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Tchibo - von Bienen inspiriert

Insa Wrede8. November 2013

Bienen und Ameisen haben bei Tchibo Einzug gehalten: Von ihren Organsiationsstrukturen hat sich der Kaffeeröster inspirieren lassen.

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Bienen, Foto: Aly Hassanein
Bild: Aly Hassanein

Der Hamburger Kaffeeröster Tchibo vertreibt nicht nur Kaffee, sondern viele andere Waren in seinen rund 750 Filialen, das reicht von Kleidung über Schmuck bis zu Möbeln. In dem gemeinsamen Bionos-Forschungsprojekt mit dem Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg-Harburg sowie anderen Forschungseinrichtungen wurden die Wertschöpfungsketten von Tchibo unter die Lupe genommen. Und zwar unter die biologische Lupe. Insa Wrede hat sich mit Stefan Dierks, Leiter Produkte und Strategien im Bereich Unternehmensverantwortung und Leiter des Projektes bei Tchibo, unterhalten.

DW: Wie sind Sie vorgegangen?

Stefan Dierks: "Wir haben im Rahmen einer Analyse festgestellt, dass die Interaktionsfähigkeit ein entscheidender Einflussfaktor in unseren Wertschöpfungsketten ist. [Red.: Wertschöpfungsketten sind die Prozesses, die vom Entwurf eines Produktes über Herstellung, Vertrieb bis hin zum Konsumenten reichen]. Dann haben wir in der Natur nach Strukturen gesucht, die in ihren Merkmalen unseren Wertschöpfungsketten entsprechen. Dabei sind wir bei der Weberameise und der Honigbiene auf Organisationsstrukturen gestoßen, die mit unseren Wertschöpfungsketten vergleichbar sind.

In beiden biologischen Ketten ist die Interaktionsfähigkeit ebenfalls ein wichtiger Faktor, um die jeweilige Wertschöpfung zu erbringen. Wir haben dann analysiert, welche biologischen Organisationsprinzipien dazu beitragen, dass die Interaktion in diesen Ketten so gut funktioniert. Bei der biologischen Wertschöpfungskette der Weberameise lautet beispielsweise ein Organisationsprinzip: "Gemeinsame Wahrnehmung". Das heißt, alle haben das gleiche Ziel vor Augen, was mit den Prozessen dieser Wertschöpfungskette erreicht werden soll. Alle Ameisen kooperieren zum Erreichen dieses Ziels.

Wie wurden dann die Erkenntnisse aus der Biologie auf Tchibo zu übertragen?

Vereinfacht gesagt wollen wir natürlich nicht, wie die Biene, an den Schreibtisch des Kollegen "getänzelt" kommen. Es geht also nicht darum, bestimmte Handlungen der Honigbiene oder der Weberameise eins zu eins auf die Wertschöpfungskette von Tchibo zu übertragen. Bei dem Forschungsvorhaben ging es vielmehr darum, in der Natur biologische Prinzipien für wichtige Einflussfaktoren der Wertschöpfungskette zu erkennen. Diese sollten dann für die Entwicklung innovativer Verbesserungsansätze genutzt werden.

Hierzu haben wir einen Kreativworkshop durchgeführt und uns dabei die Frage gestellt: An welchen Stellen beispielsweise das Organisationsprinzip 'gemeinsame Wahrnehmung' in unserem Wertschöpfungsprozess für die Non-Food-Produkte besonders relevant ist? Wo und wie könnte es noch förderlicher genutzt werden?

Eine unserer Ideen war: Es sollen nicht ausschließlich Tchibo Mitarbeiter, sondern auch unsere Kollegen in den Produktionsstätten oder bei den Logistikdienstleistern, die die Ware von A nach B bringen, sich schnell über ein EDV-gestütztes Tool informieren können, wie der Stand der Dinge im Augenblick ist: Gibt es im Prozess aktuell irgendwo eine grüne oder gelbe Ampel? Muss in irgendeiner bestimmten Art und Weise reagiert werden? Entsprechend wurden auch verschiedene andere biologische Organisationsprinzipien für die Ableitung naturinspirierter Verbesserungsvorschläge für unsere Wertschöpfungskette genutzt. Auf diese Weise konnten wir die Erkenntnisse aus der Biologie effektiv in die Wirtschaft übertragen.

