenlager Gorleben: Neun Castor-Behälter mit Atommüll konnten wegen der Massenproteste nur unter Einsatz von 20.000 Polizisten transportiert werden.

Zwar erklärte Innenminister Thomas de Maiziere: "Die Straße hat keine höhere demokratische Legitimation als Parlament und Gesetz". Doch der Druck wächst. Schon studieren Kernkraftgegner die Routenführung für die nächsten Castor-Transporte. In Umfragen sprechen sich die meisten Deutschen gegen die von der Regierung beschlossene Laufzeitverlängerung aus.

Schwierige Entscheidung für den Bundespräsidenten

Atomkraftgegner protestieren vor dem atomaren Zwischenlager Gorleben (Foto: dpa)
Protestler vor dem Zwischenlager GorlebenBild: picture-alliance/dpa

Das weiß auch Bundespräsident Christian Wulff, ohne dessen Unterschrift die von der Regierung gewünschten Veränderungen im Atomgesetz am 1. Januar 2011 nicht in Kraft treten können. Er hat zu prüfen, ob das Gesetz verfassungsgemäß zustande gekommen ist - ein schwieriger Part. Als Wulff für die CDU noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, wo drei Atomkraftwerke stehen, vertrat seine Regierung die Ansicht, bei wichtigen Veränderungen im Atomgesetz müssten die Länder mitreden. Als das Staatsoberhaupt jüngst das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe besuchte, überreichten ihm Kernkraftgegner 110.000 Unterschriften gegen das neue Atomgesetz.

Er sei überzeugt davon, dass der von der Regierung beschrittene Atomkurs vor dem Bundesverfassungsgericht ende, sagte am Freitag der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier. Andernfalls, kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel schon einmal an, werde man das umstrittene Gesetz bei einer Regierungsübernahme 2013 wieder außer Kraft setzen.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz