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Tomori: "Afrika hat bei Ebola versagt"

Katrin Matthaei19. November 2014

Die Ebola-Epidemie hält Sierra Leone, Guinea und Liberia im Griff. Der Fehler liegt bei den afrikanischen Entscheidern, die mehr an sich selbst als an ihr Volk denken, sagt der nigerianische Virologe Oyewale Tomori.

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Oyewale Tomori (Foto: Privat)
Bild: Privat

DW: Bei einer Konferenz in Daressalam in Tansania haben Vertreter aus Staat und Wirtschaft diese Woche überlegt, wie man eine Gesundheitsversorgung für Afrika aufbauen kann. Welche Rolle kann der Privatsektor bei der Eindämmung der Ebola-Krise spielen?

Oyewale Tomori: Eine sehr wichtige, denn Regierungen können Impfstoffe ja nicht selbst entwickeln. Wir sehen, wie das in Europa funktioniert: Die Entwicklung von antiviralen Impfstoffen ist eine Aufgabe der Industrie. Die Regierungen müssen den gesetzlichen Rahmen schaffen, in dem die Stoffe entwickelt, produziert und dann verschrieben werden. Aber viele afrikanische Regierungen mischen bei der Impfproduktion mit, weil sie hoffen, dass sie durch die Hintertür mitverdienen können. Sie sollten sich da komplett heraushalten. Daher sind solche Konferenzen sehr wichtig, um der Industrie zu zeigen: Ihr könnt hier wirklich etwas tun.

Sie haben die afrikanischen Regierungen für ihr Vorgehen bei der Ebola-Krise massiv kritisiert. Warum?

In Guinea etwa gab es den ersten Ebola-Fall bereits im Dezember 2013 - aber die Welt hat davon erst ganze drei Monate später erfahren. Wenn wir gute Früherkennungssysteme gehabt hätten, wäre das sofort identifiziert worden. Aber diese sind von vielen Regierungen vernachlässigt worden. Selbst als klar war, dass es Ebola war, haben manche Regierungen es weiterhin geleugnet. Oder sie haben gesagt: Das ist nicht unser Problem, sondern das von Guinea oder von Sierra Leone. Jetzt, wo uns das ganze Ausmaß bekannt ist, sind wir total unfähig, die Situation in den Griff zu bekommen. Diese Kombination aus Untätigkeit und vollkommen mangelhafter Vorbereitung hat zu der jetzigen Situation geführt.

Vytenis Andriukaitis übt den Ebola-Gruß (Foto: European Union)
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis übt den Ebola-Gruß in Sierra LeoneBild: European Union

Es handelt sich hier doch aber auch um extrem arme Länder, die Jahre des Kriegs hinter sich haben. War das nicht ebenfalls ein Grund, dass die Epidemie sich so schnell ausbreiten konnte?

Ich frage immer: Wie kommt es denn, dass sie so arm sind? Warum haben Länder wie Liberia oder Sierra Leone Krieg geführt? Haben sie um Werte gekämpft oder um Diamanten? Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man über Armut in Afrika spricht. Die Armut in Afrika ist das Ergebnis falscher Prioritäten. Es gibt doch einen minimalen Standard, den eine Regierung ihrem Volk gewährleisten muss, zum Beispiel gute Krankenhäuser. Oder ganz einfache Plastikhandschuhe, die die betroffenen Länder den medizinischen Helfern in der Ebola-Krise jetzt angeblich nicht bezahlen können. Gleichzeitig residieren die Staatschefs in den besten Hotels in New York, wenn sie zu den Konferenzen der Vereinten Nationen anreisen. Es geht hier nicht um Armut, sondern um die Frage: Wofür gibt man das Geld aus, das man hat. Solange wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen, werden wir weiterhin lamentieren: Afrika ist arm. Wir sind nicht arm. Wir haben einfach nur die falschen Prioritäten.

Der regionale Arm der Weltgesundheitsorganisation WHO soll nun die Maßnahmen gegen Ebola koordinieren. Wie effektiv ist die Organisation?

