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"Der einzige Ausweg sind Zweinutzungsrassen"

Interview: Brigitte Osterath20. April 2014

Die Hennen legen Eier, und die Hähne werden gemästet - so war es früher. Und so sollte es auch wieder sein, sagt Hühnerzuchtexpertin Inga Tiemann. Fleisch und Eier wären dann allerdings teurer.

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Inga Tiemann. (Foto: Tiemann, Wissenschaftlicher Geflügelhof)
Die Hühnerzuchtexpertin Inga TiemannBild: Inga Tiemann

Deutsche Welle: Frau Tiemann, in Deutschland werden jedes Jahr mehr als 40 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet. Warum?

Inga Tiemann: Bei Legehennen sind die Hähne überflüssig. Denn sie legen natürlich keine Eier, sie gewinnen aber auch nicht so schnell an Körpergewicht, dass es sich wirtschaftlich rentieren würde, sie zu mästen und zu schlachten. Die Hähne dieser Legelinien werden nie so viel Brustfleisch ansetzen wie die Masthähnchen, die extra für die Fleischproduktion gezüchtet wurden.

Warum ist das Brustfleisch beim Huhn denn so wichtig?

Das ist das, was hinterher auf dem Teller landet. Auch Hähnchenfilet ist immer Brustfleisch. Davon möchte man am liebsten möglichst viel haben und möglichst große, einheitliche Stücke - und die bekommen Sie nicht mit einem Hahn aus einer Legelinie.

Woher stammen diese Legelinien?

Von weltweit tätigen Zuchtunternehmen. Die Küken werden dann an Betriebe weitergegeben, die die Hennen aufziehen. Und die wiederum geben die Hennen bei der Legereife an Produktionsbetriebe weiter.

Hühnerrasse Breda (Foto: Inga Tiemann, Wissenschaftlicher Geflügelhof)
Die alte Hühnerrasse Breda. Die Hennen legen pro Jahr nur halb so viele Eier wie moderne Züchtungen.Bild: Inga Tiemann

Warum so kompliziert? Warum züchtet ein Betrieb nicht einfach seine eigenen Hennen?

Sie erreichen mit eigenen Tieren nie die Wirtschaftlichkeit, die Sie haben müssen, um Eier so preisgünstig anbieten zu können. Legehennen entstehen aus mindestens vier Linien: Die eine Linie hat eine besonders hohe Futterverwertung, die nächste Linie eine besonders hohe Legeleistung, die andere ist sehr gesund, die vierte verhält sich gut - und diese Linien werden gekreuzt.

Heraus kommt ein Hybridtier, das im Idealfall alle positiven Eigenschaften der Vorgängerlinien vereint: Es verwertet super das Futter, es legt super Eier, es kommt super mit der Umgebung klar. Wenn Sie mit diesen Tieren aber weiterzüchten, spaltet sich das wieder auf: Sie bekommen einen bunten Sack voller Nachkommen. Dann ist wieder eine dabei, die gut ihr Futter verwertet, die muss aber nicht viele Eier legen. Die nächste legt gute Eier, hat aber womöglich keine gute Futterverwertung. Mit den Tieren, die zur Eierproduktion dienen, lässt sich also nicht weiter züchten.

Und der Landwirt muss immer wieder neue Hennen einkaufen?

Ja, genau. Das ist natürlich alles über den Markt diktiert. Ich schließe mich da als Verbraucher ein, auch ich will ein günstiges Lebensmittel kaufen - und das wollen auch viele andere. Daher muss ein Tier kostengünstig diese Lebensmittel produzieren, also mit maximaler Wirtschaftlichkeit Eier legen - und das können nur diese Hybridlinien.

Was kann der Verbraucher tun, wenn er nicht weiter unterstützen will, dass so viele Küken aus wirtschaftlichen Gründen getötet werden?

Im Moment gibt es flächendeckend keine Möglichkeit, diese Praxis zu unterbinden. Aber wenn Sie können, gehen Sie am besten zum Bauernhof nebenan, wo die Tiere noch auf dem Misthaufen herumlaufen. Da finden Sie noch Tiere, die so gezüchtet und gehalten werden, wie wir uns das in relativ naiver Art vorstellen.

Wie lässt sich das Problem der getöteten Küken aus Züchtersicht angehen?

Der einzige Ausweg sind Zweinutzungsrassen: Bei denen legen die Hennen Eier, und man kann gleichzeitig die männlichen Tiere mästen und deren Fleisch verwerten. So war es auch früher, vor 1950. Diese alten deutschen Rassen, die können das auch noch. Es werden derzeit auch neue Zweinutzungsrassen entwickelt. Diese Tiere können mehr als die traditionellen Rassen, aber immer noch nicht so viel, wie wenn man Eierproduktion und Fleischproduktion trennt.

Welche Auswirkungen hätten solche Zweinutzungshühner auf den Verbraucher?

Man darf sich keine Illusionen machen: Die Produkte, die daraus entstehen, sind teurer. Sowohl Menschen als auch Hühner haben nur beschränkte Kapazitäten. Wenn das Huhn 100 Prozent in die Eierproduktion steckt, dann bleibt nichts für die Fleischproduktion über. Wenn man auf etwas Legeleistung verzichtet, dann kann man mit diesen Tieren auch wieder Fleisch produzieren. Allerdings nicht in dem Maße, wie es die modernen Mastlinien machen. Da muss sich der Verbraucher einfach entscheiden, ob er zwei, drei Cent pro Ei mehr bezahlen möchte oder nicht.

Hühnerrasse Marans (Foto: Tiemann, Wissenschaftlicher Geflügelhof)
Die alte Hühnerrasse Marans ist eine ZweinutzungsrasseBild: Inga Tiemann

Glauben Sie denn, dass sich das Konzept trotz höherer Preise am Markt durchsetzen kann?

Ich bin sehr optimistisch, dass es die Produkte dieser Tiere auf den Markt schaffen. Das sind gute Tiere, die sich auch in der Biohaltung gut machen. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Supermärkte solche Produkte im Sinne von Tierschutz und nachhaltiger Lebensmittelproduktion im Sortiment führen möchten. Dass es demnächst nur noch Produkte von Zweinutzungshühnern gibt, das glaube ich allerdings nicht - obwohl das eine schöne Vorstellung wäre.

Inga Tiemann ist wissenschaftliche Leiterin desBruno-Dürigen-Instituts in Rommerskirchen, dem wissenschaftlichen Geflügelhof des Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter. Außerdem ist sie Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Tierwissenschaften der Universität Bonn. Sie forscht an traditionellen und neuen Haushuhnrassen.

Das Gespräch führte Brigitte Osterath.