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Deutsche Kritik am Spionageprogramm "Tempora"

Anna Peters24. Juni 2013

Erst "Prism", nun "Tempora". Auch der britische Geheimdienst soll die Kommunikation von Millionen Menschen im Internet ausspioniert haben. Die Empörung in Deutschland ist groß.

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Hand auf einer Computerplatine. (Foto: picture alliance / JOKER)
Bild: picture alliance / JOKER

Einen "Alptraum à la Hollywood" nennt die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) "Tempora". Hinter dem Codenamen verbirgt sich laut einem Bericht des "Guardian" ein großangelegtes Spionageprogramm des britischen Geheimdienstes GCHQ. Dabei sollen Telefon- und Internetverbindungen über Glasfaser-Seekabel angezapft worden sein. Der "Guardian" beruft sich in seinem Bericht auf Dokumente, die der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden dem Blatt zugespielt hatte.

Politiker überlegen juristische Schritte

Auch deutsche Internetnutzer sollen von "Tempora" betroffen sein. Die ausgespähten Inhalte würden bis zu drei Tage lang gespeichert, Metadaten, wie IP-Adressen, Telefonnummern und Verbindungszeiten bis zu einem Monat. Wie viele Deutsche betroffen sind, ist noch unklar. Umso größer ist nun die parteienübergreifende Kritik aus Deutschland. So zeigt sich Konstantin von Notz, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, gegenüber der DW bestürzt: "Was hier passiert, ist völkerrechtswidrig und muss umgehend unterbunden werden."

Von Notz fordert "eine Initiative bei den Vereinten Nationen für eine UN-Konvention zum Schutz der Privatsphäre des Internets". Außerdem müsse man überlegen, ob man nicht auch vor dem Europäischen Gerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren anstrengen müsse, um "die Verfassungswidrigkeit dieses Vorgehens dokumentiert zu bekommen".

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen (Foto: picture-alliance/dpa)
Fordert eine Initiative bei den Vereinten Nationen: Grünen-Politiker Konstantin von NotzBild: picture-alliance/dpa

Nicht minder empört zeigt sich Gisela Piltz, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und Datenschutz-Expertin ihrer Fraktion im DW-Interview: "Wir sehen schon mit sehr, sehr großer Sorge und großem Entsetzen, was da alles gesammelt und gespeichert wird." Ihre Parteikollegin und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger spricht in Berlin gar von einer "Katastrophe" und fordert Aufklärung auf europäischer Ebene.

Demokratie in Gefahr

Der Christdemokrat Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, bangt im Interview mit dem Deutschlandfunk um die Glaubwürdigkeit der Demokratie: "Da stellt sich übrigens nicht nur die datenschutzrechtliche Frage; da stellt sich auch eine andere Frage, nämlich, ob die Bürger nicht das Vertrauen verlieren in den Staat und damit in unsere Demokratie, wenn sie nicht ganz sicher sein können, dass die Geheimdienste nur das machen, was sie auch tatsächlich dürfen."

Der SPD-Datenschutzexperte und Bundestagsabgeordnete Gerold Reichenbach spricht von einer "Form der Gefahrenabwehr, die jegliches Übermaßverbot überschreitet." Auch er und seine Partei haben jegliche Informationen über das britische Spionageprogramm aus Medienberichten erhalten. "Wir wollen natürlich jetzt erst einmal wissen: Was weiß die Bundesregierung?"

Luftaufnahme vom Sitz des britischen Geheimdienstes. (Foto: Reuters)
Sitz des britischen Geheimdienstes GCHQBild: Reuters

Wussten deutsche Behörden mehr?

"Eine Maßnahme namens 'Tempora' ist der Bundesregierung außer aus diesen Berichten erst einmal nicht bekannt", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die deutsche Nachrichtenagentur dpa meldet, dass die deutsche Regierung Großbritannien um Aufklärung im Fall des Spionageprogramms gebeten habe. Das Innenministerium habe der britischen Botschaft Fragen zu "Tempora" übermittelt.

Verwundert über die Empörung deutscher Politiker zeigte sich allerdings der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sagte er, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik seit längerem davon wüssten, dass britische und US-Geheimdienste Internet- und Telefonverbindungen ausspähten.

Porträt von Edward Snowden, ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter(Foto: Reuters)
Edward Snowden informierte den "Guardian" über "Tempora"Bild: Reuters/Ewen MacAskill/The Guardian/Handout

Auch Constanze Kurz, ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs, zeigte sich im Gespräch mit der DW nicht sehr überrascht über "Tempora". Lediglich "die Menge und Dreistigkeit, mit der da rechtsfreie Räume geschaffen wurden, waren dann doch wieder überraschend. Das ist schon gigantisch und einer Demokratie nicht mehr angemessen."

Die Enthüllung des Spähprogramms "Tempora" geht auf den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden zurück. Der 30-Jährige hatte dem Guardian zuvor schon Dokumente zum US-Spionageprogramm "Prism" zugespielt. Er hat inzwischen in Ecuador Asyl beantragt, um einer Strafverfolgung durch US-Behörden zu entgehen. Der Informant Snowden bezeichnet "Tempora" als "das größte verdachtslose Überwachungsprogramm in der Geschichte der Menschheit."