Haben Sie dann ein schon bestehendes EDV-System einfach nur verbessert oder haben sie etwas völlig Neues eingeführt?

Natürlich hatten wir schon vorher wirksame Projektsteuerungstools. Aber: Auch diese lassen sich immer weiter verbessern. Insbesondere wenn es um sehr zeitnahe Informationen geht und darum, sich zukünftig noch besser entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu vernetzen und miteinander zu interagieren.

Wir haben unsere Ideen also auf ganz praktikable Maßnahmen heruntergebrochen, die sich perspektivisch auch finanziell lohnen können.

Wie sahen andere Ideen aus, die sich aus dem biologischen Ansatz ergeben haben? Und zu welchen konkreten Änderungen haben die bei Tchibo geführt?

Beispielsweise haben wir aus zwei weiteren im Projekt ermittelten Organisationsprinzipien der Honigbiene das Thema 'Koordinator' abgeleitet. Für die Projektstrukturen unserer Nachhaltigkeitsprojekte haben wir die entsprechende Rolle eines Koordinators eingeführt, der maßgeblich als Informationsmanager in den Projekten arbeitet. Diese Position haben wir also deutlich gestärkt. Etwas Ähnliches hat es auch vorher schon gegeben, aber häufig mussten entweder mehrere Mitarbeiter oder die Projektleitung die Informationen zusammentragen und wieder verteilen. Das gleiche Ergebnis wird im Prozess nun deutlich effektiver erzielt.

Brauchte es für diese Veränderungen wirklich so ein Forschungsprojekt? Braucht es wirklich den Blick in die Natur?

Sicherlich kann man manche Dinge auch auf anderen Kreativitätswegen erreichen. Aber: Wir haben im Rahmen des Projektes ja keine beliebigen Assoziationsbeispiele für unsere Vorgehen verwendet. Vielmehr haben wir in der Natur ganz gezielt nach konkreten Entsprechungen für bestimmte Problemstellungen in der Wertschöpfungskette gesucht. Die dabei vorgefundenen biologischen Prinzipien dienten letztlich als Vorlage, um - naturinspiriert und sehr problemspezifische - nach möglichen Verbesserungsansätzen zu suchen.

Darüber hinaus handelte es sich bei Bionos um ein Pilotprojekt, das auch für uns einen ersten Versuch darstellte. Das Projekt hat uns auch viele weitere Impulse gegeben, die wir sicherlich in der Zukunft berücksichtigen werden. Durch das bionische Vorgehen wurden teilweise auch neue Denkstrukturen eingeführt. So etwas schlägt sich nicht immer gleich in konkreten Maßnahmen oder Nutzen nieder.

Das bionische Vorgehen war aber hilfreich für unser Unternehmen, um den Blick noch einmal zu weiten und sich an den Prinzipien biologischer Wertschöpfungsketten zu orientieren. Man darf auch nicht vergessen: Wir analysieren in der Biologie Prozesse, die seit mehreren Millionen Jahren kontinuierlich optimiert wurden. Daher funktionieren sie optimal. Darüber hinaus sind die biologischen Prozesse auch nicht weniger komplex als die der Wirtschaft - wenn man das einmal in Relation setzt.

Insgesamt haben alle Beteiligten, auch der verantwortliche Projektträger des Forschungsministeriums, einen sehr positiven Schluss gezogen. Unser Projektpartner plant zur Zeit, weiter in diese Richtung zu forschen. Und ich möchte nicht ausschließen, dass da noch umfangreiche "biologische" Erkenntnisse schlummern, die wir im Rahmen dieses, aus wissenschaftlicher Sicht relativ schlanken Pilotprojektes noch gar nicht gewinnen konnten.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Dingen die Sie jetzt übertragen haben auf die Wertschöpfungskette?

Die Erfahrungen sind gut. Wir sind teilweise aber auch noch dabei, die entsprechenden Strukturen auf zu bauen. Das erfordert gewisse Änderungen der Prozesse und der Infrastruktur. So schnell ist das nicht zu bewältigen. Aber wir bauen die Systematik Schritt für Schritt auf. Hier merken wir auch durchaus einen positiven Nutzen. Ein erheblicher Verdienst des Projektes ist auch, dass die einzelnen Beteiligten ein besseres Prozessverständnis erlangt haben und sich mit größerer Motivation und Begeisterung in den Projekten engagieren.