Wenn sie effektiv wäre, wären wir nicht dort, wo wir jetzt sind. Nach dem Ebola-Ausbruch in den 90er Jahren im Kongo haben wir alle möglichen Maßnahmen geplant für alle afrikanischen Regionen. Als Virologe war ich auch daran beteiligt. Ich sagte damals, dass ein erfolgreiches Früherkennungssystem nur möglich ist, wenn wir folgende Dinge aus dem Prozess heraushalten: Führungsansprüche, Machtfragen, Parteiprogramme und Politik.

Also spielen politische Interessen in dem Gremium eine zu große Rolle?

Das größte Problem ist, dass die Regierungen - entgegen aller Absichtserklärungen - eben doch kein Geld in Früherkennungssysteme investieren. Das Geld, das ein funktionierendes Früherkennungssystem gekostet hätte, liegt bei weitem unter der immensen Summe, die wir jetzt zur Bekämpfung der Epidemie ausgeben müssen.

Was können die betroffenen Staaten aus der Ebola-Krise für die Zukunft lernen?

Ich hoffe, dass das verheerende Ausmaß eine Wende einleitet. Jeder vernünftig denkende politische Führer sollte nun sagen: Das darf uns nicht nochmal passieren. Das geht natürlich nur, wenn man bereit ist, in diese Prozesse Geld zu stecken. Eine grundlegende Krankenversorgung der Menschen, in die muss investiert werden, die muss funktionieren. Eigentlich sollte das etwas Selbstverständliches sein.

Was erwarten Sie von den Industrienationen?

Die von Ebola betroffenen Länder bekommen jetzt sehr viel Hilfe, etwa von der Europäischen Union oder den USA. Aber natürlich handeln die nach ihren eigenen Regeln. Die Länder selbst haben keinerlei Kontrolle darüber, wie das jetzt abläuft. Aber irgendwann werden diese Experten ihre Sachen packen und das Land wieder verlassen. Was passiert mit den Behandlungszentren, wenn Ebola vorbei ist? Werden diese Regierungen die Ressourcen haben, um sie zu unterhalten? Wenn wir Hilfe bekommen, müssen wir doch überlegen: Wie kann ich das auch danach noch aufrecht erhalten? Das Problem ist noch größer: Wir machen uns von ausländischen Experten abhängig, weil wir nicht in den Aufbau eigener Experten investieren. Aber das ist nicht der Fehler der Geberländer. Es ist ein afrikanisches Problem. Wir warten immer auf andere, um unsere Probleme zu lösen. Das ist die Lektion, die wir lernen müssen. Ich wäre nicht überrascht, wenn uns das in zehn Jahren genau so wieder passieren würde.

Ein Helfer spritzt eine Person in einem Schutzanzug ab (Foto: European Union/Kenzo Tribouillard)
Ohne ihre Hilfe geht gar nichts: Freiwillige Helfer in GuineaBild: European Union/Kenzo Tribouillard

Was erwarten Sie von den Eliten der afrikanischen Länder?

Es braucht viele Leute, die den Mut haben aufzustehen und den politischen Führern zu sagen, dass sie falsch handeln. Leider hört zum Beispiel meine Regierung in Nigeria lieber auf Berater, die ihr genau das sagen, was sie gerne hören will. Es gibt viele clevere Menschen in Afrika, aber sie verschließen lieber die Augen vor dem, was passiert. Die Regierung lügt uns an, und wir lügen zurück. Jetzt müssen die Menschen aufstehen und sagen: Es reicht! Wir haben zu viel gelitten! Wir sollten unser Land lieben, nicht unsere politische Führung. Sonst werden wir nie dort ankommen, wo wir eigentlich hinwollen.

Oyewale Tomori ist Virologe und Präsident der Wissenschaftlichen Akademie Nigerias. Er arbeitete für die regionale Organisation der WHO, als 1995 in der Demokratischen Republik Kongo Ebola ausbrach.

Das Gespräch führte Katrin Matthaei.